Noch vor der Sommerpause soll das Kohleausstiegsgesetz vom Bundestag verabschiedet werden. Das jedenfalls sei sein Ziel, sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Ein Schritt dazu ist eine dreistündige Gesetzes-Anhörung am Montag im Wirtschaftsausschuss des Bundestages.
Die teilweise 50 Seiten starken Stellungnahmen zweifeln zwar kaum an, dass mit dem Gesetz im Jahr 2038 der letzte deutsche Kohlemeiler vom Netz gehen wird. Viele Details werden aber teilweise vernichtend kritisiert.
So sollen den Betreibern von Braunkohle- und zum Teil auch Steinkohlekraftwerken Entschädigungszahlungen für die Stilllegung zustehen. Damit haben sie einen Anreiz, sich an den gesetzlichen Ausstiegsfahrplan zu halten. Das könnte aber auch dazu führen, dass Meiler nur wegen dieser Abschaltprämie weiterbetrieben werden und nicht, weil es sich wirtschaftlich noch lohnt. In dem Fall würde das Gesetz den Kohleausstieg verzögern.
Diese Befürchtung erhielt in den letzten Monaten neue Nahrung. So schätzt der britische Thinktank Carbon Tracker, dass schon im vergangenen Jahr rund 90 Prozent der deutschen Kohlekraftwerke ihre Kosten nicht decken konnten. Mit jeder erzeugten Megawattstunde Strom verloren die Betreiber im Schnitt umgerechnet acht Euro.
Nicht nur bei den Kosten, auch bei der Auslastung kommt die Kohleverstromung unter Druck. Im April 2020 deckte Braun- und Steinkohle nur noch 16 Prozent der deutschen Stromproduktion ab. Im Vorjahr lag dieser Wert noch bei knapp 30 Prozent.
Der Rückgang liegt an einem steigenden Anteil von Ökostrom, aber auch Gaskraftwerke konnten – aufgrund sehr niedriger Gaspreise – Kohlestrom aus dem Markt drängen.
Stillstand von Kohlekraftwerken heißt nicht Stilllegung
Dass viele Kohlekraftwerke derzeit öfter stillstehen, bedeutet allerdings nicht, dass der jeweilige Betreiber bereit ist, seine Anlage für immer vom Netz zu nehmen. Das tut er nur, wenn er davon ausgehen muss, dass das Kraftwerk auch in Zukunft nicht rentabel betrieben werden kann.
Das hängt von mehreren Faktoren ab. So war die inländische Stromnachfrage im April 18 Prozent niedriger als im Vorjahr. Wie sich die Nachfrage entwickeln wird, hängt mittelfristig vom weiteren Verlauf der Corona- und Wirtschaftskrise ab.
Für die USA erwartet die US-Investmentbank Goldman Sachs, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erst im Oktober 2021 wieder das Niveau vom Januar dieses Jahres erreicht. Voraussetzung ist allerdings, dass es keine zweite Lockdown-Welle gibt und sich die Wirtschaft von jetzt an langsam wieder normalisiert. Wie das in Deutschland vor sich gehen wird, ist noch nicht klar.
Doch selbst wenn der Strombedarf wieder zulegt, sehen sich Betreiber von Kohlemeilern einen stetig steigenden Anteil an Ökostrom gegenüber. Zwar wird Ende 2022 das letzte deutsche AKW abgeschaltet – an diese Stelle könnte aber nicht Kohlestrom, sondern Strom auf Gasbasis rücken.
Dies liegt an drei Preisen: dem Erdgas- und Kohlepreis sowie dem Preis für das Recht, CO2 auszustoßen.
Der Gaspreis in Europa sank in den letzten beiden Jahren um zwei Drittel. Zurzeit besteht auf dem Weltmarkt ein Überangebot an Flüssigerdgas (LNG). Zudem steht die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 kurz vor der Vollendung. Sie verdoppelt die Exportkapazität von Russland nach Deutschland. Damit dürfte der Gaspreis in Europa auch künftig niedrig bleiben.
Der Preis für Steinkohle hingegen fiel in den letzten beiden Jahren nur um die Hälfte. Und dann sind da noch die Kosten für CO2-Emissionsrechte: Für jede Megawattstunde Strom emittiert Braunkohle mehr als eine Tonne des Treibhausgases, Steinkohle knapp eine Tonne – moderne Gaskraftwerke aber weniger als eine halbe Tonne.
Bis Mitte 2017 spielte das keine Rolle, weil der Preis für den Ausstoß einer Tonne CO2 bei rund fünf Euro lag. Seither ist der Preis aber auf bis zu 28 Euro gestiegen und schwankte zuletzt zwischen 15 und 21 Euro. Carbon Tracker schätzt, dass der CO2-Börsenpreis unter neun Euro liegen müsste, damit Steinkohle gegenüber Gas beim Strom konkurrenzfähig ist.
