Greenpeace-Protest Koalitionsverhandlungen
Die Aktionen schlagen nicht mehr so hohe Wellen wie früher, aber Greenpeace ist nicht darauf festgelegt, sagt Tobias Austrup. (Foto: Mike Schmidt/​Greenpeace)

Klimareporter°: Herr Austrup, die jetzige Bundesregierung zeigt mehr klimapolitischen Willen als die vorherigen, unionsgeführten Regierungen – ausreichen dürfte das trotzdem nicht. Wie kann die Klimabewegung, wie kann Greenpeace den Druck erhöhen?

Tobias Austrup: Uns läuft die Zeit davon. Global steigen die Emissionen immer weiter. Die neue Bundesregierung zeigt immerhin ernsthafte klimapolitische Bemühungen. Ob das Deutschland auf einen 1,5-Grad-kompatiblen Kurs führt, bleibt dennoch ein großes Fragezeichen. Es wird nicht einfach.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz ist in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen. Es besagt, dass Klimaschutz nicht mehr nur Gegenstand einer politischen Aushandlung ist, sondern eine rechtliche Verpflichtung. Damit hat die Klimabewegung hier einen neuen Anknüpfungspunkt. Der juristische Weg spielt nun eine größere Rolle – Klimaschutz ist einklagbar.

Wir verfolgen diesen Weg, indem wir, gemeinsam mit vier Kläger:innen, Volkswagen vor Gericht gebracht haben. Denn auch große Unternehmen müssen ihren Beitrag für effektiven Klimaschutz leisten.

Im juristischen Weg sehen Sie momentan das Hauptpotenzial, um den Klimaschutz voranzubringen?

Das ist ein zusätzlicher Weg und der ist vielversprechender geworden. Dadurch lassen sich rechtliche Grundlagen schaffen, als Zaumzeug der Politik, wenn man so will. Das bedeutet keinen Strategiewechsel, aber eine Verbreiterung der Strategien.

Wir machen auch weiter mit dem Lobbying in der Politik. Die Märkte für erneuerbare Energien müssen gestärkt, fossile Technologien beendet werden. Das ist die Aufgabe der Politik.

Im Zusammenspiel ergibt sich daraus hoffentlich eine Klimapolitik, die uns auf den richtigen Pfad führt.

Liegt die Hoffnung also immer auf der nächsten Wahl?

Ja und nein. Natürlich ist die nächste Legislatur immer die wichtigste. Aber das eigentliche Ziel muss sein, das komplette politische System hinter ambitioniertem Klimaschutz zu vereinen. Der gesellschaftliche und politische Konsens muss verschoben werden.

Es reicht nicht, wenn alle vier Jahre eine etwas engagiertere Regierung gewählt wird. Die Frage darf nicht sein, ob man Klimaschutz macht, sondern wie man ihn mit der nötigen Konsequenz umsetzt.

In der Energiepolitik sind wir inzwischen so weit, beim Verkehr allerdings noch nicht. Da wird noch diskutiert, ob man Individualverkehr wirklich reduzieren muss.

Was hat die Arbeit der Klimabewegung in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit bewirkt?

"Klimaverächtliche Politik ist nicht mehr salonfähig"

Der Klimaschutz konnte in den letzten Jahren einige Geländegewinne verzeichnen. Klimaverächtliche Politik ist nicht mehr salonfähig. Das wird gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert, und das ist ein riesiger Fortschritt.

Die Klimabewegung ist durch Fridays for Future zuletzt viel breiter geworden. Wir glauben, unseren Teil zu dieser Verbreiterung beigetragen zu haben. Wir freuen uns über die neuen, lauten Stimmen vor allem der jungen Menschen. Der Veränderungsdruck ist inzwischen so enorm, dass jede Unterstützung nötig ist.

Andere Stimmen der Bewegung, etwa Ende Gelände, sprechen sich für direkte Aktionen aus, weil, so die Argumentation, Öffentlichkeit nicht ausreicht. Wie stehen Sie dazu?

In der Klimabewegung gibt es eine Arbeitsteilung. Greenpeace gibt es seit 50 Jahren. In bestimmten Sachen sind wir sehr gut: Studien in Auftrag geben, Lösungen entwickeln, strategische Klagen vorbereiten und eben Lobbying.

Das machen andere, jüngere Gruppen der Bewegung nicht in dem Ausmaß, aber das ist auch nicht deren Aufgabe. Manche von diesen Gruppen haben sich für direktere Protestformen entschieden. Die Vielfalt der Bewegung finde ich gut. Sie ergänzt sich und macht so jedem ein Mitmachangebot.

Für Greenpeace kommen direkte Aktionen also nicht infrage?

