Der Kohleausstieg im führenden Industrieland Deutschland ist offenbar beschlossene Sache: Bis 2035, aber spätestens 2038 soll laut dem Abschlussbericht der Kohlekommission das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen, gaben mitverhandelnde Umweltverbände am frühen Morgen bekannt.
Einen ähnlichen Vorschlag hatte Ronald Pofalla, einer der Vorsitzenden der Kommission, bereits im September vorgelegt, nach Kritik aber wieder zurückgezogen.
Mit der Einigung, die die Kommission nach 21-stündigem Verhandlungsmarathon am heutigen Samstagmorgen erzielte, soll der Hambacher Wald, wie weiter zu hören war, endgültig gerettet sein. Man habe sich auf Formulierungen geeinigt, die eine "Rodung unmöglich" machten. Auch die noch von Abbaggerung bedrohten Orte im Rheinischen Braunkohlerevier müssten nun nicht mehr der Braunkohle weichen.
Im Endbericht selbst soll der Erhalt des Hambacher Forstes nur als "wünschenswert" bezeichnet werden. Generell kann die Kommission in dem Bericht nur Empfehlungen an die Politik aussprechen.
Über die Zukunft der ostdeutschen Reviere sind noch keine Details bekannt. Insgesamt sollen die Verhandlungen, vor allem wegen des Widerstands der Ost-Braunkohleländer, mehrmals vor dem Scheitern gestanden haben. Die Umweltverbände hätten bei der Einigung, wie es hieß, "mitgestimmt, aber mit extremen Bauchschmerzen".
Ob der Kohleausstieg bereits 2035 vollzogen sein soll, soll laut Medienberichten erst 2032 entschieden werden. In den kommenden vier Jahren bis 2022 sollen aber schon 12.000 Megawatt Kohlekapazität abgeschaltet werden.
Wie schon zuvor von der Kommission empfohlen, sind Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber, Entlastungen der Stromkunden und Hilfen für die betroffenen Braunkohleregionen geplant – alles in allem zu Kosten von etwa 40 Milliarden Euro.
Lausitzer Tagebaubetroffene stimmen nicht zu
Trotz der angekündigten Rettung des Hambacher Waldes stößt die Einigung bei Klimaaktivisten auf scharfe Kritik. "Was die Kohlekommission vorlegt, ist kein Konsens", erklärte am Samstagmorgen Nike Mahlhaus vom Aktionsbündnis "Ende Gelände". Das 1,5-Grad-Ziel damit zu erreichen sei unmöglich. Was mit dem Hambacher Forst geschehe, sei weiter "unklar". Weitere 20 Jahre Kohlekraft seien "20 Jahre Kohlekraft zu viel". Dem werde man sich weiter entgegenstellen.
Das ostdeutsche Umweltnetzwerk Grüne Liga kritisierte, dass "verbindliche Schritte zum Klimaschutz im Lausitzer Revier auf die Zeit ab 2030 verschoben und die überfällige Rettung des Dorfes Proschim nicht festgeschrieben" würden. Hannelore Wodtke, Vertreterin der Lausitzer Tagebaubetroffenen in der Kohlekommission, stimmte dem ausgehandelten Kommissionspapier denn auch nicht zu.
Auch aus Sicht der globalen Klimaschutzorganisation 350.org ist 2038 kein gesellschaftlicher Konsens, wie Deutschland-Campaignerin Laura Weis klarstellte. "Nachdem Milliarden-Entschädigungen an die Kohlekonzerne, die Industrie und in die Braunkohleregionen fließen sollen, ist es unverständlich, dass der Ausstieg aus der Kohle erst 2038 erfolgen soll."
Man erwarte von der Bundesregierung, dass sie einen Ausstiegspfad beschließt, der mit dem 1,5-Grad-Limit kompatibel ist, sagte Weis. Statt 2032 zu überprüfen, ob der Ausstieg beschleunigt werden kann, müsse dieser bis dahin abgeschlossen sein.
"Wichtiger Schritt Richtung post-fossiles Zeitalter"
Kommissionsmitglied Hans Joachim Schellnhuber sprach hingegen von einem "wichtigen Schritt auf dem Weg ins post-fossile Zeitalter". Der Anfang eines geordneten Ausstiegs aus der Kohleverstromung sei gemacht, so der Klimaforscher. "Deutschland findet zurück auf den Klimaschutzpfad." Allerdings, so Schellnhuber, solle auch nicht verschwiegen werden, dass der Konsens "mühsam errungen" wurde.
Davon zeugen die Äußerungen weiterer Kommissionsmitglieder. Martin Kaiser von Greenpeace sprach zwar von einem "wichtigen Meilenstein". Es sei ein starkes Signal, dass nun auch der Hambacher Forst gerettet sei. Dass erst 2038 endgültig Schluss sein soll mit der Kohle, sei aber ein "Wermutstropfen".
Der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie, Michael Vassiliadis, der bislang einen Kohleausstieg vor 2040 abgelehnt hatte, nannte die Einigung "ausgewogen". Er betonte jedoch abermals, der Ausstieg aus der Kohle tue sehr weh und könne die Gewerkschafter "nicht glücklich machen". Grund zu jubeln gebe es nicht.
Ottmar Edenhofer, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, nannte die Einigung der Kommission "erfreulich". Sie sei die "notwendige Voraussetzung für ein Senken unseres Ausstoßes von Treibhausgasen", jedoch noch nicht hinreichend.
Nötig sei jetzt aber ein zweiter Schritt "auf dem Weg zur Stabilisierung unseres Klimas", so der Ökonom. "Deshalb brauchen wir jetzt eine effektive CO2-Bepreisung, um über Marktmechanismen den planungsrechtlichen Ausstieg abzusichern."
Eine Zusammenfassung der klima- und energiepolitischen Punkte im Abschlussbericht finden Sie hier.
Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Es muss schneller gehen