Feste Entschädigungen – auch wenn sich die Lage ändert
Der Strompreis lag im April im Schnitt bei 16 Euro pro Megawattstunde. Das ist weniger als die Hälfte des Vorjahreswerts und deckt bei Kohlekraftwerken nicht einmal die Kosten für die Verschmutzungsrechte.
Die Preise an der Leipziger Strombörse schwanken allerdings sehr stark – davon können nur Kraftwerke profitieren, die schnell hoch- und runtergefahren werden können, wie Wasser- und Gaskraftwerke sowie moderne Steinkohlekraftwerke. Braunkohle- und Atomkraftwerke hingegen sind eher unflexibel.
Alles in allem haben die Betreiber von Kohlekraftwerken derzeit einen starken wirtschaftlichen Anreiz, ihre Kraftwerke von sich aus stillzulegen. Ob sich dieser Anreiz künftig abschwächt oder weiter verstärkt, lässt sich kaum abschätzen.
Dennoch ist im Kohleausstiegsgesetz zumindest für die Braunkohle eine feste Entschädigung von 4,35 Milliarden Euro festgelegt, kritisiert Hanns Koenig von der Beratungsfirma Aurora Energy Research in seiner Stellungnahme für den Wirtschaftsausschuss. Diese Vorab-Festlegung bei der Braunkohle lasse keine Anpassung der Entschädigungen an sich ändernde Märkte zu, beispielsweise wenn sich der EU-Emissionshandel im Zuge des Green Deal ändert.
Das schaffe das Risiko einer "Überkompensation", meint Koenig und plädiert dafür, die Entschädigungen an den Preis für den Grundlaststrom und für die CO2-Rechte zu koppeln. Beide Angaben seien ein guter Indikator für die Profitabilität von Braunkohlekraftwerken.
Auch die bekannte Rechtsanwältin Roda Verheyen befürchtet in ihrer Stellungnahme zum Ausstiegsgesetz eine Überkompensation für die Braunkohle. Wegen der späten Abschaltung verbunden mit der Milliarden-Entschädigung sei es für Betreiber trotz steigender CO2-Preise unter Umständen wirtschaftlich, ihr Kraftwerk weiterzubetreiben.
Hintertür für marktgetriebene Abschaltungen
Verheyen selbst hält Entschädigungen für die Betreiber von Kohlekraftwerken für kaum vertretbar. Die Mehrheit entsprechender verfassungsrechtlicher Analysen komme zu dem Ergebnis, dass der Kohleausstieg "weitgehend entschädigungslos" oder im Einzelfall mit Übergangsfristen erfolgen könne.
Zudem befänden sich die hiesigen Stein- und Braunkohlekraftwerke heute – "anders als zur Zeit der Einsetzung der Kohlekommission", wie es in Verheyens Stellungnahme heißt – am Rande der Wirtschaftlichkeit. Das Kohleausstiegsgesetz müssen deswegen sicherstellen, dass es keinen Anreiz entfaltet, Kraftwerke länger zu betreiben als nach europäischem und deutschem Klimaschutzrecht zu erwarten.
Um zu verhindern, dass die geplanten Entschädigungen den Ausstieg behindern, hat die Bundesregierung nach Ansicht von Felix Christian Matthes vom Öko-Institut sogar eine Hintertür offen gelassen, falls es zu sogenannten marktgetriebenen Stilllegungen kommt. Der entscheidende Punkt sei hier, schreibt Matthes in seiner Stellungnahme für den Ausschuss, der Auszahlungsmodus.
Laut dem Gesetzentwurf solle die Entschädigung in 15 gleich großen Jahrestranchen fließen, beginnend mit dem Zeitpunkt der ersten endgültigen Stilllegung eines Kraftwerksblocks des Betreibers.
Matthes: "Die bisher vorgesehene Regelung könnte auch so interpretiert werden, dass die Zahlungen in jeder Variante einer endgültigen Stilllegung, das heißt entweder im Rahmen des Ausstiegsgesetzes oder aber marktgetrieben, beginnen." Wenn aber der Gesetzestext so gemeint ist, dass bei schnelleren Stilllegungen der Anlagen die bisher fest zugesagten Entschädigungen entfallen, könnte das aus Sicht von Matthes die marktgetriebene Abschaltung von Kohlekraftwerken wiederum blockieren.
Ob das Ausstiegsgesetz das Leben der Kohle nun verlängert oder nicht, lässt sich somit noch nicht eindeutig beantworten. Vielleicht bringt ja die Anhörung hier endlich mehr Klarheit.