Das Kohlekraftwerk Neurath Grevenbroich ist seit 1972 in Betrieb.
Statt Klimapolitik betreibt die Bundesregierung beim Kohleausstieg taktische Spielchen, sagt Hermann Ott. (Foto: Benita Welter/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Ott, die Kohleverstromer sollen eine Entschädigung von 4,35 Milliarden Euro vom Staat erhalten, weil sie ihre Kraftwerke stilllegen sollen. Das sieht die jetzt getroffene Einigung von Bund und Ländern zum Kohleausstieg vor. Ist das angemessen?

Hermann Ott: Die EU-Kommission wird eine sehr sorgfältige Prüfung einleiten, ob diese Zahlungen mit den europäischen Beihilfevorschriften im Einklang sind – es ist also noch nichts wirklich entschieden. In einem ersten Schritt wird untersucht werden, ob diese Zahlungen als Beihilfe gewertet werden müssen – das ist höchst wahrscheinlich.

In einem zweiten Schritt wird überprüft, ob diese Beihilfen "angemessen" sind. Das ist höchst zweifelhaft angesichts der schon jetzt bestehenden Marktbedingungen. Die Energieproduktion aus Kohle ist ein zunehmend weniger profitables Geschäft. Und die Bedingungen werden sich durch steigende CO2-Preise im EU-Emissionshandel weiter verschlechtern.

Diese Zahlungen sind ein vergiftetes Geschenk an die Kohleindustrie. Vergiftet deshalb, weil sie vermutlich zurückgezahlt werden müssen.

Bis wann wird klar sein, ob der Deal so überhaupt funktioniert?

Die Überprüfung durch die EU-Wettbewerbskommissarin wird bis zu zwei Monaten dauern. Wenn Probleme festgestellt werden, gibt es eine formellere Untersuchung, die bis zu 18 Monaten dauern kann. Dann folgt die Entscheidung, die auch unter Auflagen erfolgen kann. Je nach Ausgang der Prüfung sind die schon gezahlten Beihilfen zurückzuzahlen.

Im Gegensatz zu dem, was die Bundesregierung behauptet, gibt es also keine Rechtssicherheit.

Wie verfahren andere Länder, die ebenfalls aus der Kohle aussteigen? Viele wollen ja schon früher als Deutschland kohlefrei sein, wo 2038 das Enddatum ist.

Es gibt in keinem anderen Land Vorschläge für derartig massive Entschädigungszahlungen, wie sie von der Bundesregierung angepeilt werden, und die EU-Kommission wird das bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Das ist umso erstaunlicher, als tatsächlich in vielen Ländern angesichts der Klimakrise sehr viel frühere Ausstiegsdaten gelten.

Porträtaufnahme von Hermann Ott.
Foto: privat

Hermann Ott

leitet das Deutschland-Büro der Umwelt­rechts­organisation Client Earth in Berlin. Der promovierte Jurist forschte zuvor am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie und war Bundestags­abgeordneter der Grünen.

Griechenland zum Beispiel, das in hohem Maße von Braunkohle abhängig ist, plant, schon bis 2028 auszusteigen. Großbritannien verbraucht schon jetzt 40 Prozent weniger Kohle als vor zehn Jahren und will bis 2025 komplett aussteigen. Die Niederlande haben vor Kurzem 2029 als Ausstiegsdatum gesetzlich festgelegt.

In keinem dieser Staaten werden hohe Entschädigungen vorgeschlagen. In Deutschland dagegen frisst die Bundesregierung der Kohleindustrie praktisch aus der Hand ...

Sie halten einen Ausstieg bis 2030 für nötig. Ist das tatsächlich machbar?

Ein Ausstieg aus der Kohle bis spätestens 2030 ist nicht nur klimapolitisch notwendig, sondern auch machbar, wie eine Vielzahl an Analysen gezeigt hat.

In rechtlicher Hinsicht haben wir mit Greenpeace zusammen schon im Mai 2019 einen Entwurf für ein Kohleausstiegsgesetz vorgelegt. In unserem Entwurf sind die Stilllegungen kraftwerksscharf gesetzlich vorgegeben und der Verlauf ist stetig, also gleichmäßig über die Jahre verteilt.

Wirtschaftsminister Altmaier hat ebenfalls ein Exemplar von uns erhalten – den Vorschlag aber leider nicht zum Vorbild genommen.

Rechnen Sie damit, dass es noch Korrekturen an dem Ausstiegsfahrplan geben wird?

Tatsächlich ist dieser am 16. Januar bekannt gemachte Plan der Bundesregierung so schlecht, wie es selbst skeptische Beobachter nicht erwartet hatten. Die Korrekturen werden vermutlich zunächst durch die Märkte erfolgen, denn Kohle ist nicht mehr wettbewerbsfähig – was diese Entschädigungszahlungen umso absurder macht.

Und in zwei Jahren wird eine politische Korrektur durch die nächste Bundesregierung erfolgen. Aber das war ja auch der Plan der Kohlefreunde in der Bundesregierung: Die Kohle soll als Faustpfand für die nächsten Koalitionsverhandlungen mit den Grünen erhalten bleiben.

Anzeige