Von einem Kohlebagger sind einige Teile zu sehen, an denen ein Transparent hängt:
Aktionen von "Ende Gelände" sind öffentliche Blockaden und Besetzungen, hier 2019 in der Lausitz. (Foto: Ende Gelände/​Flickr)

Unter den Klima-Aktivist:innen rumort es. Angesichts der Enttäuschung über die Weltklimakonferenz und den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung scheint ein Weiter-so auch mit Blick auf das eigene Vorgehen nicht länger möglich. In einem Spiegel-Interview hat Tadzio Müller, Mitbegründer von "Ende Gelände", jüngst die Radikalisierung von Teilen der Klimabewegung prophezeit und mit einer "grünen RAF" kokettiert.

Der frühere Extinction-Rebellion-Sprecher Tino Pfaff hat in einem Gastbeitrag bei Klimareporter° für zivilen Ungehorsam und friedliche Sabotage plädiert. Mit diesem auch als "ziviler Ungehorsam plus" diskutierten Konzept sympathisiert auf Zeit Online auch eine Sprecherin der Fridays-for-Future-Ortsgruppe Frankfurt am Main.

Während Ende Gelände sich stets gegen die Beantwortung der "nervigen Gewaltfrage" gewehrt hat, wohl auch um sich Spielräume offenzuhalten, kann man die Forderung nach friedlicher Sabotage aus der Richtung von Extinction Rebellion und erst recht vonseiten der bislang am stärksten auf Kooperation mit dem politischen System setzenden Fridays-for-Future-Bewegung nur als Zeichen einer Radikalisierung deuten.

Dies mag als Reaktion auf die Frustration über nur mühsam erzielte politische Erfolge verständlich sein. Doch muss den Aktivist:innen klar sein: Friedliche Sabotage überdehnt die Grenzen des Konzepts des zivilen Ungehorsams in einem Maße, dass es zu dessen demokratischem Kern in Widerspruch gerät.

Ziviler Ungehorsam ist innerhalb der Klimabewegung eine erprobte und auch probate Form des Protests. Wo legale Wege der Opposition ausgeschöpft sind oder als nicht zielführend erscheinen, ist illegaler Protest ein letztes und legitimes Mittel.

Nach Hannah Arendt kann Recht zwar "Veränderungen, wenn sie einmal vollzogen sind, stabilisieren und legalisieren, doch die Veränderungen an sich sind immer das Ergebnis von Handlungen außerrechtlicher Natur". Ziviler Ungehorsam bricht in diesem Sinne gezielt und öffentlich Gesetze, um so auf Missstände aufmerksam zu machen und den Anstoß zu ihrer Überwindung zu geben.

Die anderen als Freie und Gleiche respektieren

Bewusste Regelverletzung kann also legitim sein, um Veränderung zu ermöglichen – im demokratischen Rechtsstaat aber nur, insoweit sie die anderen als Gleiche und Freie respektiert, das heißt sie mit zivilen Mitteln zu überzeugen versucht. Ein Gesetzesbruch ist deshalb stets rechtfertigungsbedürftig.

Gewalt gegen Personen schließt das Konzept des zivilen Ungehorsams kategorisch aus. Ob Sachbeschädigung in seinem Rahmen gerechtfertigt ist, bleibt umstritten und kann letztlich nur im Einzelfall, durch die demokratische Öffentlichkeit entschieden werden.

Der Umstand, dass Nichthandeln in klimapolitischen Fragen irreparable Folgen hat, verstärkt durch die Tatsache, dass die gesamte Menschheit betroffen ist, stellt eine ganz eigene und zentrale Legitimationsressource auch für illegale Protestaktionen der Klimabewegung dar und verleiht ihren Forderungen eine besondere Dringlichkeit.

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Frauke Höntzsch

ist promovierte Politik­wissen­schaftlerin und forscht an der Universität Augsburg. Die Theorien von Widerstand und Terrorismus gehören zu ihren Schwerpunkten. Höntzsch leitet die Redaktion der Zeitschrift für Politische Theorie.

