Es ist noch nicht Winter und zwischen Bundesregierung und Umweltbewegung herrscht schon eine frostige Atmosphäre. Denn die Klimapolitik liegt auf Eis: Das "Osterpaket" von Auch-Klimaminister Robert Habeck (Grüne) zündete keinen Booster für Windkraft und Solarenergie. Bei dem Paket werden jetzt auch erst mal jede Menge handwerkliche Gesetzesfehler repariert.
Wichtige klimapolitische Papiere – der Klimamonitoringbericht für 2021 und das x-mal verschobene Klimasofortprogramm – lassen weiter auf sich warten. Und der versprochene Kohleausstieg 2030? An den ist nicht zu denken, solange die EU nicht einmal den Ausstieg bis 2038 mit seinen großzügigen Milliardenentschädigungen abgesegnet hat.
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ist klimapolitisch praktisch abgetaucht. Auch die mit großen Erwartungen im Außenamt gestartete Staatssekretärin für Klimaaußenpolitik, Jennifer Morgan, bekommt keinen Boden unter die Füße.
Und das vierte Haus im Klimabunde, das Verkehrsministerium? Da werde alles abgeblockt, was irgendwie gegen das Auto gehen könnte, berichten Insider desillusioniert. Bleibe es dabei, könne man die Klimaziele gleich in den Ofen schieben.
Vom Frust über nicht stattfindende Klimapolitik waren auch die Protestaktionen in dieser Woche geprägt. Die Gruppe "Unfreiwillige Feuerwehr" blockierte ziemlich überraschend das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg, wo ab Oktober 1.000 Megawatt Kohleverstromung wieder ans Netz gehen sollen, weil es im Winter an Energie fehlen könnte.
Bei der IAA-Nutzfahrzeugmesse in Hannover protestierte die Umweltorganisation Robin Wood gegen Entwaldung in den Tropen. Keiner der fünf Reifenhersteller, die in Hannover ausstellen, macht laut einem Marktcheck der Waldschützer genaue Angaben zur Herkunft des verarbeiteten Kautschuks. Dabei verbrauche die Reifenindustrie etwa 70 Prozent des global produzierten Naturkautschuks. Kautschuk-Plantagen bedeckten weltweit eine Fläche viermal so groß wie Belgien.
Verbände fordern nationale Solar- und Windreserve
In der Klimapolitik kann die Regierung nicht so weitermachen wie bisher, meint auch Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), gegenüber Klimareporter°. Die Ausbauziele für erneuerbare Energien wie auch die anderen Maßnahmen der Ampel-Koalition stammten alle, wie Niebert es formuliert, aus der "Vorkriegszeit", der Zeit vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine.
Jetzt brauche es aber mehr, um die Transformation zu beschleunigen, sagt der Chef des deutschen Umwelt-Dachverbands. Nötig seien das Anwerben von Fachkräften im Ausland, der globale Einkauf von Komponenten für Windräder und Wärmepumpen sowie die Absicherung der heimischen Produktion für erneuerbare Energien über eine nationale Solar- und Windreserve. Niebert: "Wir können uns da keine Engpässe mehr erlauben."
Die Solar- und Windreserve ist Teil des sogenannten Winterprogramms, das mehrere große Umweltverbände zu Wochenbeginn vorlegten. "Das Programm ist die Forderung nach einer Zeitenwende auch in der Klimapolitik", erläutert Niebert. "Habeck muss jetzt aufhören, nur Energieminister zu sein, und auch endlich Klimaschutzminister werden."
Das Programm liest sich wie eine Liste aufgeschobener Klimaarbeit. Neben der Solar- und Windreserve enthält es die Forderung nach einem Effizienzgesetz mit verbindlichen Einsparzielen. Weitere Punkte: Einführung der angekündigten Klimaprämie, Weiterentwicklung des CO2-Preises für Kraft- und Brennstoffe, Auflösen des Sanierungsstaus bei Gebäuden, Tempolimit – 100 auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen, 30 innerorts –, bundesweites 365-Euro-Klimaticket, Begrenzung der milliardenschweren Dienstwagenförderung.
Parlament ohne Öko-Opposition
Beim Verkehr hat Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die Hoffnung auf die Politik eigentlich schon aufgegeben. "Im Parlament haben wir keine ökologische Opposition mehr", konstatierte Resch kürzlich bei einem Medientermin, bei dem er die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) gewährten "Klimakiller-Kaufprämien" mit bis zu 154.000 Euro pro Luxus-Dienstwagen kritisierte.
Die DUH wisse, dass die Politik sich derzeit nicht gegen die wirkmächtige Autoindustrie samt Gewerkschaft durchsetzen könne, sagte Resch. Das lese er auch aus seinen Kontakten zur Branche heraus. Für kurze Zeit seien die Autovertreter unsicher gewesen, was bei der grünen Mitregierung auf sie zukomme, so Resch – jetzt aber zeigten sie sich wieder "extrem sicher".
Die DUH setzt deswegen immer stärker auf die Gerichte, wie Resch erklärte. Anfang September habe man etwa Klage beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht, um die Regierung zu einem gesetzeskonformen Klimaschutz-Sofortprogramm im Verkehr zu zwingen.
Hier war der Expertenrat für Klimafragen kürzlich zu dem Ergebnis gekommen, dass das von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) vorgelegte Sofortprogramm die gesetzlichen CO2-Vorgaben für 2030 mehr als deutlich verfehlen wird. Aus Sicht von Jürgen Resch kann das Gericht deshalb eigentlich nur entscheiden, dass die Regierung nachliefern muss.
Resch findet es sehr bedenklich, dass Umweltverbände die Regierung zwingen müssen, ihre eigenen Gesetze einzuhalten. "Lieber würden wir uns darauf konzentrieren, Gesetze zu verbessern oder zu verschärfen."