Große Masse an demonstrierenden jungen Menschen mit Schildern und Transparenten
Die Großdemonstrationen wie hier 2019 in Berlin sollen weitergehen, kreative Aktionen und neue Bündnisse sollen hinzukommen. (Foto: Jörg Farys/​Flickr)

Klimareporter°: Die Klimakrise eskaliert und es passiert viel zu wenig, um die äußerst bedrohliche Entwicklung aufzuhalten. Was werden die nächsten Schritte der Klimagerechtigkeitsbewegung sein, was die nächsten Schritte von Fridays for Future?

Annika Rittmann: Es passieren gerade zwei Dinge in der Gesellschaft. Einmal gibt es eine große Überforderung. Die Klimakrise spitzt sich zu, wir befinden uns nach wie vor in einer Pandemie und obendrauf kommt noch Russlands Angriffskrieg.

Gleichzeitig verstehen aber auch immer mehr Menschen, dass diese Krisen nicht isoliert voneinander sind, sondern in einem Zusammenhang stehen.

Die große Aufgabe der Klimagerechtigkeitsbewegung ist es, dieser gesellschaftlichen Stimmung eine Stimme zu verleihen und damit Druck auf die Politik auszuüben. Wir müssen anfangen, gemeinsame Lösungen für die Krisen zu formulieren.

Und wie gelingt das?

Wir haben gezeigt, dass wir mit Krisen gut umgehen können. Während Corona haben wir kreative und passende Aktionen gemacht, zum Beispiel Onlineaktionen. Nach Beginn des Ukrainekriegs haben wir als eine der ersten Gruppen unsere Demos abgesagt und zu den Friedensdemos aufgerufen – gemeinsam mit der ukrainischen Community.

Während der Zusammenhang zwischen Corona und der Klimakrise noch oft ignoriert wurde, ist er beim Ukrainekrieg wesentlich offensichtlicher. Es lässt sich schlechter verdrängen, dass wir den Krieg durch fossile Importe mitfinanzieren.

Ganz oben steht deshalb der Energiebereich. Es reicht nicht, 20 Windräder mehr zu bauen. Wenn wir wegwollen von russischem Gas, Öl und Kohle – von fossilen Energien allgemein, dann heißt das, dass wir insgesamt weniger Energie verbrauchen dürfen und unser System dementsprechend umbauen müssen.

Fridays for Future will diese Stimmung der Überforderung also kanalisieren und damit mehr Druck aufbauen?

Das ist unsere Rolle. Wir gehen mit großer Masse auf die Straße und organisieren anschlussfähigen Protest.

Natürlich braucht es auch neue kreative Aktionsformen, um die Aufmerksamkeit für die Klimakrise zu erhöhen. Während der Pandemie haben wir bereits angefangen, neue Aktionen auszuprobieren, jetzt müssen wir uns Gedanken machen, wie wir daran anknüpfen können. Wir wollen möglichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, aktiv zu werden.

Was heißt das konkret?

Unser Fokus liegt vor allem auf zwei Arten von Aktionen. Die großangelegten Proteste, das waren bisher vor allem Demonstrationen, zu denen schnell neue Leute dazustoßen und sich langfristig bei uns organisieren können.

"Wir stehen kurz vor dem sozialen Kipppunkt"

Das andere sind Aktionen, die etwas schaffen, das länger bleibt. Zum Beispiel haben wir letztes Jahr in Hamburg in riesigen Buchstaben "Wir alle für 1,5 Grad" auf die Straße geschrieben. Das war eine Aktion, die gut während der Pandemie umzusetzen war und die immer wieder, wenn Leute vorbeigehen oder drüber stolpern, zum Nachdenken anregt.

Im Interview waren Kate Cahoon von der Klimaschutzorganisation 350.org und der Protestforscher Simon Teune der Ansicht, dass die Wiederholung der immer gleichen Protestformen ihre Wirkung verliert, medial wie auch politisch. Sehen Sie das auch so?

Das meine ich mit neuen, kreativen Strategien. Auch wir müssen uns verändern und weiterentwickeln. Das ist klar. Anfangs haben wir uns vor allem durch die Schulstreiks von den Umweltverbänden unterschieden. Menschen haben sich gefragt: "Dürfen die das eigentlich?" Auf der anderen Seite fanden sie aber unser Anliegen legitim und uns sympathisch.

Jetzt müssen wir andere Aktionsformen finden, die ähnliche Reaktionen hervorrufen und gleichzeitig anschlussfähig sind. Damit lässt sich der Druck erhöhen.

Haben Sie da welche im Kopf oder sind die geheim?

(lacht) Wir wollen nicht den Überraschungseffekt wegnehmen. Es gibt viele Aktionsformen, die diese Eigenschaften erfüllen. Da können die Leser:innen vielleicht auch selbst überlegen.

