Menschen in roten Hängematten, die an Bäumen befestigt sind
Aktivisten nutzten im Wald Hängematten um "rote Linien" aufzuzeigen – eine beliebte Symbolik der Klimabewegung für Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Die Aktion stand unter dem Motto "Weil wir am Wald hängen". (Foto: Hendrik Althoff/Ende Gelände/Flickr)

"Die Annahme, dass der Forst gerettet werden kann, das ist Illusion", hatte sich RWE-Vorstandschef Rolf Schmitz im September letzten Jahres kämpferisch gegeben. Er wollte damit endlich wieder klare Verhältnisse schaffen in der Auseinandersetzung um Deutschlands Klimapolitik.

Seit Wochen schon demonstrierten Tausende gegen die Räumung des besetzten und inzwischen weltbekannten Hambacher Forstes bei Köln. Die von RWE beantragte Räumung sollte den Weg freimachen für die letzte Rodungssaison am Hambacher Wald.

Doch der Kohlekonzern und die Landesregierung hatten den Gegenwind aus der Gesellschaft und den Widerstand vor Ort unterschätzt, der die Verhältnisse heftig durcheinanderwirbelte.

Schon am "Tag X", dem ersten Tag der geplanten Räumung, demonstrierten über 1.500 Menschen am Rand des Waldes, während katholische und evangelische Geistliche aus der Region eine Sitzblockade im Wald anführten. 86 Baumhäuser wurden von der Polizei in den folgenden Wochen zerstört, dazu Tunnelsysteme, meterhohe Dreibeine mit Hängematten und unzählige Bodenkonstruktionen.

Um den Druck zu erhöhen und einen politischen Flächenbrand auszulösen, erweiterte die Klimabewegung während der Räumung das Terrain des Widerstandes: Die Landesvertretung Nordrhein-Westfalens in Berlin wurde ebenso besetzt wie die Staatskanzlei in Düsseldorf. An der Räumung beteiligte Sub-Unternehmen wurden öffentlich zur Verantwortung gezogen.

Digital sammelten Umweltverbände über eine halbe Million Unterschriften für den Erhalt des Waldes, analog schalteten Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe "Zucker im Tank" mit ihren Blockaden sogar ein Kohlekraftwerk eine Zeitlang ab. Innerhalb weniger Tage waren alle Autobahnen ins Revier, unzählige Hauswände in Städten im ganzen Land und Livestreams aus dem Wald geflutet mit einer Botschaft: "Hambi bleibt!"

RWE-Chef Schmitz, NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wussten, dass es in diesen Tagen ums Ganze ging: Eine gescheiterte Räumung oder eine verhinderte Rodung würden als riesiger Erfolg der Klimabewegung und Meilenstein des Kohleausstiegs in die Geschichtsbücher eingehen und sie vor einem politischen Scherbenhaufen sondergleichen stehen lassen.

Landesregierung stand ganz auf der Seite von RWE

Schon im Prolog zu der millionenteuren Räumung hatte sich die Landesregierung ganz auf die Seite von RWE geschlagen, als die an den Wald grenzenden Gemeinden Merzenich und Kerpen die Räumungsanträge des Kohlekonzerns ablehnten.

Sie konstruierte in eilig bestellten und bis dato lange geheim gehaltenen Rechtsgutachten einen fehlenden "Brandschutz" der Baumhäuser als sofort vollziehbaren Räumungsgrund, um ein polizeiliches Eingreifen zu rechtfertigen. Ein Jahr später sind viele Fragen zu möglichen Hintergrundabsprachen offen, weswegen Klimabewegte einen Untersuchungsausschuss im Landtag fordern.

Porträtaufnahme von Daniel Hofinger.
Foto: privat

Daniel Hofinger

wohnt im Rheinland und ist im dortigen Kohlerevier seit mehreren Jahren für Klimagerechtigkeit aktiv. RWE fordert von dem 25-Jährigen wegen kohlekritischer Äußerungen 50.000 Euro. Während der Räumung des Hambacher Forstes beeindruckten ihn die Hebebühnen, das Wachstum der Proteste und die Kreativität der Klimabewegung.