Wir haben einen gewissen Aktionsformenkodex. Greenpeace-Proteste sind immer gewaltfrei.

Natürlich merken wir auch, dass nicht alle unsere Aktionen noch so hohe Wellen schlagen wie früher. Auch wir suchen nach neuen Aktionen, die wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. Allerdings müssen die zu unserem Kodex passen.

Aktionsformen wie "friedliche Sabotage" oder "ziviler Ungehorsam plus" passen nicht zu Ihrem Kodex, aber Sie freuen sich darüber, wenn es andere Gruppen machen?

Das kann ich so pauschal nicht beantworten. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Protestformen anderer Akteur:innen zu bewerten.

Ich habe ein großes Vertrauen in die Bewegung, dass sie verantwortungsvoll mit solchen Aktionsformen umgeht. Meiner Beobachtung nach gibt es eine hohe Sensibilität in der Bewegung dafür, dass nicht die Arbeiter:innen in der fossilen Industrie für die Krise verantwortlich sind, sondern eine dahinterliegende Struktur.

Annika Rittmann von Fridays for Future und Susanne Egli von Extinction Rebellion haben in den Interviews als Hauptaufgabe der Klimabewegung genannt, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu engagieren. Welche Angebote hat Greenpeace da?

Als großer Umweltverband sind wir mit ehrenamtlichen Gruppen in gut 100 deutschen Städten vertreten. Dort können sich Menschen in lokalen Debatten engagieren.

Unsere Angebote richten sich an verschiedene Altersgruppen, von Kindern bis zu älteren Menschen. Und nicht zuletzt haben wir Angebote für verschiedene Level des Engagements. Bei Greenpeace kann man in der Fußgängerzone Unterschriften für Petitionen sammeln, aber auch lernen, wie man ein Schlauchboot steuert.

Haben die vielen neuen Gruppen der Klimabewegung auch damit zu tun, dass es einige der etablierten Umweltverbände verpasst haben, dem Klimawandel früh genug entsprechenden Raum in der eigenen Agenda einzuräumen?

Das ist nicht meine Wahrnehmung. Wir kriegen häufiger die Rückmeldung, dass wir nur noch zu Klima arbeiten. Natürlich beschäftigen wir uns auch mit Biodiversität. Das ist ein wichtiges Thema, das auch mit dem Klimawandel verknüpft ist.

"Für diesen gesellschaftlichen Aufbruch haben wir immer gekämpft"

Ich sehe da eher einen allgemeinen Trend. Kirchen, Gewerkschaften und, obwohl weniger stark, auch Umweltverbände haben über die letzten Jahre an Bindungskraft verloren.

Außerdem sind die Folgen der Klimakrise schon jetzt für alle spürbar, auch in Deutschland. Die Breite der Gesellschaft versteht, dass etwas passieren muss. Das spiegelt sich in der Bewegung wider. Für diesen gesellschaftlichen Aufbruch haben wir immer gekämpft.

Für die spektakulären Aktionen mobilisiert Greenpeace ausschließlich intern. Was ist der Vorteil solch exklusiver Taktiken im Vergleich zu Massenaktionen, wie wir sie von Ende Gelände oder Extinction Rebellion kennen?

Wir machen schon beides. Unsere spektakulären Aktionen sind wahrscheinlich bekannter. Wenn sich Aktivist:innen von Kühltürmen abseilen oder mit dem Motorboot irgendwo hinfahren, dann müssen sie ausreichend Erfahrung und das entsprechende Equipment haben. Da kann man nicht guten Gewissens Leute mitmachen lassen, die mal vorbeikommen.

Aber wir organisieren auch Demonstrationen mit. Es ist ja nicht so, dass bei uns nur Industriekletterinnen und Schiffskapitäne mitmachen können.

Im Interview sagte Kate Cahoon von 350.org, ein Hauptunterschied zwischen 350.org und etablierten Umweltverbänden wie Greenpeace sei, dass die Umweltverbände stärker darauf achten, die eigene Marke zu bewerben. Stimmt das?

Porträtaufnahme von Tobias Austrup.
Foto: Greenpeace

Tobias Austrup

ist bei der Umwelt­organisation Greenpeace politischer Referent für die Verkehrswende. Der studierte Politik­wissenschaftler und Soziologe war zuvor bei der Umwelt- und Entwicklungs­organisation German­watch und der Kampagnen­plattform Campact tätig.

Natürlich ist es uns als Organisation wichtig zu zeigen, dass wir etwas bewirken können. Aber wenn es uns einzig und allein um PR ginge, könnten wir uns einen großen Teil unserer Themen schenken. Man gewinnt keinen Blumentopf mit Verkehrspolitik. Das galt auch lange für die Forderung des Kohleausstiegs.

