Protestaktion Hambacher Forst
Die Klimabewegung zeigte beim Kohleausstieg immer wieder "rote Linien" auf, doch die Umweltverbände ließen ihre Verbündeten im Regen stehen. (Foto: Kathrin Henneberger)

Das sogenannte Kohleausstiegsgesetz, beschlossen am 3. Juli im Bundestag, stellt eine Zäsur für die Klima(gerechtigkeits)bewegung in Deutschland dar.

Kohle wurde im letzten Jahrzehnt zum Schwerpunktthema weiter Teile der Bewegung: Die Besetzung im Hambacher Forst stellte sich dem Braunkohletagebau entgegen, die Klimacamps entwickelten sich in den Kohlerevieren, drum herum entstanden Aktionsbündnisse wie "Ende Gelände", "Decoalonize" und "Kohle ersetzen" sowie das Tagebaubetroffenen-Bündnis "Alle Dörfer bleiben".

Große Nichtregierungsorganisationen und lokale Initiativen kämpften gegen neue Kohlekraftwerke – und sogar die "Fridays for Future"-Demonstrationen in Deutschland begannen Ende 2018 anlässlich der Kohlekommissions-Sitzungen vor dem Wirtschaftsministerium.

Alle arbeiteten auf einen Kohleausstieg hin, aber niemand stellte sich darunter ein 20-jähriges Stützungsprogramm für die dahinsiechende Kohleindustrie vor. Ein Kohlegesetz, das ohne direkte Berücksichtigung der Klimakrise allein wirtschaftliche Interessen unter den gegebenen Bedingungen austariert hätte, würde in puncto Emissionsmengen wahrscheinlich genauso aussehen.

So trägt ironischerweise die als lobbyhörig geltende EU-Kommission mit den Nachjustierungen im Emissionshandel und den strikteren Schadstoffrichtlinien, die die Bundesregierung zu umgehen versucht, derzeit stärker zum deutschen Kohleausstieg bei als die Bundespolitik.

Das ist bitter für die gesamte Klimabewegung in Deutschland – zumal die Kohlekraft den leichtesten Angriffspunkt im Ensemble der Klimaungerechtigkeiten "made in Germany" bot: eine veraltete, unflexible Technologie mit massiven Kollateralschäden, für die es längst Alternativen gibt und deren enorme CO2-Emissionen in keinem Verhältnis zur schwindenden wirtschaftlichen Bedeutung der Branche stehen.

Doch die Beharrungskräfte der politisch bestens vernetzten Industrie, speziell die lokale Dominanz der Braunkohlekonzerne in teils strukturschwachen Regionen, konnten dem Druck der Ausstiegsbewegung weitgehend widerstehen. Auch wenn die Entwicklung der Bewegung über die Jahre des Kohlekonflikts ein riesiger Erfolg bleibt, sollte dies zu denken geben.

Die Kohlekommission als Befriedungsmechanismus

Das beschlossene Kohlegesetz veranschaulicht, wie und für wen der Korporatismus in Deutschland funktioniert. Anfangs war die von der Bundesregierung eingesetzte "Kohlekommission" das zentrale Forum. Sie brachte diverse Interessenvertreter an einen Tisch: Industrieverbände, Kohlekonzerne, Gewerkschaften, Umweltverbände, Tagebaubetroffene, Landespolitik, Wissenschaft, Bundestagsabgeordnete.

Letztlich spiegelte sie aber die Industriefreundlichkeit der Regierungskoalition wider, unter selektiver, strategischer Einbindung weiterer Interessengruppen. Dass die großen Umweltverbände diese untergeordnete Rolle demütig annahmen und bis zum Schluss ausfüllten, erwies sich als fatal für die Anti-Kohle-Bewegung.

Denn das Gremium, das umgangssprachlich Kohlekommission genannt wurde, aber offiziell und deutlich treffender Kommission für "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" hieß, diente nicht zuletzt als Befriedungsmechanismus angesichts der wachsenden Klimabewegung. Für einen an Konzerninteressen orientierten Fahrplan sollte der Segen der Umweltverbände eingeholt werden.

Porträtaufnahme von Lasse Thiele.
Foto: privat

Lasse Thiele

geriet beim Klimagipfel 2009 in den Sog der Klima­gerechtigkeits­bewegung. Neben dem Aktivismus promovierte er an der FU Berlin zur Kritik des "grünen" Kapitalismus, arbeitet derzeit beim Konzeptwerk Neue Ökonomie – und schreibt hier "privat".

