Thomas Bareiß steht am Pult, redet und gestikuliert.
Während sich andere Groko-Klimabremser ins Aus manövrierten, kann ein "Hardliner" wie Wirtschaftsstaatssekretär Bareiß (CDU) auf die neue Legislaturperiode hoffen. (Foto/Ausschnitt: DGRV)

Die große Koalition hat in dieser Legislaturperiode gleich dreimal einen Weckruf wegen ihrer viel zu schwachen Klimapolitik verpasst bekommen.

Zuerst von der Fridays-for-Future-Bewegung. Sie heizte ihr 2019 mit Dauer-Demos ein, sodass die Merkel-Regierung ein "Klimapaket" auflegte, um das eigene CO2-Ziel für 2020 eventuell doch noch zu schaffen.

Dann in diesem Juni vom Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe monierte, die Groko verschiebe die nötigen Schritte zur Klimaneutralität zu weit in die Zukunft. Die Regierung, den Bundestagswahlkampf im Blick, besserte ihr Klimaschutzgesetz hektisch nach. Doch umgesetzt wird wegen der knappen Zeit kaum noch etwas.

Und dann kam die Flut, die alles Bisherige in den Schatten stellt. Nun fordert sogar Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die 16 Jahre lang regiert hat, mehr Klimaschutz.

Fazit: Die Bilanz der dritten Merkel-Groko, die eigentlich die Vorgaben des Pariser Klimavertrags von 2015 umsetzen sollte, ist und bleibt schlecht.

Die Umweltorganisation Greenpeace hat nach dem Karlsruher Urteil nach den Ursachen dafür recherchiert. Für ein Schwarzbuch (Titel: "Wir haben verhindert") wählte sie aus einem "großen Kreis relevanter Politiker:innen von Union und SPD" 31 aus, die nach ihrer Meinung beim Klimaschutz besonders stark bremsen, und porträtiert sie in der Publikation, die am heutigen Freitag erscheint.

Weit in der Überzahl: Politiker von CDU und CSU. Nur drei der 31 Porträtierten kommen von der SPD.

"Hardliner" und "Braunkohle-Fürsten"

Eingeteilt sind die Klima-Bremser in fünf Kategorien. Als erstes die "einflussreichen Spitzen:politikerinnen" wie Kanzlerin Merkel (CDU; "Guter Ruf, maue Bilanz"), Minister "Energiewende-Abwürger" Peter Altmaier (CDU) sowie die Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU; "Der Zauderer") und Dietmar Woidke (SPD; "Braukohle-Patron").

Dann "Hardliner" wie der Wirtschafts-Staatssekretär Thomas Bareiß (CDU), der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Carsten Linnemann (CDU), und der bisherige wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer (CDU). "Sie sprechen viel von Markt und internationalen Lösungen, um konkrete Gesetze in Deutschland zu verhindern", so Greenpeace.

Weiter die "Mechaniker:innen der Macht". Sie stünden selten im medialen Rampenlicht, betätigten sich abseits dessen jedoch oft als "die härtesten Bremser:innen in den Details der Klimapolitik"– darunter Georg Nüßlein (Ex-CSU; "Der Überführte") und Gitta Connemann (CDU; "Die Stimme der Agrarkonzerne").

Vierte Kategorie: die "klimaskeptischen Querschießer:innen", zumeist von der Bundestags-Hinterbank. Abgeordnete wie Arnold Vaatz (CDU; "Der provozierende Querdenker") oder Veronika Bellmann (CDU; "Spott und Hohn für den Klimanotstand"). Mit "zum Teil haarsträubenden Behauptungen, wie sie ansonsten nur aus der AfD zu hören sind", leugneten sie teilweise sogar den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel, schreibt die Umweltorganisation. 

In der fünften Kategorie finden sich die "Braunkohle-Fürsten", nämlich drei Hinterbank-MdBs aus Brandenburg und Sachsen: Klaus-Peter Schulze (CDU; "der Lausitzer Braunkohle-Freund"), Ulrich Freese (SPD; "Der Cottbuser Gewerkschaftsfunktionär") und Andreas Lämmel (CDU; "Der Aushilfs-Pfeiffer"). Sie sähen ihre Aufgabe vor allem darin, die Rolle der Kohle im Energiemix zu verteidigen und sich dem Strukturwandel entgegenzustellen.