Sie hoffen also, dass sich durch Öffentlichkeit allein genügend Druck aufbauen lässt?

Porträtaufnahme von Annika Rittmann.
Foto: privat

Annika Rittmann

ist Klima­aktivistin und eine der Sprecher:innen von Fridays for Future. Sie ist MCI-Studentin an der Universität Hamburg.

Die Frage ist doch, was bringt die Politik zum Handeln? Historisch waren das große Bewegungen, die mit vielfältigen Mitteln auf die Politik zugegangen sind.

Nur weil unsere Freitagsdemos nicht mehr so große Schlagzeilen machen, dürfen wir mit ihnen nicht aufhören. Wir stehen kurz vor dem sozialen Kipppunkt und dürfen uns nicht einreden, dass Demos nichts bringen.

Zusätzlich braucht es einen Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteur:innen und ein dadurch vielfältiges Einwirken auf die Politik. Politische Entscheidungen werden massiv durch Lobbying beeinflusst. Deshalb müssen wir versuchen, Gewerkschaften und andere Institutionen auf unsere Seite zu bringen und der Politik die Akteur:innen wegzunehmen, hinter denen sie sich versteckt.

Ein Schwerpunkt ist es also, Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Akteur:innen zu schließen?

Unsere Kampagnen waren dann am erfolgreichsten, wenn wir uns mit Akteur:innen zusammengetan haben, von denen es niemand erwartet hat. Es gibt immer wieder den Versuch, politische Kämpfe gegeneinander auszuspielen.

Aber wenn wir mal ehrlich sind, gibt es keine rationale Begründung gegen effizienten Klimaschutz. Das Einzige, was dagegenspricht, ist Angst und Bequemlichkeit. Dem müssen wir mit Bündnissen, guten Argumenten und positiven Beispielen entgegentreten.

Man liest immer wieder von internen Diskussionen bei Fridays for Future. Gibt es eine starke Flügeldynamik?

Wir unterscheiden uns von anderen Akteur:innen darin, dass es bei uns kein "von oben herab" gibt. Einzelne Ortsgruppen können im Rahmen unseres Selbstverständnisses machen, was sie für richtig halten. Das macht uns sehr resistent gegen ein gegenseitiges Köpfe-Einschlagen. Man kann Demos machen, einen Schriftzug auf die Straße malen oder, wie letzten August in Frankfurt am Main, aus einer Demo heraus eine bunte Straßenblockade starten.

Darüber hinaus gibt es bei uns natürlich auch strategische Debatten. Diese Debatten kosten Kraft und Kapazitäten, aber sie sind wichtig. Und solche internen Diskurse muss eine soziale Bewegung wie Fridays for Future aushalten.

Elia Nejem vom Bündnis "Ende Gelände" und Kate Cahoon sind der Meinung, es brauche eine Eskalation der Aktionsformen. Nur durch mehr Druck, etwa durch finanziellen Schaden, lasse sich effektiver Klimaschutz beschleunigen. Begrüßen Sie solche Stimmen aus der Klimabewegung?

Ich bin nicht die Richtige, um zu beurteilen, ob das strategisch Sinn ergibt oder nicht. Das müssen am Ende Bewegungsforscher oder Ökonomen beurteilen. Ich glaube, dass die ganze Klimagerechtigkeitsbewegung am Ende ein Ausprobieren von Aktionsformen ist. Ich halte aber unsere Aufgabe für eine andere.

Druck aus möglichst vielen Richtungen halte ich dennoch für richtig und wichtig.

Elia Nejem meinte im Interview, sie würde sich wünschen, dass zum Beispiel Fridays for Future deutlichere Kapitalismuskritik äußert. Warum passiert das nicht?

Wir sind gesellschaftlich an einem Punkt, an dem, sobald man "Kapitalismus" sagt, die Hälfte der Leute wegrennt und die andere Hälfte anfängt, mit Anti-Kommunismus-Argumenten um sich zu werfen. Das verhindert eine inhaltliche Auseinandersetzung.

"Das System des unendlichen Wachstums ist das Problem"

Wir sind in der Formulierung deshalb vielleicht etwas vorsichtiger. Systemkritik äußern wir aber auf jeden Fall. Wir sagen, dass das System des "unendlichen Wachstums" das Problem ist. Das kann man auch Kapitalismuskritik nennen. Wir versuchen uns darauf zu konzentrieren, was diese Kritik eigentlich bedeutet, und gleichzeitig so Menschen mit ins Boot zu holen.

