Ein EEX-Team betrachtet die Kurse von CO2-Zertifikaten auf einem Monitor.
Wie kann durch das Hin- und Herrechnen und den Handel mit CO2-Emissionen mehr Klimaschutz entstehen? (Foto: EEX)

Für insgesamt drei Wochen trafen sich gerade Staatsdelegierte, Vertreterinnen von NGOs, Wissenschaftler und andere Interessengruppen im virtuellen Raum, um die Weichen für die große Klimakonferenz COP 26 im November in Glasgow zu stellen.

Entschieden wird bei diesen Vorbereitungstreffen zwar nichts. Doch was auf der von den Vereinten Nationen ausgerichteten Konferenz der "Subsidiary Bodies", der Nebenorgane der Klimakonferenzen, nicht klappt, das klappt auf der COP schon gar nicht.

Verhandelt wurde etwa über den noch offenen Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, bei dem es um internationale CO2-Märkte geht. Auch eine Vereinheitlichung der NDCs, der nationalen Beiträge zur Emissionsreduktion, steht noch aus, und Interessengruppen will man besser einbeziehen.

Anders als die COPs gehen die Zwischenkonferenzen meist spurlos über die Bühne. Man kann sich aber auf den Webseiten der UN-Klimakonvention oder des NGO-Netzwerks Climate Action Network einen Überblick verschaffen oder mit dem Hashtag #SB2021 nach informativen Tweets stöbern.

Es gäbe genug zu berichten. Etwa, dass China ausgerechnet im Transparenz-Meeting externe Beobachter – also Interessengruppen und NGOs – ausschließen wollte, was dann auch passiert ist.

Einige Ölstaaten sprachen sich für einen längeren Zeitrahmen bei den NDCs aus. Die Klimaziele der einzelnen Staaten könnten dadurch noch unkonkreter werden, als sie es ohnehin schon sind. Einig war man sich darin, dass die Zivilgesellschaft besser eingebunden werden soll.

Erschwerend sind bei virtuellen globalen Konferenzen die unterschiedlichen Zeitzonen. Er wolle seine Kamera lieber nicht einschalten, da er noch nicht ganz wach sei, meinte etwa einer der Konferenzmoderatoren. Der Grundtenor: Es geht schleppend voran, aber nichts anderes war zu erwarten.

Endlich wieder Bewegung bei den Klima-Versprechen

In den vergangenen Monaten hat sich bei den Klimaschutzzielen einiges getan. Auf dem "Leaders Summit on Climate" von US-Präsident Joe Biden stellten neben den USA unter anderem die EU, Großbritannien, Kanada und Russland neue Emissionsreduktionsziele vor. Die Staaten legten fest, wie stark sie ihren Treibhausgasausstoß bis 2030 reduzieren wollen.

Emissionsintensitätsziele wie das von China sind dagegen seltener. Sie beziehen sich auf die Emissionen relativ zum Bruttoinlandsprodukt. Die CO2-Intensität der Volksrepublik soll bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 60 bis 65 Prozent sinken. Intensitätsziele sind auf Schwellenländer zugeschnitten, da sie die Dekarbonisierung fördern und gleichzeitig Wirtschaftswachstum ermöglichen.

Es ist zu erwarten, dass die Ziele in die jeweiligen NDCs einfließen, die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens alle fünf Jahre vorzulegen sind. Für 2020 kamen dem aber nur die EU und 44 weitere Staaten nach – unter anderem wegen der Covid-19-Pandemie. Das Nichteinhalten hat allerdings keine juristischen Konsequenzen. Anders als beim Kyoto-Protokoll gibt es beim Paris-Abkommen keine Sanktionen.

China hat sein überarbeitetes NDC noch nicht eingereicht, ebenso wenig Indien. Die USA präsentierten hingegen eine viel erwartete überarbeitete Version, nachdem sie dem Abkommen für mehr als ein Jahr fehlten. Der Treibhausgasausstoß soll bis 2030 netto um 50 bis 52 Prozent gegenüber 2005 gesenkt werden. Damit setzt sich das Land neben Großbritannien und der EU eines der ehrgeizigsten Ziele, das Experten zufolge aber gerade so die Mindestanforderung erfüllt.

Kohlenstoffsenken als Nettovorteil

Problematisch ist auch die Netto-Angabe. Je nachdem, ob und inwieweit man die Mengen an Kohlendioxid einrechnet, die Wälder, Pflanzen und Böden möglicherweise in zehn Jahren speichern werden, ergeben sich andere Prozentwerte.

Während der Schlussverhandlungen für das EU-Ziel bemängelten deshalb einige Abgeordnete, dass die Berücksichtigung dieser CO2-Senken das Einsparziel abschwächen würde. Das tatsächliche Ziel für 2030 liege deshalb statt der angegebenen 55 Prozent bei weniger als 53 Prozent.

