Zwei Windräder vor fast blauem Himmel, im Hintergrund dampfende Kühltürme des Kraftwerks Jänschwalde.
Um den Braunkohlestandort Jänschwalde in Brandenburg als Wasserstoffspeicherkraftwerk weiterzubetreiben, werden ein paar Windräder nicht ausreichen. (Foto: Susanne Götze)

Die größte wasserstoffliche Begeisterung verbreitete diese Woche zweifellos Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Mit Forschung und Innovation wolle sie Deutschland zu einer "Wasserstoffrepublik" machen, rief die Ministerin bei der Präsentation der Nationalen Wasserstoffstrategie in den coronabedingt spärlich besetzten Pressesaal. "Vor allem auch der grüne Wasserstoff ist für uns die Zukunft."

Den Auftraggebern einer kürzlich veröffentlichten Studie über die künftige "Wasserstoffwirtschaft in der Lausitz" sprach die Ministerin da sicher aus tiefstem Herzen. Denn was Karliczek für ganz Deutschland vorschwebt, haben die Zukunftswerkstatt Lausitz, ein kommunaler Verbund, und die Wirtschaftsregion Lausitz GmbH schon mal auf 80 Seiten ausbreiten lassen.

Die Studie lässt erstmal keine Vision aus, die auch die Bundesregierung in ihrer Strategie ausmalt: Dekarbonisieren überall dort, wo bisher fossile Brennstoffe eingesetzt werden. In der Lausitzer Studie taucht allerdings eine weitere Anwendung auf, die die Bundesregierung in ihrer Strategie mit keinem Wort in Betracht zieht: die "stationäre energetische Nutzung".

Darunter verstehen die Lausitzer die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz, das Ersetzen von Heizöl sowie "die schrittweise Substitution von Braunkohle als Brennstoff in den Energiekraftwerken Jänschwalde, Boxberg und Schwarze Pumpe". So heißt es wörtlich.

Da reibt man sich die Augen. Wirklich steht da: Wasserstoff – zumal grüner, mit viel Ökostrom erzeugter – soll in großen Brennstoffzellen-Blöcken mit jeweils 250 Megawatt Leistung in Strom rückverwandelt werden.

Die Lausitzformel

Natürlich rechnet die Studie nicht aus, wie viel Prozent der erneuerbaren Ausgangsenergie dann bei der Anwendung des Wasserstoff-Stroms am Ende übrig bleibt. Um ökologischen Verstand geht es nicht, sondern um einen ideologischen Ausgangspunkt.

Und der ist die sogenannte Lausitzformel: "Ein Gigawatt für ein Gigawatt." Für 1.000 Megawatt wegfallende Leistung soll industrielle Wertschöpfung im selben Umfang geschaffen werden, so das regionale Mantra, am besten natürlich in Form großer Kraftwerke.  Denn da kennt man sich aus.

So direkt sagt das die Studie natürlich nicht. Sie beruft sich darauf, dass die Braunkohle-Standorte Jänschwalde, Boxberg und Schwarze Pumpe für den Grundlaststrom "von nationaler Bedeutung" seien.

Und wegen der "nationalen Bedeutung" nehmen die Studienautoren einfach mal an, dass die drei Standorte auch nach dem Ende der Kohleverstromung in Deutschland 2038 als Wasserstoff-Speicherkraftwerke weiterbetrieben werden.

Die Studie rechnet dabei so: Von der an den drei Standorten einst installierten Stromerzeugungsleistung von 7.175 Megawatt werden nur die zwei 500-Megawatt-Blöcke in Jänschwalde abgezogen, die bereits 2018 und 2019 in die Sicherheitsbereitschaft gingen. Und dann heißt es: "Für die weiteren Betrachtungen wird davon ausgegangen, dass sich die restlichen Braunkohleblöcke mit einer verbleibenden Leistung von 6.175 Megawatt bis zum 31.12. 2038 in Betrieb befinden."