Ich kenne viele Menschen, die bei Fridays for Future angefangen haben, sich mehr mit Systemkritik auseinanderzusetzen und sich inzwischen mit dem Begriff Kapitalismuskritik identifizieren können. Dafür braucht es erst mal diese Auseinandersetzung. Die findet nicht statt, wenn die Hälfte der Menschen nach dem abstrakten Wort Kapitalismuskritik, bei dem vielen nicht klar ist, was man damit meint, einfach nur zumacht.

Ein kapitalistisches Grundprinzip – Profite über menschliche Bedürfnisse zu stellen – kritisieren wir natürlich und erklären auch, dass das die Ursache der Krisen ist, in denen wir stecken.

Susanne Egli von Extinction Rebellion sagte im Interview, Fridays for Future werde durch die Grünen vereinnahmt. Ist das ein Problem?

Wir verhalten uns überparteilich und behandeln die Grünen wie jede andere Partei. Klar, wir haben an unterschiedlichen Parteien unterschiedliche inhaltliche Kritikpunkte. Das hängt von den jeweiligen Programmen ab.

Jetzt, seitdem die Grünen regieren, wird auch wieder deutlich, dass von den Grünen kein ausreichender Klimaschutz zu erwarten ist. Annalena Baerbock hat zwischenzeitlich einen späteren Kohleausstieg vorgeschlagen.

Arbeitet Fridays for Future mit allen Gruppen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung gleichermaßen zusammen?

Wir arbeiten bundesweit mit den meisten Klimagerechtigkeitsgruppen zusammen. Uns ist dabei wichtig, dass wir dieselben Grundwerte teilen. Mit einer Gruppe, die sich nicht antirassistisch positioniert, würden wir beispielsweise nicht zusammenarbeiten.

Funktioniert die Zusammenarbeit gut?

Prinzipiell ja. Wie bei vielen linken Bewegungen gibt es lange und schwierige Debatten. Da unterscheiden sich progressive Bewegungen vielleicht von rechten Bewegungen. Es wird viel und kontrovers über Lösungen diskutiert, das ist natürlich schwerer, als alles schlecht zu finden.

Gerade am Anfang haben wir auch sehr stark von den Ressourcen von NGOs profitiert, zum Beispiel gab es Räume für unsere Treffen. Auch die Erfahrung von Aktivist:innen, zum Beispiel von Ende Gelände, hat uns immer wieder sehr geholfen.

Simon Teune sagt, Eigenheiten wie die Art des Diskutierens oder die Rolle von Emotionen machen die Klimabewegung nur für bestimmte gesellschaftliche Gruppen überhaupt erträglich. Was tut Fridays for Future, um das aufzubrechen?

Wie weiter mit dem Protest?

Die Klimabewegung hat erreicht, dass die Krise als Problem erkannt wurde und ein Umdenken begonnen hat. Zu konsequentem Klimaschutz, wie ihn das Paris-Abkommen verlangt, hat das noch nicht geführt. Mit welchen Strategien lässt sich der politische Druck erhöhen? Über die Herausforderungen, Veränderungen und Perspektiven spricht Klimareporter° mit Aktivist:innen aus einzelnen Zweigen der Klimabewegung und mit einem Protestforscher. Die ganze Interviewserie gibt es hier.

Nach wie vor zu wenig, auf jeden Fall. Wir versuchen, die Hürden, um bei uns mitzumachen, immer weiter zu senken. Gruppen, die weniger vertreten und präsent bei uns sind, fühlen sich dadurch auch oft weniger angesprochen von uns. Das müssen wir verändern.

Wie kann das gehen?

Wir versuchen uns über verschiedene Diskriminierungsformen weiterzubilden. Gleichzeitig wollen wir nicht von Menschen erwarten, schon alles zu wissen. Denn das schließt am Ende auch Menschen aus.

Ich glaube, es gibt auf diese Frage nicht die eine Antwort.

Wie wichtig sind die bekannten Gesichter, wie Luisa Neubauer, Carla Reemtsma oder auch Sie selbst, für Fridays for Future?

Ich glaube, so funktionieren wir Menschen einfach. Wir verbinden Organisationen mit Gesichtern. Und so funktionieren auch Medien.

Wir hadern, so wie viele Bewegungen, damit, dass wir zwar Figuren brauchen, die bekannt sind und sich in Talkshows setzen, wir gleichzeitig, aber nicht wollen, dass fünf Menschen die ganze Bewegung repräsentieren. So kann man nie die Vielfalt einer Bewegung abbilden.

Das letzte Wort gehört Ihnen.

Das Gefühl der Überforderung und Ohnmacht in den sich überschlagenden Krisen ist gesellschaftlich, aber auch in der Klimabewegung präsent. Aber es ist wichtig, dass wir was tun, damit sich was verändert. Der einzige Weg, um mit den Krisen umzugehen, ist aktiv zu werden. Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht, aber irgendwann werden wir wissen, wofür wir gekämpft haben.