Dass die Einbeziehung von Kohlenstoffsenken in die Rechnung ohnehin eine gefährliche Falle sei und die Dringlichkeit sofortiger Einsparungen untergrabe, schreibt James Dyke im Portal The Conversation. Geoengineering als technische Alternative sei nur als Notlösung denkbar. Die Technologien sind kostspielig, unsicher und erst in ferner Zukunft großflächig einsatzfähig.

Schon länger liebäugeln Verfechter von Geoengineering damit, Spiegel im Weltall zu platzieren oder Schwefeldioxid in die Stratosphäre zu injizieren, um die Sonneneinstrahlung zu reflektieren. Das soll die Erderwärmung eindämmen.

Auch sogenannte CCUS-Technologien stehen im Raum. In Deutschland ist die geologische Speicherung von Kohlendioxid allerdings per Gesetz stark eingeschränkt und in Österreich verboten, weil die damit verbundenen Gefahren und Umweltauswirkungen nicht verlässlich abgeschätzt werden können.

Die Krux mit den Basisjahren

Wichtig für die tatsächliche Höhe der Zielvorgabe ist auch das Basisjahr. Für die Europäische Union gilt wie für die meisten Industriestaaten 1990 als Basis. Die USA, China, Indien oder Kanada verwenden hingegen das Jahr 2005, Japan verwendet 2013.

Die Richtlinien des ausgelaufenen Kyoto-Protokolls sind hier eine Ursache: Annex-1-Staaten, also Industriestaaten, mussten mit 1990 bilanzieren, alle anderen Staaten konnten das Basisjahr frei wählen. Mit dem Paris-Abkommen verfiel die Verpflichtung zwar, eine Umstellung wäre für die meisten Staaten aber zu aufwendig und außerdem nicht zweckmäßig gewesen.

Porträtaufnahme von Lukas Bayer.
Foto: privat

Lukas Bayer

hat in Salzburg einen Bachelor­abschluss in Philosophie, Politik und Ökonomie erworben und studiert seit 2020 Global Studies an der Universität Graz. Beim studentischen Gesprächs­projekt "Die Plattform" befasst er sich vor allem mit Fragen von Ökonomie, Umwelt und sozialer Gerechtigkeit.

Was das in Zahlen bedeutet, hat Klimareporter° kürzlich verglichen: Die Emissionen der EU-Staaten haben sich in der Vergangenheit anders entwickelt als die der USA. Sie erreichten bereits in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt, in den USA erst 2007.

Die Staaten stehen besser da, wenn sie als Basisjahr ein Jahr mit möglichst hohen Emissionen wählen. Würde man für die EU als Basisjahr 2005 anstelle von 1990 nehmen, blieben von der genannten Minderung um 55 Prozent nur noch 51 Prozent übrig.

Umgekehrt sind es für die USA bloß 43 Prozent Reduktion, wenn die Basis 1990 statt 2005 wäre – ein Unterschied von sieben bis neun Prozentpunkten. Beide haben sich eine Basis gesetzt, mit der ihre Ambitionen besonders eindrucksvoll aussehen.

Darüber berichteten in den vergangenen Wochen mehrere englischsprachige Medien wie die Times oder die New York Times. Der Independent zitierte den Kölner Klimaexperten Niklas Höhne vom Wissenschaftsportal Climate Action Tracker, das die Klimaziele der einzelnen Staaten minutiös verfolgt. Vergleiche man die Emissionsdaten von EU und USA von 2019, also vor der Pandemie, sei das Ziel der USA ehrgeiziger, so Höhne. Die USA würden bis 2030 um mindestens 40 Prozent reduzieren, die EU nur um 35 Prozent.

Innerhalb des gesetzlichen Rahmens schönt fast jeder Staat seine Klimaambitionen. Ein Sonderfall ist Australien: Premier Scott Morrison wollte ursprünglich überschüssige Zertifikate aus dem Kyoto-Abkommen verwenden, um die Klimaziele Australiens einzuhalten. Nach scharfer Kritik zog er die Idee schließlich zurück.

Nichts als heiße Luft?

Auch politische Ereignisse beeinflussen das Emissionsniveau einzelner Staaten, beispielsweise der wirtschaftliche Zusammenbruch Osteuropas Anfang der 1990er Jahre. Man bezeichnet diesen Einbruch als "Heiße Luft" (englisch "hot air").

Die Schließung der international nicht wettbewerbsfähigen Industriebetriebe und auch die neu entstandenen Staatsgrenzen führten in manchen Ländern ohne eine einzige Klimaschutzmaßnahme zu niedrigeren Emissionswerten, etwa in Russland, der Ukraine, Polen oder Rumänien. Auch die Europäische Union profitiert davon, weil viele der betroffenen Staaten EU-Mitglieder wurden.

