Die Schüler beim Klimastreik fordern einen schnellen Kohleausstieg. (Foto: Svea Busse)

Im Invalidenpark vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin haben sich mehrere tausend Schüler aus ganz Deutschland versammelt. Plötzlich kommt Unruhe in die Menge. "Der Vizekanzler kommt!" ruft jemand im Überschwang.

Tatsächlich erscheint aber – begleitet von einer Polizei-Eskorte – nicht Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD), sondern Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

Altmaier will dann offenbar etwas sagen – doch die Demonstrierenden lassen ihn nicht zu Wort kommen. "Der soll zurück in sein Ministerium und arbeiten", ruft einer. "Wir sind hier, weil Sie ihre Arbeit nicht richtig machen", ruft ein anderer. "Abschalten, abschalten",  skandieren die jungen Leute.

Zuvor hatte eine Delegation der Fridays-for-Future-Bewegung mit Altmaier sprechen können und ihm ihre Kernforderungen vorgetragen. Im Anschluss daran überreichten die fünf Schüler und Studierenden der Kohlekommission einen offenen Brief, den mehr als 50 Ortsgruppen der Bewegung unterzeichnet hatten.

Den Brief hatten die Schüler und Studierenden gestern veröffentlicht. Eine Folge war die Einladung, beim heutigen Treffen der Kommission ihr Anliegen vorzutragen. "Es ist ein Problem, dass die Stimme der jungen Generation in der Kohlekommission nicht vertreten ist", beschwert sich die Münsteraner Studentin Carla Reemtsma.

"Wir hatten das Gefühl, dass uns der Minister ernst nimmt", erzählt der 18-jährige Jakob Blasel aus Kiel nach dem Gespräch mit Altmaier und der Kohlekommission. "Was er und auch die Kohlekommission aber nicht ernst genug nehmen, sind der Klimawandel und unsere Zukunft."

"Unser Haus steht in Flammen"

Die schwedische Schülerin und Klimaaktivistin Greta Thunberg hat vom Weltwirtschaftsforum in Davos aus ihre Altersgenossen aufgerufen, "wütend" für die Zukunft zu kämpfen, wie die Neue Zürcher Zeitung berichtet. Es gebe keine Grauzone mehr, wenn es ums Überleben gehe. "Unser Haus steht in Flammen", sagte die 16-Jährige. Alle politischen Bewegungen und auch die Medien hätten es bisher nicht geschafft, wirkliche Veränderungen herbeizuführen.

Die Zeit für Höflichkeiten sei vorbei, erklärte Thunberg. Jetzt sei es an der Zeit, deutlich zu werden. Die Klimakrise zu lösen sei die größte und komplexeste Herausforderung, der die Menschheit je gegenüberstand.

In Davos gehe es – wie überall – nur um Geld, sagte die Aktivistin. Es habe den Anschein, dass Geld und Wachstum die einzige Sinnerfüllung der Menschen seien. Und weil die Klimakrise eine Krise sei, die noch nicht als solche erkannt wurde, seien viele Menschen sich der Konsequenzen nicht bewusst. Noch aber gebe es eine Lösungsmöglichkeit, "so einfach, dass selbst ein kleines Kind sie versteht: Wir müssen den Ausstoß von Treibhausgasen stoppen".

"Wir appellieren an die Verantwortung der Leute, die dort grade Entscheidungen treffen, denn Klimapolitik ist Zukunftspolitik und was auf dem Spiel steht, ist unser aller Zukunft", fügt Clara Reemtsma hinzu.

Per Whatsapp hatten sich die Schüler auf ihre Kernforderungen geeinigt. Um ihre Zukunft zu sichern, verlangen sie die sofortige Abschaltung der fünf ältesten Kohlekraftwerke sowie 14 weiterer Blöcke bis zum Jahr 2020.

Bis 2030 soll nach Vorstellung der jungen Leute der Kohleausstieg vollständig abgeschlossen sein. Für Umschulungen und Weiterbildungen der Beschäftigten soll das Geld direkt an die Menschen und Regionen gezahlt werden und nicht an die Kohlekonzerne.

Soziales Lernen

Die neue Jugendbewegung ist geprägt von den Protesten um den Hambacher Forst im vergangenen Jahr. Viele Schüler tragen auf der Demo die grüne "Hambi bleibt"-Flagge über den Schultern. Auch der Erhalt des Waldes taucht in den fünf Kernforderungen auf.

Während der Auftaktkundgebung um die Mittagszeit vor dem Ministerium kommen ständig neue Busladungen voller junger Leute an, aus jeder ankommenden Straßenbahn strömen Menschen. Aus ganz Deutschland hatten sich die Schüler Busse und gemeinsame Zugfahren organisiert. Kleinere Kinder werden von Erwachsenen zur Demonstration begleitet, andere sind gleich in Klassenstärke erschienen.

"Wir haben normalerweise am Freitagnachmittag Unterricht und soziales Lernen. Wir machen jetzt hier einfach 'soziales Lernen' und nächste Woche dafür dann etwas mehr Englisch", erklärt eine Lehrerin, die mit ihrer ganzen Klasse gekommen ist.

Von der Schulleitung soll der "Ausflug" gestattet worden sein. Im Unterricht hätten sich die Schüler, fährt die Lehrerin fort, mit dem Thema Kohle auseinandergesetzt und als Vorbereitung auf die Demo in ihrer Freizeit Plakate gemalt.

"Die Fabriken stoßen ganz viel CO2 aus und erwärmen damit die Umwelt", erklärt die zehnjährige Kaya aus der Klasse. "Wir wollen nicht, dass es dann keinen Winter mehr gibt und die Eiskappen schmelzen", ergänzt ihre Freundin Vanessa. Eine Lösung für die Umweltprobleme haben die beiden auch parat: Man könne Energie auch anders erzeugen, zum Beispiel mit Windrädern.

Schon gestern hatten sich über 30.000 junge Menschen an Klimastreiks in Belgien beteiligt. In Berlin schätzen die Veranstalter die Teilnehmerzahl auf 10.000. In München zählte die Polizei 3.000 Klimastreikende. Kundgebungen gab es in weiteren deutschen Städten.

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