"Klimapolitik in die Hände des Wirtschaftsflügels gelegt"

Greenpeace betont in dem Report die Diskrepanz zwischen der "wichtigen Rolle", die Merkel auf internationaler Ebene für den Klimaschutz gespielt hat, etwa beim Zustandekommen des Paris-Vertrags, und der deutschen Klimabilanz.

Letztere wäre, so die Organisation, bis heute "schlicht desaströs", hätten nicht der Zusammenbruch der DDR-Schwerindustrie nach der Wende und die Corona-Lockdowns 2020 den CO2-Ausstoß der Bundesrepublik stark gesenkt.

Bei CDU und CSU macht die Umweltorganisation folgendes Muster aus: "Während in anderen Parteien Umwelt- und Wirtschaftspolitiker um eine gemeinsame Position ringen, hat die Unionsfraktion im Bundestag die Klimapolitik fast komplett in die Hände des Wirtschaftsflügels gelegt."

Alle klimapolitisch wichtigen Posten in der Fraktion seien bis vor Kurzem von diesem Flügel besetzt gewesen. Der sehe seine Aufgabe im Wesentlichen darin, klimafreundliche Positionen zu schleifen oder am besten ganz zu verhindern.

Kürzlich gab es hier eine Änderung. Zwei Exponenten dieses Flügels, Pfeiffer und Nüßlein, bremsten sich selbst aus. Pfeiffer legte sein Amt als energie- und wirtschaftspolitischer Sprecher nieder, ihm wird die Vermengung seines Abgeordnetenmandats mit privatwirtschaftlichen Beratungstätigkeiten vorgeworfen. Fraktionsvize Nüßlein trat nach Korruptionsvorwürfen aus seiner Partei aus.

Wie sich die Union hier personell nach der Bundestagswahl neu aufstellt, ist offen, zumal die Unwetter-Katastrophe die klimapolitischen Positionen noch mehr durcheinandergewirbelt hat.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zum Beispiel hat gerade in einer Regierungserklärung formuliert: "Entweder wir verstehen und wir handeln oder es drohen unabsehbare Folgen". Ob es zu mehr als zum "selbsternannten Klimavorreiter" reicht, der "noch keine Taten" (Greenpeace-Zitate) geliefert hat, wird sich weisen.

SPD kommt besser weg

Die SPD kommt in der Bewertung der Umweltschützer unter dem Strich deutlich besser weg als die Union. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) habe sich redlich bemüht, ihre Kolleg:innen am Kabinettstisch zu mehr Klimaschutz zu treiben.

"Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die SPD den Kohleausstieg hinausgezögert hat. Das späte Ausstiegsdatum 2038 trägt auch eine sozialdemokratische Handschrift."

Fatal sei ebenfalls die Rolle von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) als Kämpferin für die umstrittene Nord-Stream-2-Pipeline gewesen. 

Nach dem formellen Abhaken der Kohlefrage im "Kohlekonsens" hätten sich die Sozialdemokraten neu aufstellen können. "Die Folgen der befreiten SPD werden bereits sichtbar. Das diesjährige Wahlprogramm liest sich klimapolitisch erstaunlich fortschrittlich", so die Greenpeace-Bewertung.

Allerdings: Ob die Sozialdemokratie in ihrer ökologischen Modernisierung bleibt, sei noch nicht ausgemacht. Das werde sich vor allem in der Debatte zum Klimaschutz im Verkehr zeigen, konkret beim Thema Autoindustrie und dem Aus für die Produktion von Benzin- und Diesel-Pkw.

"Die Transformation dieser Schlüsselbranche birgt für die SPD die Gefahr, sich erneut zu verheddern und den mühsam befriedeten Konflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt erneut aufflammen zu lassen", warnt Greenpeace.

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