Nahaufnahme: Ladestecker in einem E-Auto
Die letzten Bundesregierungen haben nicht verstanden, dass Elektromobilität ein neues systemisches Denken erfordert. (Foto/​Ausschnitt: Gereon Meyer/​Wikimedia Commons)

Wie viel oder besser wie wenig Verkehrswende im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steckt, wurde in den letzten Wochen bereits häufiger beleuchtet. Aber wie sieht es mit der Wende bei der Antriebstechnologie aus? Vollelektrisch oder doch technologieoffen?

Wie groß sind die Umsetzungschancen der in der Koalitionsvereinbarung fixierten Ziele und verabredeten Maßnahmen? Nehmen wir die Elektromobilität als einen Indikator für die Verkehrswende, sieht es eher mau aus.

Die Ampelkoalition würdigt in ihrem Koalitionsvertrag die Bedeutung von Elektroautos in zwei Kapiteln. Im Kapitel zum Automobilsektor steht, dass die Transformation der Automobilindustrie zum Erreichen der Klimaziele im Verkehrsbereich unterstützt werden soll. "Arbeitsplätze sowie Wertschöpfung sollen hierzulande erhalten" und Deutschland zum "Innovationsstandort für autonomes Fahren" entwickelt werden. In neun Jahren sollen mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw auf den Straßen Deutschlands unterwegs sein.

Im Kapitel zum Autoverkehr wird das 15-Millionen-Ziel wiederholt, allerdings ist hier dann nur noch von "elektrischen Pkw" die Rede. Dieser scheinbar geringe Unterschied in der Formulierung kann einen gewaltigen Unterschied machen.

Von den derzeit zugelassenen und geförderten E-Autos ist rund die Hälfte vollelektrisch. Bei der anderen Hälfte handelt es sich um Plug-in-Hybride, bei denen ein positiver Umwelteffekt angezweifelt wird. Trotzdem will die neue Koalition die falsche Förderpolitik sowohl für vollelektrische Pkw als auch für die Plug-in-Hybride bis 2022 verlängern.

Das Argument lautet: Wer 2021 einen Plug-in bestellt hat, wird das Fahrzeug erst 2022 erhalten. Lange Lieferzeiten und Verzögerungen bei der Markteinführung waren tatsächlich bei E-Modellen schon vor der Halbleiter-Krise ein Thema.

Ab 2023 sollen die Hybride nur noch dann eine Förderung bekommen, wenn sie eine elektrische Reichweite von mindestens 80 Kilometern aufweisen. Das sieht aus wie ein letzter – vermutlich sogar untauglicher – Versuch, Plug-in-Hybride noch weiter zu fördern.

Hoher Pkw-Bestand wird ohnehin sinken

Die Ampel geht davon aus, dass ab 2025 staatliche Kaufprämien für E-Autos nicht mehr nötig sein werden. Eine zutreffende Einschätzung. Sinkende Batteriekosten, Skaleneffekte bei der Fahrzeugfertigung und der Markteintritt neuer Hersteller sorgen für Kostenvorteile gegenüber Verbrennern. Nicht Kaufprämien und Vorgaben der Regierung, sondern das Angebot treibt die Zahl der E-Autos nach oben.

Grundsätzlich fällt bei der Festlegung einer Zielmarke von 15 Millionen E-Autos bis 2030 auf, dass die Ampel offensichtlich von einem auch künftig sehr hohen Pkw-Bestand in Deutschland ausgeht. Das passt nicht unbedingt zum Ziel einer zukunftsfähigen Mobilität.

Allerdings sollte man sich nicht zu lange mit der Mengenfrage aufhalten. Nicht politische Opportunitäten, sondern technologische Entwicklungen werden den Autobestand in Deutschland spürbar senken. Autonom fahrende Gefährte revolutionieren die Verkehrswelt und den Automarkt. Diese Entwicklung wird in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts spürbar werden. Hier wird sich die neue Regierung entscheiden müssen, ob sie bei dieser Entwicklung bremst oder beschleunigt.

Die Ankündigung im Koalitionsvertrag, Deutschland nicht nur zum "Leitmarkt für Elektromobilität", sondern auch zum "Innovationsstandort für autonomes Fahren" zu machen, muss schon verwundern. Aus heutiger Sicht werden deutsche Unternehmen in dieser Revolution wohl keine tragende Rolle spielen. Dafür hat man sich hierzulande zu lange auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht.