Und wenn wir eine detaillierte Studie für irgendein kompliziertes Problem vorlegen, kriegen wir dadurch auch keine große Sichtbarkeit.

Also: Klar, wir leben davon, dass wir Öffentlichkeit herstellen, das bedeutet auch, dass wir sichtbar sind – aber ich finde nicht, dass wir uns immer in den Vordergrund drängen.

Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen der Klimabewegung?

Wir haben vielfältige Austauschrunden mit quasi allen Gruppen der Bewegung. Mit manchen mehr, mit anderen weniger. Mit Fridays for Future sind wir im ständigen Austausch.

Wir wollen wissen, was die Bewegung von uns erwartet, wie sie unsere Aktionen findet. Sicher machen wir nicht immer alles genauso, wie es der, ich sag mal, weniger organisierte Teil der Bewegung sich wünschen würde, aber im Großen und Ganzen gibt es eine starke gegenseitige Wertschätzung.

Natürlich gibt es Unterschiede, aber die gibt es auch zwischen den etablierten Umweltverbänden. Der Nabu hat eine sehr viel konservativere Zielgruppe als wir.

Der Protestforscher Simon Teune meinte im Interview, die Klimabewegung sei überwiegend weiß und akademisch, diese Schieflage sei aber bei den Umweltverbänden meist noch ausgeprägter. Wie versucht Greenpeace das zu verändern?

Darüber wird bei uns intern sehr intensiv diskutiert. Seit mehreren Jahren haben wir Arbeitsgruppen, die sich mit diesem Problem auseinandersetzen. Da haben wir in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht und viele Probleme zu spät angepackt. Daraus haben wir aber gelernt.

"Deutschland macht beim Verkehr sogar Rückschritte"

Wir versuchen mittlerweile, auch andere Jobportale und Kanäle zu nutzen, um soziale Gruppen anzusprechen, die wir davor nicht erreicht haben. Wir wollen in unserer Belegschaft die Breite der deutschen Gesellschaft abbilden. Das gelingt uns inzwischen besser als noch vor ein paar Jahren.

Ich bin auch im Betriebsrat, und die Namen der Leute, die neu eingestellt werden, klingen vielfältiger als früher. Das finde ich sehr schön. Das bringt neue Perspektiven rein und bereichert unsere Arbeit

Kommen wir zu den Inhalten. Sie haben in einem Interview angekündigt, dass die Verkehrswende nun ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Warum ist das so?

Die thematische Karawane ist weitergezogen: Atomenergie ist vom Tisch, Kohle mehr oder weniger auch. Jetzt rücken andere Themen in den Mittelpunkt.

Verkehr hinkt den anderen Sektoren hinterher. In kaum einem anderen Land ist der Verkehr so anachronistisch wie bei uns. Deutschland macht da sogar Rückschritte.

Und das Thema bietet einigen gesellschaftlichen Zündstoff. Das Auto liegt näher an der Lebensrealität vieler Menschen als die Frage, von welchem Kraftwerk der Strom aus der Steckdose kommt.

Ende Gelände, Extinction Rebellion und die Letzte Generation konzentrieren sich momentan vor allem auf Erdgas. Werden da die Prioritäten falsch gesetzt?

Der Ukraine-Krieg hat das frühere Randthema Energiesouveränität, besonders bezüglich Erdgas, an die Oberfläche gespült. Auch wir beschäftigen uns intensiv damit. Wir müssen weg von den Fossilen, deshalb ist das ein logisches Schwerpunktthema der Klimabewegung. Sektoren dürfen nicht mehr nacheinander abgearbeitet werden, sondern das muss nun alles gleichzeitig passieren.

Sie haben das letzte Wort.

Spannend finde ich die Frage, wie man die jetzige Bundesregierung bewertet. Natürlich wird die Klimabewegung nach der Legislatur nicht sagen, das war alles super. Aber unterschiedliche Akteur:innen werden die Anstrengungen der Regierung unterschiedlich bewerten.

Wie man damit dann umgeht und was das für das weitere Vorgehen der Klimabewegung bedeutet – darauf wird jede Gruppe ihre eigene Antwort finden.

Wie weiter mit dem Protest?

Die Klimabewegung hat erreicht, dass die Krise als Problem erkannt wurde und ein Umdenken begonnen hat. Zu konsequentem Klimaschutz, wie ihn das Paris-Abkommen verlangt, hat das noch nicht geführt. Mit welchen Strategien lässt sich der politische Druck erhöhen? Über die Herausforderungen, Veränderungen und Perspektiven spricht Klimareporter° mit Aktivist:innen aus einzelnen Zweigen der Klimabewegung und mit einem Protestforscher. Die ganze Interviewserie gibt es hier.

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