Der heftige Protest gegen die Räumung fiel nicht vom Himmel: Dank der jahrelangen Arbeit von Waldbesetzern und Unterstützungsgruppen in ganz Deutschland, Klimacamps, Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen und Aktionsbündnissen sprachen sich vor der Räumung mehr als drei Viertel der Bevölkerung für den Erhalt des Hambacher Forstes aus.

Es liegt in der Natur fossiler Rohstoffprojekte, dass der Profit privater Unternehmen oft gewaltvoll gegen die öffentliche Meinung durchgesetzt werden muss. Viel zu viele Menschen hatten in diesen Wochen viel zu viel Gewalt erfahren, viel zu viele physische und psychische Verletzungen erlitten.

Das gilt besonders für die Familie und die Freunde von Steffen Meyn, der am 19. September 2018 bei einem tragischen Unfall von einer Verbindung zwischen zwei Baumhäusern stürzte. Steffens Tod war ein Schock, eine Zäsur, unendlich schmerzhaft.

Die Räumung wurde kurzzeitig unterbrochen, doch schon nach wenigen Tagen fortgeführt. Selbst die Gedenkstätte am Unglücksort wurde zerstört – im zunehmend fragwürdigen Bestreben der Regierung, Konzerninteressen gegen die der Bevölkerung durchzudrücken.

Strategie der Unbarmherzigkeit führte in die Zwickmühle

Es war schließlich auch diese Strategie der Unbarmherzigkeit, mit der sich die Landesregierung in eine Zwickmühle manövrierte. Um ihre wahren Absichten zu verschleiern, musste sie von Anfang an große Teile des Protests als radikale und unrealistische Randgruppen diskreditieren, entgegen jeglicher Wirklichkeit vor Ort. In bester Fake-News-Manier lancierte sie sogar Berichte, wonach es im Hambacher Wald Tunnelsysteme wie in Vietnam gebe.

Um seiner eigenen Illusion gerecht zu werden, war der martialische Polizeieinsatz, mit dem Innenminister Reul auch sein Law-and-Order-Image aufpolieren wollte, eine fast schon zwingende Konsequenz.

An dieser Stelle zeigte die Klimabewegung Raffinesse und Weitsicht: Anstatt zu finden, was die Regierung versprochen hatte, stießen die Polizeitrupps im Wald auf Gitarre spielende Hippies unter Bäumen, spazierende Rentnerinnen und ganze Familien, die noch mehr Material zu den Barrikaden trugen.

"Bilder, wie die Polizei Eltern und Kinder einkesselt oder aus dem Wald trägt, wird RWE so wenig ertragen können wie die Braunkohle-freundliche Landesregierung in Düsseldorf", schrieb die Süddeutsche Zeitung Wochen vor der Räumung. Sie sollte recht damit behalten: In der medial wirksamen Symbolik der ungerechten bis undemokratischen Lage im Kohlerevier lag ein entscheidender Vorteil der Klimabewegung.

Die Polizei war bis zum 3. Oktober letzten Jahres damit beschäftigt, die 86 Baumhäuser des Hambacher Forst zu räumen. Der Klimabewegung gelang in dieser Zeit etwas anderes: Sie veränderte die politische Stimmung im Land und erweiterte die Grenzen des Vorstellbaren. Das Oberverwaltungsgericht Münster meißelte zwei Tage später in Stein, was in der Gesellschaft längst Konsens war: Der Hambacher Wald darf, zumindest vorläufig bis Ende 2020, nicht gerodet werden.

Es war das Finale einer epischen Auseinandersetzung – und der Beginn einer neuen Epoche der Klimabewegung: Weit über 50.000 Menschen feierten am nächsten Tag ihren Erfolg, besetzten den Forst erneut und erschufen eine neue Realität: Hambi bleibt.

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