Unsinn mit Methode

Moment mal, gibt es nicht ein Kohleausstiegsgesetz? Steht dort etwas davon, dass über 6.000 Megawatt Lausitzer Braunkohle bis 2038 laufen? Nie und nimmer. Im letzten Kohlejahr 2038 sollen laut dem aktuellen Ausstiegsfahrplan in der Lausitz höchstens noch 3.000 Megawatt in Betrieb sein – und spätestens am Jahresende abgeschaltet werden.

Wer so eine Studie in Auftrag gibt, ignoriert die Beschlüsse von Bund, Ländern und der Kohlekommission willentlich und tut dies aus reiner Ideologie. Um die angenommenerweise bis 2038 laufenden 6.000 Megawatt Braunkohle zu ersetzen, sollen nämlich, schreiben die Autoren, 24 Wasserstoff-Blöcke mit jeweils 250 Megawatt gebaut werden – zusammen wieder 6.000 Megawatt. Voilà, die vorgegebene Lausitzformel ist eins zu eins verwirklicht.

Tatsächlich ist das völlig illusionär. Allein die Mengen an Wasserstoff sind gigantisch. Um die Lausitzer Region auf diese Weise zu dekarbonisieren, wären laut der Studie im Jahr 2040 rund 700.000 Tonnen Wasserstoff nötig. Dazu benötigte die Region, je nach Auslastung der Wasserstofferzeugung, zwischen 4.500 und knapp 9.000 Megawatt Elektrolyseure.

Etwa die Hälfte dieser Elektrolyseure würde nur dazu dienen, den Brennstoff für die "stationäre energetische Nutzung" zu liefern. Einfacher gesagt: Tausende Megawatt Wasserstoff-Elektrolyseure sind nur dazu da, um ein paar tausend Megawatt Wasserstoff-Kraftwerke am Laufen zu halten.

Ist das schon energetischer Unsinn, so hat es doch Methode. Denn so viel Einsicht haben die Studienautoren doch, um anzumerken, dass der künftige Bedarf an Wasserstoff in der Lausitz sich nicht allein mittels Elektrolyse und Ökostrom decken lässt.

Hierzu seien, liest man, "weitere Maßnahmen" erforderlich, etwa der Import von Wasserstoff oder die Nutzung von Erdgas zur Erzeugung von "CO2-neutralem Wasserstoff". Fossiles Erdgas soll also per CCS, also unterirdischer CO2-Verpressung, "klimaneutral" gemacht werden, um dann in Großanlagen verstromt zu werden. Spätestens hier fragt man sich, was das alles soll.

"Nur ergänzende Empfehlungen"

Bei der Studie sei es nicht um "final geplante Anlagen" gegangen, teilt die Wirtschaftsregion Lausitz GmbH auf Nachfrage mit, "sondern um Empfehlungen (Szenarien) zur Ergänzung der Wasserstoffstrategien der Länder". Und weil es nur um Empfehlungen geht, darf man mal so ins Blaue fabulieren und Ausstiegsbeschlüsse beiseiteschieben?

Die Frage, wie groß der Nettoenergieertrag der geplanten 250-Megawatt-Wasserstoffkraftwerke am Ende ist, wird gar nicht beantwortet. Dafür existiere in der Zukunftswerkstatt Lausitz "keine fachlich vertiefte Expertise", heißt es nur.

Nun, offenbar reicht die Expertise gerade so aus, um 6.000 Megawatt Braunkohle in 6.000 Megawatt Wasserstoff-Kraftwerke umzurechnen. Wie effizient das ist, interessiert nicht. Aber so heranzugehen hat ja gute Tradition in der Braunkohle.

Wenigstens die Regionalzeitung Lausitzer Rundschau brachte einen lobenden Beitrag über die Studie – mit der treffenden Schlagzeile: "Wasserstoff rettet Kohlejobs". Mit dem 6.000-Megawatt-Wasserstoff-Konzept könnten nämlich, wird aus dem Papier zitiert, rund 80 Prozent der Arbeitsplätze gerettet werden, die durch den Kohleausstieg wegfallen.

Voilà – auch das Jobproblem ist fast eins zu eins auf dem Papier gelöst. Jetzt müssen nur noch Karliczek, Bund und Länder von der Wasserstoffrepublik Lausitz überzeugt werden. Und die Physik.

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