Sabotage aber als eine spezifische – im Verborgenen ausgeübte – Form der Gewalt gegen Sachen ist weder zielführend noch legitim, daran ändert auch das Beiwort friedlich nichts.

Die Forschung zeigt, dass Widerstand in der Regel erfolgreicher ist, wo er konsequent gewaltlos agiert. Die Überzeugungskraft zivilen Ungehorsams als Form gewaltfreien Widerstands im demokratischen Rechtsstaat liegt gerade darin, dass er demonstrativ zivil und friedlich ist – nicht zuletzt, um so im Kontrast ungerechte staatliche Gewalt umso deutlicher sichtbar zu machen.

Dass strukturelle Gewalt nicht gleichermaßen sichtbar ist wie offene staatliche Gewalt, etwa gegen friedliche Demonstrant:innen, mag strategisch ein Problem sein, Gegengewalt rechtfertigt es nicht. Solange das Ziel die Mobilisierung der Mehrheit als Grundlage demokratischer Legitimation ist, muss das auch für die Klimaaktivist:innen von Interesse sein.

Die Radikalisierungsfalle wird zur Delegitimierungsfalle

Wichtiger mit Blick auf die Frage nach der Rechtfertigung ist, dass Sabotage als eine im Verborgenen stattfindende Handlung "das Licht der Öffentlichkeit scheut". Für Hannah Arendt liegt darin der Unterschied zwischen kriminellem Ungehorsam und zivilem Ungehorsam.

Sabotage ist kein Rechtsbruch, den man vor aller Augen begeht. Die Akteur:innen stehen nicht mit ihrer Person dafür ein, um so ihrer Überzeugung Nachdruck zu verleihen. Vor allem aber handelt es sich nicht länger um einen nur symbolischen Rechtsbruch mit dem Ziel, die Mehrheit zu mobilisieren.

Vielmehr steht das Urteil bereits fest und wird vollstreckt – am demokratischen Entscheidungsprozess vorbei.

Dabei ist fraglich, ob friedliche Sabotage ihr erklärtes Ziel überhaupt erreichen, das heißt Wirtschaftsabläufe so effektiv stören könnte, dass sich dadurch eine Emissionsreduktion erzielen ließe beziehungsweise klimaschädliche Investitionen unattraktiv würden.

Sabotage, als im Verborgenen ausgeübte Gewalt gegen Sachen, kann aus den genannten Gründen nicht friedlich im Sinne von zivil sein. Im Geiste des zivilen Ungehorsams müsste vielmehr ein Jetzt-erst-recht gelten: Standhaft bleiben, nicht in die Radikalisierungsfalle tappen, die schnell zur Delegitimierungsfalle werden kann.

Stattdessen: den Druck hochhalten, erfolgreiche illegale und legale Aktionen fortsetzen (gerade der Rechtsweg scheint erfolgversprechend) – vor den Augen der politischen Gemeinschaft der Freien und Gleichen, die es zu überzeugen gilt.

Nur so lässt sich der zivile Ungehorsam der Klimabewegung als demokratische Form illegalen Protests klar von illegitimen Aktionen unterscheiden. Wo, wie in einigen der von Martin Unfried in seinem Gastbeitrag angeführten Fälle, radikale Gruppen innerhalb der Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen Mitbürger:innen Gewalt androhen beziehungsweise dazu aufrufen, bringen sie zum Ausdruck, dass sie Andersdenkende nicht als Gleiche und Freie respektieren.

Legaler und illegaler, legitimer und illegitimer Protest bilden ein Kontinuum – am äußersten Ende steht die planmäßig ausgeübte politische Gewalt gegen Personen, die im demokratischen Rechtsstaat als illegale und illegitime Gewalt gleichbedeutend mit Terrorismus ist. In diesem Sinne gilt es, sich von jeder Form des Protests, der die demokratische Gemeinschaft der Gleichen und Freien aufkündigt, zu distanzieren.

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