Seit Mitte vergangenen Jahres gelten EU-weit neue, schärfere Grenzwerte für Schadstoffe wie Stickoxide, Schwefeldioxid und Quecksilber aus sogenannten Großfeuerungsanlagen wie Kohlekraftwerken. So verlangt die EU, dass spätestens 2021 Braunkohlekraftwerke nur noch maximal 175 Milligramm Stickoxide je Kubikmeter Rauchgas ausstoßen – während das deutsche Recht immer noch 200 Milligramm erlaubt. Das geltende Bundes-Immissionsschutzgesetz schreibt vor, dass solche neuen EU-Regelungen innerhalb eines Jahres in einzelstaatliches Recht umzusetzen sind. Diese Frist ist bereits im August abgelaufen.
Auf die gesetzlichen Korrekturen in Richtung saubere Luft wird Deutschland aber noch lange warten müssen. Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen hin räumte das Bundesumweltministerium jetzt ein, Entwürfe für neue Immissionsschutz-Verordnungen würden erst im Frühjahr 2019 vorliegen. Wann die Neuregelungen dann tatsächlich in Kraft treten – dazu gibt die Antwort, die Klimareporter° vorliegt, keine Auskunft.
Zudem wird der Anschein erweckt, die Arbeiten am nationalen Recht stünden noch ziemlich am Anfang. So teilt das Ministerium weiter mit, es lägen keine Angaben vor, wie viele der 580 in Deutschland vom EU-Recht betroffenen Großfeuerungsanlagen die schärferen Grenzwerte nicht einhalten. Auch habe es bisher zwischen den beteiligten Ministerien keine Abstimmung gegeben. Das solle auch erst nach dem Vorliegen der Entwürfe geschehen. Bisher steht vor allem das Bundeswirtschaftsministerium den von der EU beschlossenen Stickoxid-Grenzwerten ablehnend gegenüber.
Ob der vagen Auskünfte ist die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Badum fassungslos. Schließlich war ihre Anfrage mit zwölftägiger Verspätung beantwortet worden – als Grund wurden ihr "andauernde Ressortabstimmungen" genannt. Dass sich die Ministerien offenbar intensiv darüber austauschten, was sie den Grünen antworten, bislang aber keine Zeit fanden, sich über die Gesetze selbst zu einigen, findet Badum "völlig unverständlich." Die Bundesregierung halte sich bei der Umsetzung europäischer Vorgaben, die Menschen und Umwelt vor Kohleemissionen schützen sollen, nicht ans eigene Recht, kritisiert sie.
Tatsächlich kommt der Gesundheitsschutz unter die Räder. Nach den Regierungsangaben stoßen die deutschen Großfeuerungsanlagen, die unter die EU-Verschärfung fallen, jährlich noch etwa 150.000 Tonnen Stickoxide, 74.000 Tonnen Schwefeldioxid und fünf Tonnen Quecksilber aus.
Der Quecksilberausstoß ist dabei nicht einmal der genaue Wert. Zum einen, räumt die Bundesregierung ein, würden nur solche Quellen erfasst, die mehr als 10.000 Gramm des Schwermetalls jährlich ausstoßen. Zum anderen beruhe ein Teil der Angaben auf Berechnungen – also nicht auf genauen Messungen.
Ministerien legten Arbeiten offenbar auf Eis
Dass die Arbeiten an den neuen Immissionsschutzregeln erst am Anfang stehen sollen, ist wenig glaubwürdig. Wie aus Regierungsunterlagen hervorgeht, waren die Vorarbeiten, um die neuen EU-Grenzwerte in Deutschland umzusetzen, beim Inkrafttreten des neuen EU-Rechts Mitte 2017 schon weit gediehen.
So informierte das zuständige Umweltbundesamt (UBA) Anfang August 2017 in einer vertraulichen E-Mail, es lägen schon Synopsen zu den neuen EU-Grenzwerten für Kohlefeuerungen sowie für Biobrennstoffe vor. Damals fehlten noch Neufassungen der Regeln für flüssige und gasförmige Brennstoffe – aber das UBA zeigte sich in der Mail optimistisch: Aus "bisherigen Erfahrungen" sei davon auszugehen, dass die Arbeiten bis Mitte September 2017 "abgeschlossen sein können".
Offenbar wurden die Arbeiten weitgehend auf Eis gelegt. Derzeit schiebt das Bundesumweltministerium die Verantwortung dafür, dass die Grenzwerte ab 2021 eingehalten werden, vor allem den Anlagenbetreibern zu. Diese stünden in der Pflicht, Vorgaben wie die maximal 175 Milligramm für Stickoxide einzuhalten, teilt das Ministerium interessierten Medien mit. Dieser Wert sei den Anlagenbetreibern seit Langem bekannt, sodass bevorstehende Anpassungen "antizipiert" werden könnten.
Die Annahme, dass die Unternehmen vor dem EU-Recht so viel Respekt haben, dass sie die schärferen Grenzwerte quasi von selbst einhalten, ist allerdings recht fragwürdig. Anlagenbetreiber wie Leag, Mibrag und Energie in Sachsen (Eins) lehnen – wie auch das Bundeswirtschaftsministerium und die Länder Brandenburg und Sachsen – den EU-Grenzwert für Stickoxide in Braunkohlekraftwerken ab. Dieser sei "fehlerhaft" und "rechtswidrig".
Andere Kraftwerksbetreiber bauen darauf, die schärferen Grenzwerte ohne viel Aufwand einhalten zu können. So ist man bei der RWE Power AG "zuversichtlich" dass die weitere Optimierung der Feuerungen ausreichen wird, um bis 2021 in den RWE-Braunkohlekraftwerken die 175 Milligramm zu schaffen. Derzeit prüfe man "blockscharf" mögliche Anpassungsmaßnahmen, sagte ein Unternehmenssprecher. Kostenabschätzungen seien noch nicht möglich.
Regierungsunterlagen lassen aber auch vermuten, dass viele Kraftwerksbetreiber hoffen, die Politik werde ihnen mit Ausnahmegenehmigungen zur Seite springen – vor allem dann, wenn die schärferen Grenzwerte den Einbau teurer Abgasreinigungstechnik erfordern.