Die "Gilets Jaunes"-Proteste eskalieren am ersten Dezember-Wochenende, hier in Paris am Triumphbogen. (Foto: Olivier Ortelpa/​Flickr)

Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sind am Wochenende weiter eskaliert, 125.000 Menschen beteiligten sich daran, es gab mehr als 1.700 Festnahmen. Unter Klimaschützern nicht nur in Frankreich geht inzwischen die Sorge um, dass nach den Aktionen, die sich an der geplanten Erhöhung der Spritsteuern entzündeten, dieses an sich richtige Instrument zur Förderung der Verkehrswende noch schwerer durchzusetzen ist.

Die Regierung Macron habe "bei der Umsetzung einer richtigen und notwendigen Klimapolitik schwere Fehler gemacht", kritisierte die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Die angekündigte Aufschiebung oder gar Aufhebung der CO2-Steuer-Erhöhung sei keine Lösung und auch keine Antwort auf die wachsende Ungleichheit im Land. Paris hatte die Erhöhung zuerst für sechs Monate, dann für das ganze Jahr 2019 ausgesetzt.

"Die sozialen Unruhen in Frankreich diskreditieren nicht das Instrument der CO2-Bepreisung, sondern eine Art der Umsetzung", kommentierte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

"Wenn die französische Regierung die Steuern für die Vermögenden reduziert, kann sie nicht erwarten, dass ökonomisch benachteiligte Schichten die notwendige Anhebung der CO2-Preise ohne gleichzeitige Kompensationen hinnehmen", so Bals. Die Ereignisse in Frankreich zeigten, dass Klimapolitik und Sozialpolitik Hand in Hand gehen und gemeinsam den Takt für Steuerpolitik angeben müssten.

Für Frankreich wie Deutschland gilt nach Germanwatch-Auffassung gleichermaßen, dass "CO2-Preise als Teil der Erneuerung des sozialen und ökologischen Gesellschaftsvertrags" nötig seien.

Derzeit sei dieser Vertrag doppelt gefährdet: Zum einen hätten viele das Gefühl, dass sich ein Teil der vermögenden Elite der Pflicht entzieht, über Steuern ihren angemessenen Beitrag für das Gemeinwohl zu leisten, während andere belastet werden.

Zum anderen drohe eine schwache Klimapolitik den "ökologischen Gesellschaftsvertrag mit der jungen Generation" aufzukündigen – also das Versprechen, dass sie zumindest die gleichen Chancen bekommen soll wie die Generationen vor ihr.

Germanwatch fordert von der Bundesregierung, dass ein schrittweise steigender CO2-Preis im Klimaschutzgesetz verankert wird, das 2019 verschiedet werden soll. Dies könne so gestaltet werden, dass geringer verdienende Pendler oder Bewohner unsanierter Häuser unterm Strich nicht zusätzlich belastet werden – etwa durch finanzielle Kompensationsmechanismen.

Die Umstellung der Energiesteuern müsse transparent, verständlich und vor allem sozial gerecht ausgestaltet werden. Zudem müssten besonders betroffene Branchen und Regionen bei der Transformation unterstützt werden, und es dürften keine Branchen aus dem Land getrieben werden.

"Von europäischen Nachbarländern lernen"

Auch den Thinktank Agora Verkehrswende treibt die Eskalation in Frankreich um. "Die Reform der Steuern und Abgaben im Verkehrssektor ist unvermeidlich, wenn man die Klimaschutzziele im Verkehr ernst nimmt", sagte ihr Geschäftsführer Christian Hochfeld.

"Aber die Proteste der Gelbwesten in Frankreich zeigen: Nur sozial ausgewogene Reformempfehlungen finden Akzeptanz", so Hochfeld. Dies sei ein Grund mehr, nicht an der heutigen Besteuerung festzuhalten, die einkommensschwache Gruppen ebenfalls benachteiligen kann.

Der Thinktank hält eine grundlegende Reform von Steuern und Abgaben sogar für den "Schlüssel", um die von der Bundesregierung beschlossenen Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Dabei könne Deutschland von den Erfahrungen europäischer Nachbarländer lernen, die bereits stärker finanzpolitische Instrumente nutzten, um den CO2-Ausstoß der Pkw zu mindern.

Dazu gehörten beispielsweise Zulassungssteuern für Benzin- und Dieselfahrzeuge mit hohem Kraftstoffverbrauch wie in den Niederlanden und einmalige Prämienzahlungen für die Anschaffung emissionsarmer Fahrzeuge wie in Frankreich.

Die Experten geben damit Entwarnung: Die deutschen Finanzpolitiker würden im europäischen Vergleich "kein Neuland" betreten, "wenn sie das Steuerrecht verstärkt in den Dienst des Klimaschutzes stellen", heißt es in einer neuen Agora-Studie.

Der Vergleich bereits existierender fiskalischer Instrumente wurde für den Thinktank vom International Council on Clean Transportation (ICCT) durchgeführt. Analysiert hat die Organisation die Steuer-Regelungen in Frankreich, Norwegen, den Niederlanden und Großbritannien, wo die CO2-Emissionen von Neuwagen zum Teil deutlich niedriger liegen als in Deutschland.

Beispiele sind hier die Umstellung der Spritbesteuerung auf die bei der Verbrennung von Benzin und Diesel verursachten CO2-Emissionen, eine streckenbezogene Pkw-Maut anstelle der in Deutschland geplanten Vignette und eine stärker am CO2-Ausstoß orientierte Kfz-Steuer, die im Zuge des Fahrzeugkaufs erhöht, in den Folgejahren dafür reduziert wird.

"Steuerliche Anreize, die im direkten Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeuges stehen, haben einen besonders starken Einfluss auf die Kaufentscheidung", erläuterte ICCT-Europachef Peter Mock.

Der unlängst in Deutschland beschlossenen Reform der Dienstwagenbesteuerung, die batterieelektrische Pkw und Plug-in-Hybridfahrzeuge besserstellt, bescheinigt die Studie immerhin eine "Signalwirkung".

Hochfeld kritisierte aber: "Wir bedauern, dass bei der Reform der Dienstwagenbesteuerung die Potenziale für den Klimaschutz nicht voll ausgeschöpft wurden." Es sei konsequent, nur echte Nullemissionsfahrzeuge steuerlich zu begünstigen – so wie in den Niederlanden.

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