Das gelang, als die Vertreter (kein Gendern notwendig) der Umweltverbände Greenpeace, BUND und des Dachverbands DNR in spätnächtlicher Sitzung im Januar 2019 einem Kompromiss zustimmten. Diesen wendete die Regierung sogleich feierlich in einen "Konsens", mit dem fortan jede klimapolitische Kritik zurückgewiesen wurde: Wir waren uns doch alle einig!

Damit wurden die weiteren Verhandlungen ins Hinterzimmer verlegt. Zum einen zwischen Kohlekonzernen und Regierung: Die Empfehlung, den Deal in "einvernehmliche" öffentlich-rechtliche Verträge zu gießen und damit die Verhandlungsposition der Unternehmen weiter zu stärken, statt einen Ausstiegspfad ordnungsrechtlich festzuschreiben, stammte aus der Kohlekommission, mitgetragen von den Umweltverbänden.

Zum anderen wurde zwischen Bund und Ländern verhandelt: Die lokale Macht der Kohleindustrie übertrug sich im föderalen System auf die Regierungen der Kohleländer, die offenbar wesentlich für die weitere Aushöhlung des Kohlekommissions-Kompromisses verantwortlich sind.

Schon die Empfehlung der Kommission wich nur punktuell von den selbst aus Marktperspektive inzwischen völlig unrealistischen Businessplänen der Konzerne ab. Das am 3. Juli beschlossene Endergebnis unterbot dies klimapolitisch noch einmal deutlich – obwohl (oder weil?) sich inzwischen die wirtschaftliche Situation drastisch zuungunsten der Kohleindustrie gewendet hatte

Am Ende konnten fast alle etwas für sich herausholen: die Kohlekonzerne geschätzte acht Milliarden Euro Subventionen, die Regierungen der Kohleländer rund 40 Milliarden an Strukturwandelgeldern, die Gewerkschaften zumindest eine Abfederung im Vergleich zu einem marktgetriebenen Kollaps. Die Tagebaubetroffenen konnten wenigstens einzelne Dörfer retten (ohne die perfide "Lex Garzweiler" hätten es mehr werden können) – und die große Koalition wahrte per Zugriff auf den Bundeshaushalt den Burgfrieden.

Angesichts einer rasant wachsenden Klimabewegung und einer schwindenden Wirtschaftlichkeit ließ sich die Kohleindustrie so von der Regierung noch einmal langfristig Pfründen vertraglich zusichern – und revanchierte sich beim Kohlekommissions-Kovorsitzenden Stanislaw Tillich bereits mit einem Aufsichtsrats-Chefposten

Konstruktiv bis zur Destruktion 

Und das Klima? Die Umweltverbände, die in der Kohlekommission vor allem als von oben nominierte Stimme der Klimabewegung saßen, hatten vorher versprochen, nur Ergebnisse mitzutragen, die "konsequenten Klimaschutz auf Grundlage des Paris-Vertrages" gewährleisteten.

Am Ende stimmten sie zu, die Kohleverstromung noch 20 Jahre weiterlaufen zu lassen. In einem Sondervotum wiesen sie zwar auf die Unvereinbarkeit des Deals mit dem Paris-Ziel hin – und damit auch mit ihrer eigenen vorab gezogenen roten Linie.

Solche Bedenken gingen aber neben dem Konsens-Chor einfach unter, zumal die Verbände darauf angewiesen blieben, mit Einerseits-andererseits-Rhetorik "ihren" Kompromiss gegenüber der wachsenden Kritik aus der Bewegung zu verteidigen. So funktioniert Einbindung von oben, um Bewegungen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die Umweltverbände haben sich bis heute bei aller Empörung über die nachträgliche Aushöhlung nicht klar von der Kohlekommission distanziert. Die Vertreter dort handelten losgelöst von der Klimabewegung und entgegen eigenen Ankündigungen. Sie fühlten sich offenbar vor allem der Kommission zu "kollegialem" Verhalten verpflichtet – statt zum gegebenen Zeitpunkt zu sagen: Es reicht, wir haben mitverhandelt, aber das Ergebnis überschreitet unsere rote Linie.

Ohne ihre Zustimmung, mit der sie den "klimapolitischen Stillstand Deutschlands durchbrechen" wollten, hätte die Kommission den gleichen Beschluss fassen können – aber mit klar zutage tretendem Dissens. Auch der eigenen Klientel wäre sicher eine Haltung zu vermitteln gewesen, die sich nicht an ein "konstruktives" Mitmachen um den Preis eines destruktiven Ergebnisses klammert.

