Klimareporter°: Frau Kenkmann, im letzten Jahr hat die Fridays-for-Future-Bewegung in den Städten und Gemeinden viel Druck gemacht, dass im Klimaschutz endlich mehr passiert – und zwar erfolgreich. Steht das wegen der Corona-Folgen nun alles auf der Kippe?
Tanja Kenkmann: Die Gefahr ist groß. Die Angst vor Einnahmeverlusten und knapperen Mitteln könnte dazu führen, dass ausgerechnet beim Klimaschutz gespart wird.
Das wäre aber fatal, denn die Kommunen spielen für den Klimaschutz eine ganz entscheidende Rolle. Die Zukunft der Mobilität und des Wohnens wird vor allem in den Städten entschieden. Und Fridays for Future und andere Gruppen werden hier sicher nicht locker lassen, ihre Forderungen werden mit Macht wiederkommen.
Aber die Kommunen haben durch die Coronakrise erhebliche Einbußen. Der Städtetag beziffert allein den Rückgang aus der Gewerbesteuer auf 20 Milliarden Euro. Muss der Bund helfen, damit nicht ausgerechnet die zukunftsweisenden Projekte unter die Räder kommen? Und wie?
Ja, der Bund ist hier definitiv in der Pflicht. Die staatliche Hilfe für unsere rund 11.000 Kommunen in Deutschland sollte ausgeweitet werden – und zwar mindestens um die gleiche Summe, die jetzt an Konzerne gehen soll.
Es kann nicht sein, dass Steuermilliarden an einige wenige Großunternehmen fließen, wie etwa die Lufthansa, und die Kommunen leer ausgehen. Unabhängig davon müssen die Städte und Gemeinden natürlich auch neue Wege finden.
Was können die Kommunen selbst tun?
Eine ganze Menge. Erstens nehmen die Kommunen eine wichtige Informations- und Motivationsrolle ein, mit vielen Modell- und Klimaschutzprojekten und den kommunalen Klimaschutzmanagern. Das muss weiterlaufen.
Zweitens können sie über Bürgerbeteiligung und Genossenschaften privates Kapital für den Klimaschutz mobilisieren – für Solarstrom-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden, für Windkraft-Anlagen, Blockheizkraftwerke und die Gebäudesanierung.
Tanja Kenkmann
koordiniert am Öko-Institut in Freiburg seit zehn Jahren die Forschung und Beratung zum kommunalen Klimaschutz. Sie hat Geografie und Umweltmanagement in Berlin studiert. Seit 2004 arbeitet sie zur Energiewende in Deutschland.
Eine weitere interessante Möglichkeit, auch für professionelle Anleger, ist hier das Energiecontracting: Ein Dienstleister investiert in Energieeffizienz und -versorgungstechnik und refinanziert sich durch die Verbrauchsminderung.
Bei der Gebäudesanierung können die Kommunen bei den eigenen Gebäuden vorangehen und für neue Baugebiete Energiestandards und Solar-Dachanlagen vorschreiben.
Drittens gibt es ja auch Klimaschutzmaßnahmen, die wenig Geld kosten, aber eine große Wirkung haben, etwa die flächendeckende Einführung von Tempo 30 in Kommunen. Das sollte endlich als bundeseinheitliche Regelung kommen, mindestens aber sollte es den Kommunen erlaubt werden, diese Maßnahme in Eigenregie durchzuführen.
In der aktuellen Krise gibt es auch überraschende neue Initiativen wie die Umwidmung von Autospuren zu Radwegen, etwa in Berlin. Sehen Sie Chancen, diese Umverteilung des Straßenraums nach Corona voranzutreiben?
Im Moment sind das ja noch "Pop-up-Spuren", vergleichbar mit Absperrungen für Baustellen. Aber die werden zum Pop-Hit werden. Schon jetzt wird das in vielen Städten im In- und Ausland gemacht, darunter auch in Metropolen wie Paris, Mailand, New York und Mexiko-Stadt.
Das entspricht bei uns übrigens auch der Vorschrift der vor Kurzem geänderten Straßenverkehrsordnung, nach der Autos beim Überholen anderthalb Meter Abstand von Fahrrädern halten müssen. Schon vor der Coronakrise gab es das Problem, dass durch den Fahrrad-Boom die Sicherheit für die Radfahrer auf den engen Radwegen nicht mehr gegeben ist.
Deswegen ist es wichtig, den Verkehrsraum neu aufzuteilen. Mehr Sicherheit im Straßenverkehr und weniger Unfälle entlasten übrigens auch die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem.
Der öffentliche Verkehr ist wegen Corona ins Hintertreffen geraten. Viele, die kein Homeoffice machen konnten, sind aufs Auto oder das Fahrrad umgestiegen. Gibt es eine Chance, Busse und Bahnen zu stabilisieren?
Rollback oder Öko-Neustart?
Kohleausstieg verschieben, CO2-Preis überprüfen, Pkw-Emissionsziele strecken: Aus Wirtschaft und Politik mehren sich die Forderungen, Klimaschutz-Regeln beim Ankurbeln der Wirtschaft auszusetzen oder zu streichen. Der Corona-Neustart muss aber genutzt werden, um Klima- und Umweltschutz den überfälligen Push zu geben. Wie, das beleuchtet Klimareporter° in einer Interview-Serie mit prominenten Fachleuten.
Es gibt sie, und sie muss genutzt werden. Mit noch mehr Autos als vor Corona würde der Stadtverkehr kollabieren.
Spätestens nach der Coronakrise werden die meisten der bisherigen Kunden natürlich weiterhin Busse und Bahnen nutzen wollen. Aber der Anteil des ÖPNV muss ja weiter steigen, um die CO2-Ziele zu erreichen.
Was muss konkret passieren?
Die Bundesregierung hat in ihrem Klimaschutzprogramm eine finanzielle Unterstützung des ÖPNV angekündigt. Die muss im Rahmen des Corona-Rettungsschirms noch ausgeweitet werden. Es besteht sonst die Gefahr, dass Großprojekte wie der Ausbau von S- oder Straßenbahnen gestrichen oder auf die lange Bank geschoben werden.
Außerdem muss der Umbau zur "Stadt der kurzen Wege", die in vielen Kommunen seit Jahren Leitbild der Stadtplanung ist, konsequent umgesetzt werden, um den Verkehr zu reduzieren. Auch das kostet Geld.
Viele Städte haben, beginnend mit Konstanz vor einem Jahr, den Klimanotstand ausgerufen. Alle Entscheidungen der Stadt müssen daraufhin geprüft werden, ob sie mit den Klimazielen kompatibel sind oder nicht. Ist das auch jetzt noch der richtige Weg?
Der einzig richtige Weg. In der Coronakrise fürchten wir eine zweite Infektionswelle, die eventuell einen neuen Lockdown nötig macht. Bei der Klimaerhitzung kommt schon seit Jahren eine Welle nach der anderen. Bevor das zum Tsunami wird, müssen wir gegensteuern – in den Städten, national und global.