Frau mit Mund-Nasen-Schutz in Boot, im Hintergrund verschwommen noch ein Boot und das Kraftwerk Datteln
Klimaaktivistin Tonny Nowshin bei einer Anti-Kohle-Aktion 2020 in Datteln. Danach hatte sie in einem Klimareporter°-Gastbeitrag einen rassistischen Vorfall geschildert und die überwiegend weiße deutsche Klimabewegung kritisiert. (Foto: Janus Petznik)

"Zu jung, zu weiß, zu akademisch" titelte die Taz über die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung im Winter 2019. Der Artikel verwies unter anderem auf eine Untersuchung des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung über Fridays for Future: Knapp 17 Prozent der Befragten gaben an, dass sie selbst oder mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurden, deutlich weniger als die rund 25 Prozent der Deutschen insgesamt mit migrantischen beziehungsweise postmigrantischen Erfahrungen.

Zur gleichen Zeit behandelte eine Reihe von Veranstaltungen die Zusammenhänge zwischen Klimakrise, Rassismus und Kolonialismus, beispielsweise organisiert vom Black Earth Kollektiv. Im Sommer 2020 löste die Mobilisierung rund um Black Lives Matter schließlich die größten antirassistischen und antikolonialen Proteste aus, die Deutschland bisher erlebt hatte. Seitdem sprechen Aktivist:innen von einem "Fenster der Möglichkeiten", um weiteren gesellschaftlichen Wandel zu erkämpfen.

Während die Debatten über weiße Dominanz, Rassismus und ausschließende Strukturen in Gesellschaft und Klimagerechtigkeitsbewegung Fahrt aufnehmen, scheint es bei Deutschlands Nichtregierungsorganisationen eher still zu bleiben.

Offensichtlich sind die professionalisierten NGO-Strukturen noch exklusiver und noch stärker weiß dominiert als die Klimagerechtigkeitsbewegung. Die "Team"-Seiten auf den Websites der deutschen Entwicklungs-, Umwelt- und Menschenrechts-NGOs zeigen meist, wenn nicht ausschließlich, Fotos von weißen Menschen. Nur selten finden sich Namen, die auf mögliche (post)migrantische Erfahrungen hindeuten.

Im Juni 2020 war der deutsche Zweig der Klimaschutzorganisation 350.org eine der wenigen NGOs hierzulande, die dazu ausdrücklich Stellung bezogen. So heißt es in einem Beitrag auf ihrer Website: "Die deutsche Klimabewegung ist zu großen Teilen weiß. Fast alle bekannten Umweltorganisationen (wir bei 350 Deutschland sind keine Ausnahme) werden von weißen Menschen geleitet, haben überwiegend weiße Mitarbeiter:innen und schenken anderen Stimmen zu wenig Gehör."

Immerhin haben Interessierte aus dem Kreis der Mitgliedsorganisationen von Venro, dem Dachverband der entwicklungspolitischen NGOs in Deutschland, kürzlich begonnen, ein BIPoC-Netzwerk aufzubauen. BIPoC steht für Black, Indigenous and People of Color.

Mangelnde Diversität ist ein strukturelles Problem

Angesichts der hitzigen Debatten um "Repräsentation" und "Diversität", die bisweilen in individualisierte Schuldzuweisungen entgleiten, ist zu betonen, dass die Frage der Besetzung von Positionen und der fehlenden Zugänge ein strukturelles Problem ist und daher auch strukturell gelöst werden muss.

Bezahlte NGO-Stellen sind bei jungen Hochschulabsolvent:innen und anderen Bewerber:innen begehrt – trotz prekärer Arbeitsbedingungen, was häufig zahlreiche Überstunden, befristete Verträge und mitunter niedrige Gehälter bedeutet. Die einen versprechen sich einen sicheren Job, andere möglicherweise eine erfüllende Tätigkeit.

Porträtaufnahme von Isadora Cardoso.
Foto: privat

Isadora Cardoso

ist freie Referentin für Geschlechter- und Klima­gerechtigkeit sowie Fellow des Instituts für trans­formative Nach­haltigkeits­forschung IASS in Potsdam.