Angesichts des Vorsprungs der neuen Player – nicht nur Tesla, sondern ebenso BYD und Foxtron aus China oder auch Apple – wirkt das Ziel, Deutschland als Leitmarkt in einer neuen digitalen Mobilitätswelt zu platzieren, eher wie ein mutmachendes Pfeifen im dunklen Wald.

Ohnehin wäre es klüger gewesen, die Europäische Union und nicht allein Deutschland als Gebietskulisse für den Leitmarkt zu wählen. Wenn man im alten Europa in der neuen Autowelt nicht nur als Käufer, sondern auch als Produzent auftreten will, dann führt kein Weg an einer engen Zusammenarbeit der europäischen Industrie bei den Fahrzeugen, der Batterie und in der Digitalisierung vorbei.

Kleine Fahrzeuge wurden vergessen

Die Vergangenheit lehrt, dass man auch Koalitionsverträge nachbessern kann. In der E-Mobilität besteht dieser Bedarf in erster Linie bei der Förderung von kleinen Fahrzeugen. Der Trend zu immer größeren Autos muss gebrochen werden.

Kleine Fahrzeuge fahren mit weniger Fahrstrom, benötigen weniger Raum und verbrauchen geringere Ressourcen. Klein- und Kleinstfahrzeuge müssen aus dem Wahrnehmungsloch geholt werden, sie haben viel mehr Aufmerksamkeit verdient.

Es ist schwer zu erklären, warum man viel Mühe und Geld für die Unterstützung von Plug-in-Hybriden verwendet und Leichtfahrzeuge nicht in die Förderung aufnimmt. Hier geht es im Übrigen nicht nur um Kaufprämien, sondern auch um die Schaffung von Produktionskapazitäten innerhalb der EU.

Porträtaufnahme von Raimund Nowak.
Foto: Jürgen und Marco La Greca

Raimund Nowak

war von 2009 bis 2020 Geschäfts­führer der Metropol­region Hannover-Braun­schweig-Göttingen-Wolfs­burg. Zuvor war er kommunal-, landes- und europa­politisch in Nieder­sachsen aktiv. Er engagiert sich weiterhin in verschiedenen nationalen Fach­gremien und in der deutsch-französischen Kooperation im Bereich Elektro­mobilität.

Ziemlich viel Aufmerksamkeit hat hingegen das Mantra von der Technologieoffenheit bei den Antriebstechnologien erhalten. Dieses im Wahlkampf oft geforderte Offenhalten aller Optionen hat auch die Ampel-Verhandlungen offenbar beeinflusst.

Das Koalitionspapier schließt den Einsatz von Wasserstoff im Mobilitätssektor nicht aus und nährt damit die Hoffnung auf das Verbrennen synthetischer Kraftstoffe. Das klingt wie der Startschuss für kostspielige Forschungs- und Modellvorhaben. Diese Mittel können jedoch klima- und industriepolitisch an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden.

Schon im Jahr 2013 kündigte die damalige Regierung in ihrem Koalitionsvertrag eine Umrüstung der eigenen Fahrzeugflotten an. Eine entsprechende Passage fehlt in den Ampel-Vereinbarungen.

Vor einem Jahr hatte Joe Biden eine Beschaffungsinitiative für die Umrüstung der Bundesflotten in den Vereinigten Staaten angekündigt. Daher ist es schwer zu verstehen, warum nicht auch in Deutschland, besser noch in der gesamten EU, viel mehr getan werden soll.

In einer gemeinsamen Initiative könnte zügig eine größere Zahl kleinerer Elektroautos und leichter Nutzfahrzeuge in den öffentlichen Fuhrparks zum Einsatz kommen. Das wäre mehr als ein Symbol der Glaubwürdigkeit.

Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, mit welchen Fahrzeugen sich die neue Bundesregierung und die Bundestagsabgeordneten künftig öffentlichkeitswirksam bewegen werden.

Ladeinfrastruktur: Lobbyschlacht voraus

Im Jahr 2009 befasste sich erstmals ein Koalitionsvertrag mit dem Thema Ladeinfrastruktur. Union und FDP verabredeten, "so bald wie möglich mit dem Aufbau eines Netzes von Ladestellen für Elektrofahrzeuge in Ballungsräumen" zu beginnen.

Man definierte auch klar die Aufgabe des Staates. Er sollte "die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. Aufbau und Betrieb dieser Ladestellen ist Aufgabe der Privatwirtschaft." Am Ende von Schwarz-Gelb gab es jedoch keinen stabilen rechtlichen Rahmen und von einem Engagement der Privatwirtschaft war wenig zu sehen.