Niemand hätte von den Verbänden erwarten können, in einem solchen Rahmen ein klimapolitisch wesentlich besseres Ergebnis herauszuhandeln. Aber gerade deshalb war ihre Kommissions-Mitarbeit von Anfang an fragwürdig. Mit ihrer Zustimmung ging die Einbindungsstrategie der Regierung am Ende auf: Der Mythos "Kohlekonsens" war geboren.

Hierauf angesprochen, verweisen die Verbände nach wie vor gerne auf ein Politikversagen. Doch die Politik, also die Regierung, hat nach ihren eigenen Maßstäben keineswegs versagt – sie hat die Klimabewegung clever abblitzen lassen und die Umweltverbände dabei lange Zeit erfolgreich eingespannt.

Die Klimabewegung muss in Zukunft stärker hinschauen, wer wo mit welcher Legitimität für sie spricht. Bei allem Wunsch nach geschlossenem Auftreten sollten reale Interessenkonflikte, strategische Differenzen und Machthierarchien innerhalb der – breit verstandenen – Bewegung nicht kleingeredet werden.

Denn dass es nicht schwer ist, Fehler zu wiederholen, zeigt sich gerade in der Agrarpolitik. Nur wenige Tage nach dem Kohlegesetz setzte die Bundesregierung ihre "Zukunftskommission Landwirtschaft" ein. Die Umweltverbände beklagten sich im Vorfeld darüber, aus den Verhandlungen über Rahmen- und Zielsetzung der Kommission ausgeschlossen zu sein.

Dennoch werden auch die drei am Kohle-"Konsens" beteiligten Verbände wieder mitmachen – in zwei Fällen werden sie sogar von den gleichen Personen vertreten.

Dabei wird bestimmt nicht die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation der Landwirtschaft herauskommen. Während der Greenpeace-Vertreter hier einen "Systemwechsel" fordert, antwortet er ausweichend auf die Frage, bis zu welchem Punkt er die Kommissionsarbeit dieses Mal mittragen will.

Bleibt also als einzige Lehre aus der Kohlekommission, besser keine roten Linien zu formulieren, damit man nicht wieder wortbrüchig werden kann?

Nach zwei herben Enttäuschungen nicht einfach weitermachen

Zurück zum Kohlegesetz. Wie auch beim Konjunkturpaket, betrieb die Bundesregierung hier Erwartungsmanagement mit Überdrehungsmanövern. Dort war es die Abwrackprämie, hier die zwischenzeitlich vorgesehenen direkten Anreize zur Laufzeitverlängerung für unrentable Kraftwerke.

Die Strategie besteht darin, zunächst die schlimmsten Befürchtungen zu wecken, um dann mit geringen Abstrichen vom "Worst Case" Erleichterung auszulösen. Der Gesetzentwurf mit seinen zusätzlichen Zumutungen war seit Januar bekannt. Dass danach bei der Klimabewegung wenig passierte, war sicherlich der Coronakrise geschuldet, aber auch der eineinhalbjährigen Hinhaltetaktik der Bundesregierung.

Als Ende Mai klar war, dass es jetzt ernst würde, mobilisierte die Bewegung noch einmal, so gut es unter Corona-Bedingungen ging – vor allem die selbstorganisierten Gruppen, weniger die unter Corona noch zögerlicheren Verbände. Mit diesem Kraftakt wurde bei aller fehlenden realpolitischen Durchsetzungskraft das Gesetz zumindest erfolgreich diskreditiert: Viele Leitmedien kritisierten ungewohnt deutlich den klimapolitischen Totalausfall und die ausstiegsverzögernden Subventionen für die Kohle.

Und nun? Für Fridays for Future ist dieses Gesetz nach dem Klimapaket von 2019 die zweite herbe Enttäuschung. Bei aller berechtigten Kritik an der "Großen Kohle-Koalition" versprechen die Alternativen wenig Besserung.

Die SPD unterstützt auch ohne Union weiter bedingungslos jeden dreckigen Industriezweig. Am Kohlegesetz störte sie nur, dass Steinkohlekonzernen weniger großzügige Geschenke winkten als Braunkohlefirmen.

Die Grünen-Spitze bereitet gerade laut hörbar ein schwarz-grünes Bündnis vor, das vielleicht ein paar grüne Wirtschaftsfördertöpfe aufsetzen und den Rest des klimapolitischen Kapitals für ein Tempolimit opfern könnte, aber sicher nicht die Grundfesten des deutschen Exportmodells antasten wird.

Die spannende Frage ist, welche Strategie das "For Future"-Spektrum nun verfolgen kann, nachdem das eindringliche Appellieren zwar die Widersprüche der herrschenden Klimapolitik offengelegt hat, sie aber bislang nicht aufzubrechen vermochte.