Relativ betrachtet, ist eine bezahlte NGO-Stelle mit Privilegien verbunden. Sie verleiht Gehör in Kreisen, die die Klimagerechtigkeitsgruppen oft nicht betreten können oder wollen, zum Beispiel in dem institutionalisierten Bereich der Politik. Diese Sphäre ist ohnehin hochgradig exklusiv und – wie die gesamte Gesellschaft – geprägt von sich überschneidenden Herrschaftskategorien wie class, race, gender.

NGOs reproduzieren diese Strukturen, indem sie beispielsweise Mitglieder ihrer "eigenen" Netzwerke rekrutieren – die sie also persönlich kennen oder von denen sie bereits gehört haben, die ihnen "passend" erscheinen oder über ein Netzwerk verfügen, das als "nützlich" oder "einflussreich" erscheint.

Um diese strukturellen Herausforderungen anzupacken, bedarf es weit mehr als der bloßen Reflexion von Privilegien. Zum Beispiel müssen die Projekte und Kampagnen von NGOs jene Bevölkerungsgruppen einbeziehen, für die sie zu kämpfen vorgeben.

Entwicklungspolitische NGOs in Deutschland sollten also Menschen aus den Gruppen beschäftigen, die sie in ihren Förderanträgen als "Zielgruppen" angeben. Diese "Gruppen", wie zum Beispiel BIPoC, Landwirt:innen, Frauen, LGBT oder Migrant:innen, sind Expert:innen für jene Themen, die zahlreiche Projekte in ihren "Gebieten" behandeln, und sollten deshalb auch diejenigen sein, die sie maßgeblich mitgestalten.

Voreingenommenheiten abbauen

Die für Jobausschreibungen Verantwortlichen müssen aktiv versuchen, bei Stellenangeboten möglichst viele Bevölkerungsgruppen anzusprechen – beispielsweise über Online- und Offline-Räume von BIPoC in Deutschland. Auch sollten Stellenbeschreibungen ausdrücklich Bewerbungen von Menschen fördern, die sich mit marginalisierten Gruppen identifizieren, wie Migrant:innen, BIPoC, Queers und Menschen mit Behinderungen.

Porträtaufnahme von Merle Groneweg.
Foto: Vincent Wechselberger

Merle Groneweg

ist freie Referentin für Handels-, Mobilitäts- und Rohstoff­politik sowie Redaktions­mitglied des entwicklungs­politischen Magazins Südlink in Berlin.

Stellenangebote sollten auch ins Englische und in andere relevante Sprachen übersetzt werden. Auf diese Weise können sich jene, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, eher ermutigt fühlen, sich zu bewerben. Einstellungsverfahren sollten weniger auf akademischen oder anderweitigen bezahlten Arbeitsleistungen basieren und viel stärker auf unterschiedlichen Lebenserfahrungen, wie zum Beispiel unbezahlter, fürsorglicher und aktivistischer Arbeit.

Schließlich könnten Screening-Prozesse, bei denen persönliche Daten für Auswahlkommissionen nicht zugänglich sind, Voreingenommenheiten – den sogenannten Bias – abbauen. Bewerber:innen können dann Auskunft über mögliche Identitätspositionen geben sowie von Diskriminierungs- oder anderen Erfahrungen berichten, die sie in ihrem Werdegang beeinflusst haben – sie müssen es aber nicht.

NGOs haben die Mittel – oder können sie beantragen –, um einen von außen moderierten Veränderungsprozess einzuleiten, Antidiskriminierungs- und Anti-Bias-Expert:innen einzuladen sowie ihre Einstellungs- und Arbeitsverfahren grundlegend zu ändern.

 

Aber auch dies sind nur einzelne Schritte in einer langfristigen Auseinandersetzung. Diese erfordert Engagement und Geduld – ebenso wie die Bereitschaft, Fehler zu machen und auf sie hinzuweisen, Fehler anzuerkennen und diese zu verzeihen.

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