Großkraftwerk Mannheim am Abend, vom Rheinauhafen aus gesehen.
Großkraftwerk Mannheim am Rhein: Baden-Württemberg wollte mehr Geld für die Stilllegung seiner Steinkohlekraftwerke. (Foto: Ulf Waldeck/​Wikimedia Commons)

In den Jahren 2013 bis 2015 wurden in Deutschland, man mag es kaum glauben, neue Steinkohle-Kraftwerksblöcke mit fast 6.000 Megawatt Gesamtleistung in Betrieb genommen – unter anderem in Mannheim, Karlsruhe, Lünen, Hamburg und Wilhelmshaven. Gut ein Drittel der heutigen Kapazität.

Vor allem diese im Branchenjargon als "junge Steinkohle" titulierten Anlagen hielten in den letzten Tagen die endgültige Einigung der Koalition über das Kohleausstiegsgesetz auf. Zu groß war der Druck der vielfach kommunalen Eigner, dass diese Anlagen, die in den letzten Jahren sowieso oft Verluste einfuhren, nicht einmal mehr ihre Investitionskosten einspielen.

Erst am gestrigen Montagabend hissten die Koalitionäre von Union und SPD nach tagelangen Verhandlungen die weiße Flagge und erzielten zu diesen Steinkohleanlagen eine Einigung, die Klimareporter° erneut als sogenannte Formulierungshilfe des Bundeswirtschaftsministeriums vorliegt.

Diese wurde, wie das Ministerium mitteilte, heute auch schon vom Bundeskabinett beschlossen. Damit sei der Weg frei für eine Verabschiedung des Kohleausstiegs- und des Strukturstärkungsgesetzes durch den Bundestag noch in dieser Woche.

Ein erster Vergleich mit der bereits in der vergangenen Woche aus dem Wirtschaftsausschuss des Bundestages bekannt gewordenen Formulierungshilfe zum Ausstiegsgesetz (Klimareporter° berichtete) zeigt allerdings, dass die jüngsten Veränderungen in der vom Kabinett beschlossenen Formulierungshilfe eher marginal sind.

Neu eingefügt wurde vor allem im Paragrafen 54, der sich mit den künftigen Überprüfungen des Ausstiegspfades befasst,  der Passus, dass bei den Steinkohleanlagen, die "seit dem 1. Januar 2010 in Betrieb genommen wurden", eine Anpassung des gesetzlichen Rahmens erforderlich sei.

Regelung soll "unzumutbare Härten" vermeiden

Berücksichtigen will die Bundesregierung dabei, wie es weiter heißt, die "dann vorliegende Wettbewerbssituation und die Möglichkeit zur Erwirtschaftung von Deckungsbeiträgen durch diese Steinkohleanlagen, die Einnahmen aus bestehenden Stromliefer- und Leistungsvorhalteverträgen sowie die Möglichkeit zu Umrüstungen, etwa anhand des Kohleersatzbonus nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz oder anhand vergleichbarer Förderprogramme für den Einsatz von Biomasse und Wasserstoff".

Für Steinkohleanlagen, die seit 2010 in Betrieb genommen wurden, und "die bis zu den Zeitpunkten der Evaluierungen weder eine Entschädigung im Wege der Ausschreibung erhalten haben noch die Förderprogramme zur Umrüstung oder zum Ersatz der Steinkohleanlage nutzen konnten", sei eine Regelung vorzusehen, die "unzumutbare Härten" vermeidet. Dies könne durch eine beihilferechtskonforme Entschädigung von Härtefällen oder durch wirkungsgleiche Maßnahmen erfolgen.

Zuvor hatte es in dem Paragrafen nur recht allgemein geheißen, die Bundesregierung werde 2026 prüfen, "ob für Steinkohleanlagen, die seit dem 1. Januar 2010 in Betrieb genommen worden sind, eine Anpassung des gesetzlichen Rahmens erforderlich ist".

Die vorgenommene Änderung, quasi eine "Lex junge Steinkohle", wird in der Erläuterung zum Paragrafen 54 nochmals ausdrücklich damit begründet, dass die Betreiber "erst vor kurzer Zeit erhebliche Investitionen getätigt haben" und es unklar sei, ob und in welchem Zeitraum diese Investitionen zurückverdient werden könnten. Deshalb solle, um vor allem vorzeitige Wertberichtigungen zu vermeiden, bei allen drei geplanten Evaluierungen des Gesetzes die besondere Lage der "jungen" Steinkohle überprüft werden.

Politisches Signal für die Steinkohle

Warum eine derartige, eher symbolische politische Absichtserklärung die Verhandlungen tagelang aufhielt, lässt sich nur damit erklären, dass die schon in der letzten Woche der Steinkohle bereits zugestandenen Millionen-Zahlungen an die Betreiber besonders dem Finanzministerium ein Dorn im Auge waren, wie das Magazin Der Spiegel schrieb.

Da kommt einiges zusammen: heraufgesetzte Höchstpreise bei den Ausschreibungen, ein verlängerter Zeitraum bei den Steinkohle-Ausschreibungen, ein höher Kohleersatzbonus sowie eine höhere Förderung für Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Und dann sollte für die "junge Steinkohle" noch weiter draufgelegt werden?

Neben dem finanziellen Aspekt stellt sich die generelle Frage, ob die klimapolitisch nun wirklich in jeder Hinsicht falsche Entscheidung zum Bau der fossilen Anlagen jetzt noch nachträglich belohnt werden muss.

Wie auch immer: Der nun gefundene Kompromiss besteht offenbar in der ins Gesetz gehobenen Überprüfungslyrik, die aber erstmal kein zusätzliches Geld kostet. Ansonsten werden aber die schon letzte Woche vorgeschlagenen Vergünstigungen beibehalten.

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der sich seit Monaten für die Interessen der Steinkohlebetreiber eingesetzt hat, zeigte sich heute hochzufrieden. Die verlängerte Ausschreibungszeit für Steinkohlekraftwerke sei "angemessen" und auch die Lage der "jungen" Steinkohlekraftwerke, die ab 2010 ans Netz gingen, habe sich verbessert, betonte VKU-Geschäftsführer Ingbert Liebing.

Längerer Steinkohlebetrieb soll Klimaschutz sein

Zwar verschiebe die geplante Evaluierung die endgültige Entscheidung in die Zukunft, bemängelte Liebing. Entscheidend sei aber, dass die Regierungsfraktionen das Ziel im Gesetz ausdrücklich verankerten, vorzeitige Wertberichtigungen zu vermeiden.

Das politische Signal für die Steinkohle scheint vor allem davon betroffenen Bundesländern wichtig zu sein. So erklärte Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne), dass nunmehr die "Benachteiligungen der Steinkohleländer wie Baden-Württemberg entschärft" seien.

Bisher, so Untersteller weiter, habe der Gesetzentwurf "eindeutig" Braunkohlekraftwerke bevorzugt. Die Ausstiegsbedingungen für die Braunkohle seien ungleich besser gewesen als für "emissionsärmere moderne Steinkohlekraftwerke".

Was ein verlängerter und teurerer Ausstieg aus der "emissionsärmeren" Steinkohle mit Klimaschutz zu tun hat, müsste der grüne Minister dann aber nochmal gesondert erläutern.

Anzeige