Auch der Organisationsgrad der Bewegung rückt hier in den Fokus: Wie können die im letzten September auf die Straße geholten 1,4 Millionen Menschen langfristig ins aktive politische Handeln gebracht werden?

Auch die radikalere, aktionsorientierte Klimagerechtigkeitsbewegung muss sich fragen, ob sie zu jedem Zeitpunkt taktisch klug gehandelt hat. Zu Recht verstand sie die Kohlekommission von Anfang an als Befriedungsmechanismus. Doch das brachte den Impuls mit sich, die Kommission den Umweltverbänden zu überlassen und selbst an den bewährten Aktionsformen festzuhalten: Klimacamps, Besetzungen und Blockaden von Kohleinfrastruktur.

Politisch Handelnde auf Bundes- oder Landesebene wurden eher selten direkt angesprochen – auch, als die gesellschaftliche Mehrheit für einen raschen Kohleausstieg längst da war. Wer sich aber bei den eigenen Aktionen von den politisch Verantwortlichen fernhält und darauf verzichtet, sie direkt unter Druck zu setzen, um nicht "zu appellativ" zu wirken, manövriert sich schlimmstenfalls selbst in die Harmlosigkeit.

Eine gut begründete Distanz zu offiziellen Politikprozessen sollte nicht dazu führen, diese aus dem Auge zu verlieren: Den wichtigen Bewegungsslogan "Kohleausstieg ist Handarbeit" allzu wörtlich zu verstehen bedeutet, die Machtverhältnisse zu verkennen.

Das miserable Kohlegesetz lässt sich natürlich bequem als Bestätigung sehen. Doch will man nicht nur recht haben, sondern irgendwann auch Recht bekommen, so zeigt das Gesetz schmerzlich, wie fest der realpolitische Hebel in der Hand der Gegenseite geblieben ist. An diesem Punkt gilt es strategisch zu diskutieren, wie diffuser "Bewegungsdruck" in einem Konflikt bis zum Schluss gezielter ausgeübt werden kann.

Klimagerechtigkeit bleibt Handarbeit

Gerade spitzt sich im Rheinischen Braunkohlerevier der Konflikt um die Garzweiler-Dörfer zu, der alle Unterstützung der Bewegung verdient. Doch er könnte der letzte große Kohlekampf sein.

Was den Kohleausstieg jetzt noch effektiv beschleunigen kann, wird sich überwiegend in größerer Distanz zu Politikprozessen abspielen – etwa die absehbaren juristischen Auseinandersetzungen um das Gesetz oder in benachbarten Konfliktfeldern wie den Ausbaupfaden für erneuerbare Energien oder den Entwicklungen im EU-Emissionshandel.

Die zugespitzte politische Entscheidung jedoch, auf die eine Bewegung mit ganzer Energie hinarbeiten kann, ist mit dem Kohlegesetz gefallen.

Klimagerechtigkeit insgesamt bleibt aber sehr wohl "Handarbeit". Die Bewegung wird sich neue Druckpunkte suchen müssen, wenn sie effektiv auf eine klimagerechtere Gesellschaft hinwirken möchte.

Darin liegt eine Chance: Andere Konfliktfelder wie der schon umkämpfte Verkehrssektor besitzen eine ungleich höhere "Systemrelevanz" für das exportorientierte deutsche Kapitalismusmodell. Die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer tieferen gesellschaftlichen Transformation rücken hier stärker in den Mittelpunkt: Der Konflikt lässt sich beim besten Willen nicht auf die Frage der stofflichen Basis eines einheitlichen Konsumguts wie Strom reduzieren.

Hier steht von vornherein die einschneidende Frage im Raum, wie das soziale Grundbedürfnis nach Mobilität erfüllt werden soll – und wo der ökologische Widerspruch zum Wachstumszwang greift. Die großen gesellschaftlichen Gerechtigkeitsfragen lassen sich hier noch besser verdeutlichen als im Kohlesektor, wo die konkrete Betroffenheit eher lokal begrenzt ist – und die globale sehr abstrakt.

Wenn die Klimabewegung in den nächsten Jahren den "Verkehrskonflikt" zuspitzen kann und die nächste Regierung mit der Aufstellung eines ernsthafteren Gremiums als der autoindustrielastigen Mobilitätsplattform reagieren sollte, dann zeichnen sich dieselben taktischen und strategischen Fragen ab wie im Kohlekonflikt.

Ob die Klimabewegung von Anfang an nach innen wie nach außen klarmachen kann, dass sie nichts weniger als eine klimagerechte Mobilitätswende verlangt – und dass dieses Mal kein Weg an ihr vorbeigeht?

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