Die folgenden beiden Groko-Regierungen verabschiedeten eine Ladesäulenverordnung und glaubten nicht mehr an ein ausreichendes Engagement der Privatwirtschaft. Union und SPD gaben ordentlich Geld für den Aufbau von Ladesäulen aus. Am Ende entschied man sich bei der Förderung von Schnelllade-Hubs sogar für ein (übertrieben) staatsfinanziertes Modell – das nun in der Ampel wohl noch ausgeweitet werden soll.

In der Koalitionsvereinbarung setzt man auf die Mobilisierung privater Investitionen und – wo "wettbewerbliche Lösungen nicht greifen" – auf "Versorgungsauflagen". Im Jahr 2030 sollen dann eine Million Ladepunkte (nicht -säulen) "diskriminierungsfrei öffentlich zugänglich" sein. Der Schwerpunkt soll auf Schnellladeinfrastruktur gelegt werden.

Die Ampel will den Aufbau von Ladeinfrastruktur "ressortübergreifend beschleunigen, auf Effizienz überprüfen und entbürokratisieren". Maßnahmen aus den Bereichen Bau, Energie und Verkehr sollen gebündelt und mit Kommunen abgestimmt werden.

Interessant bleibt, was von den ambitionierten Ansprüchen bei der verabredeten "zügigen Überarbeitung des Masterplans Ladeinfrastruktur" tatsächlich fixiert wird.

Aber Achtung: Hier geht es um die Verteilung der Kosten für ein volumenstarkes Investitionsprogramm und um die Rahmenbedingungen für den Verkauf von Ladestrom für Millionen von Elektroautos. Da stehen noch heftigste Lobbyschlachten an. Es bleibt die Furcht, dass die Interessen der Nutzer:innen und des Klimaschutzes verdrängt werden.

So ist beispielsweise unbedingt darauf zu achten, dass der Satz "Wir werden bidirektionales Laden ermöglichen" sehr schnell in die Praxis umgesetzt wird. Gleiches gilt für die Ankündigung: "Wir sorgen für transparente Strompreise und einen öffentlich einsehbaren Belegungsstatus."

Laden geht nicht wie tanken

Masterplan klingt zunächst einmal gut, da wird ein durchdachtes Vorgehen suggeriert. Man sollte bei der Überarbeitung des Masterplans jedoch unbedingt eine Überprüfung der Richtigkeit der strategischen Grundlagen für den Aufbau der Ladeinfrastruktur vornehmen.

Ganz offensichtlich hat man bisher mehr mit der Logik des Tankens von Verbrennerfahrzeugen als mit der des Ladens von Batterien gearbeitet. Die Bedeutung der Elektromobilität für die Energiewende wurde viel zu selten bei den Planungen berücksichtigt.

Sektorkopplung ist nicht mehr so abstrakt wie früher. Denn wenn der Anteil der fluktuierend anfallenden erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne steigt, werden Speicher und Puffer immer wichtiger. Hier können gesteuert zu ladende und künftig vermehrt bidirektional ladende E-Autos eine große Rolle spielen. Dafür müssen allerdings auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und vor allem die Netzentgelte angepasst werden.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur anders als bisher, wir müssen uns alle radikal verändern. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Am Ende bleibt die Frage, ob die neue Bundesregierung die globale Wettbewerbslage in der Elektromobilität richtig einschätzt. Die neuen Mitspieler aus dem Fahrzeug- und Batteriebau sowie der Informationstechnologie sorgen mit ihrem Know-how und ihren finanziellen Möglichkeiten für eine Dynamik, in der sich das alte Autoland Deutschland beweisen muss. Ob das mit den traditionellen Elementen der Gremienbildung und Clusterförderung gelingt, ist fraglich.

Für die Automobilwirtschaft plant man die "Strategieplattform Transformation Automobilwirtschaft". Als Mitwirkende werden "Mobilitätswirtschaft, Umwelt- und Verkehrsverbände, Sozialpartner, Wissenschaft, Bundestag, Länder und kommunale Spitzenverbände und die zuständigen Bundesressorts" genannt.

Eine Blackbox ist sicher das Versprechen der Ampelregierung, "den Wandel in den Automobilregionen hin zu Elektromobilität durch gezielte Clusterförderung unterstützen". Staatliche Hilfen bei der Transformation von Branchen führten in Deutschland eher zur Entschleunigung der Prozesse, da man lieber die Bremser als die Treiber finanzierte. Nicht nur das muss die neue Bundesregierung anders machen.

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