Vor schwarzem Hintergrund zieht sich ein roter Lichtstreifen schräg über das Bild, drum herum etwas blaues Licht und die Anzeige eines Tachometers: über 220 km/h.
Ein Tempolimit reduziert das Unfallrisiko, optimiert den Verkehrsfluss und spart CO2-Emissionen – warum verzichten wir auf diese Vorteile? (Foto: Gerd Altmann/​Pixabay)

Zunächst zu den Fakten. Auf Autobahnen und vergleichbaren Straßentypen gilt überall auf der Welt ein generelles Tempolimit. Und das aus gutem Grund. Denn Autofahren ist und bleibt gefährlich.

Zu hohe Geschwindigkeiten sind weltweit immer noch Unfallursache Nummer eins, und je schneller die Fahrzeuge unterwegs sind, umso größer das Unfallrisiko. Für Deutschland gilt als Faustformel: Immer dort, wo auf Autobahnen ein Tempolimit eingeführt wurde, haben sich die Unfallzahlen halbiert.

Dazu kommt noch, dass bei einer limitierten Geschwindigkeit der Verkehrsfluss optimiert wird. Es passen schlicht mehr Fahrzeuge auf die Straße, wenn der Sicherheitsabstand bei den geringeren Geschwindigkeiten gesenkt werden kann.

Dazu kommen noch Einsparungen bei den CO2-Emissionen, die der Autoverkehr verursacht. Laut Umweltbundesamt sind es bei Tempo 130 rund 2,5 Prozent und bei Tempo 110 könnten es sogar rund fünf Prozent sein.

Wenn also die Unfallzahlen deutlich gesenkt, die Durchflussmenge erhöht und die CO2-Emissionen reduziert und wenn diese Regelung sofort gleichsam über Nacht praktisch kostenlos eingeführt werden könnte, dann fragt sich die Welt: Warum möchte eine neue Regierung in Deutschland das überhaupt nicht tun?

Nur eine Minderheit ist dagegen

Seit vielen Jahren gibt es Umfragen zum Thema und seit vielen Jahren gibt es eine Mehrheit in der Bevölkerung für ein Tempolimit. Interessant ist, dass bei Frauen und bei Menschen unter 35 Jahren das Tempolimit eine große Mehrheit hat, während die älteren Männer überwiegend für freie Fahrt sind.

Wenn man einmal unterstellt, dass Deutschland nicht schlauer ist als die übrige Welt, dann können die Gründe also nicht in der Sache selbst liegen.

Das Argument, dass wir uns nicht alles vom Staat vorschreiben lassen wollen und es auch Bereiche ohne Regulierung geben muss, ist an und für sich nicht falsch, nur im Verkehr sicherlich nicht angebracht.

Porträtaufnahme von  Andreas Knie.
Foto: David Außerhofer

Andreas Knie

Der Sozial­wissen­schaftler mit den Schwer­punkten Wissen­schafts­forschung, Technik­forschung und Mobilitäts­forschung lehrt an der TU Berlin und leitet die Forschungs­gruppe Digitale Mobilität am Wissen­schafts­zentrum Berlin. Andreas Knie ist Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°.

Es gibt wohl kein Politikfeld, das so sehr auf eindeutige und sanktionierbare Regeln angewiesen ist wie der Verkehr. Jeder Mensch, der zu Fuß, mit dem Rad und erst recht mit dem Auto unterwegs ist, muss sich darauf verlassen können, dass sich alle nach Regeln richten.

Übrigens sind gerade Staaten, in denen die Bürger viel Wert auf Eigenständigkeit legen und auf staatliche Eingriffe allergisch reagieren, wie die USA und die Schweiz, für besonders strenge Geschwindigkeitsbegrenzungen bekannt.

Und die Autolobby? Die tut eigentlich gar nichts und hält sich sehr zurück. Warum auch? Mehr als 70 Prozent der deutschen Autos werden in Länder mit strengen Limits ausgeliefert.

Gründe in der Geschichte

Bei der Suche nach den Gründen findet man möglicherweise Hinweise in der Vergangenheit. Westdeutschland tat nach dem Zweiten Weltkrieg so gut wie alles, um die Popularität des Autos zu stärken und die Massenmotorisierung voranzubringen.

Neben dem konsequenten Ausbau von Straßen und der steuerlichen Bevorzugung für die Nutzung von Autos dachte man sich 1953 etwas ganz Besonderes aus: die Abschaffung sämtlicher bislang geltender Geschwindigkeitsbegrenzungen!

"Freie Fahrt für freie Bürger" war also keine Erfindung des ADAC, sondern eine verkehrspolitische Maßnahme der westdeutschen Bundesregierung, um das Fahren mit Autos zu einer wirklich entgrenzten und emotionalen Angelegenheit zu machen.

Vorbild – wie auch in vielen anderen Gesetzen rund um das Auto – waren die Nationalsozialisten. Die hatten 1934, nachdem sie zunächst eine einheitliche Straßenverkehrsordnung durchgesetzt hatten, alle Geschwindigkeitsbegrenzungen bereits aufgehoben. Sie mussten sie lediglich deshalb 1939 wieder einführen, weil Deutschland einen Weltkrieg angezettelt hatte, für den Benzin gespart werden sollte.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrats in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Wer also ein generelles Tempolimit auf Autobahnen schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen für tabu erklärt und damit eine Maßnahme auf dem Altar der Verhandlungen opfert, die mit sofortiger Wirkung Menschenleben rettet, die Verkehrssicherheit erhöht, Staus vermeidet und noch dazu die CO2-Emissionen senkt, der leistet einen sinnlosen Verzicht.

Oder aber es ist wieder einmal das Einknicken vor alten Männern.

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