Es wird noch komplizierter. Im überarbeiteten NDC der Europäischen Union ist 1990 zwar die übergeordnete Basis, für Emissionen in Sektoren außerhalb des Europäischen Emissionshandelssystems wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft oder Abfall gilt hingegen das Referenzjahr 2005. Hierauf entfallen rund 60 Prozent der Emissionen.

Die Folge: Ehemalige sozialistische Staaten müssen ihre Emissionen in diesen Sektoren bis 2030 kaum reduzieren, wie Polen (minus sieben Prozent), Rumänien (minus zwei) und Bulgarien (null). Dagegen sind für Deutschland, Österreich oder Schweden um die 40 Prozent vorgesehen.

Der Verteilungsschlüssel basiert einerseits auf der Wirtschaftsleistung des jeweiligen Staates und andererseits auf historischen Emissionswerten. Die Vorgaben könnten sich mit dem neuen EU-Ziel allerdings noch ändern.

Großer Verlierer ist der Klimaschutz. Dank der "Heißen Luft" übertreffen Staaten wie Polen ihre Einsparvorgaben und können überschüssige Emissionszertifikate an andere Staaten weiterverkaufen, die damit wiederum ihre CO2-Bilanz aufhübschen. Real eingespart wird hier nichts.

Wie aber nun vergleichen?

Victoria Cuming vom US-Marktforschungsdienst Bloomberg New Energy Finance (BNEF) hat analysiert, wie sich die aktuellen NDCs der G20-Staaten am besten vergleichen lassen. Je nach Berechnungsmethode ergibt sich eine andere Rangfolge.

So liegt etwa Großbritannien bei den Reduktionszielen mit Bezug auf absolute Emissionen, CO2-Intensität und Pro-Kopf-Emissionen jeweils an der Spitze, gefolgt von der EU. Gegenüber einem Business-as-usual-Szenario rangiert das Königreich aber nur auf Platz sieben. Bei dieser Metrik wird der tatsächliche Aufwand betrachtet, um die jeweiligen Ziele zu erreichen. Australien liegt hier aller Kritik zum Trotz auf dem zweiten Platz.

Im Vergleich zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten kommt Victoria Cuming zu einem ähnlichen Fazit wie Niklas Höhne. Bei den absoluten und den Pro-Kopf-Emissionen liegen die USA zwar nur im Mittelfeld und damit hinter der EU. Bei der CO2-Intensität (Platz zwei) und im Business-as-usual-Vergleich (Platz eins) hat Joe Biden mit seinem Plan allerdings die Nase vorn.

Die Gegenüberstellung zum Business-as-usual-Szenario ist nach Ansicht von Cuming die akkurateste Methode, um die tatsächlichen Ambitionen zu erfassen – gleichzeitig aber die aufwendigste.

Ein weiterer Sonderfall ist Südkorea: Bis 2030 sollen die Emissionen um 24 Prozent im Vergleich zu 2017 zurückgehen. Mit 2005 als Basis wäre gar keine Reduktion notwendig. Relativ zu 1990 dürfte der Staat seine Emissionen sogar verdoppeln.

Dass die Staaten ihre Basisjahre aneinander angleichen, ist unwahrscheinlich. Im Gegenteil ist mit weiteren Rechentricks zu rechnen.

Brasilien hat beispielsweise ein überarbeitetes NDC mit einem geänderten Basisjahr eingereicht, welches das Ziel für 2030 weiter abschwächt. Das ist im Paris-Abkommen eigentlich verboten. Der Climate Action Tracker stuft Brasiliens Ziel zudem als "unzureichend" ein. Würden alle Staaten dem brasilianischen Beispiel folgen (und dann die schwachen Versprechen einhalten), würde sich die Erde bis 2100 um fast drei Grad erwärmen.

Genau dahin steuern sie aber auch mit ihrer aktuellen Politik. Halten sich die Staaten hingegen an ihre Versprechen und Ankündigungen, lässt sich der Temperaturanstieg auf 2,4 Grad begrenzen. Das ist eine Verbesserung um 0,2 Grad gegenüber vorherigen Prognosen, liegt aber noch weit weg vom 1,5-Grad-Ziel des Paris-Abkommens.

"Es braucht einen CO2-Preis von 300 bis 500 Euro"

Wie die Welt trotzdem rechtzeitig klimaneutral wird, darüber kann Michael Finus Auskunft geben. Der Professor für Klimaökonomik an der Universität Graz ist Experte für internationale Umweltabkommen und war einer der Hauptautoren der Working Group III für den fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC.

Man könne die Staaten höchstens an den Pranger stellen, wenn sie sich nicht an ihre Klimaschutzzusagen halten, sagt Finus im Gespräch. Mehr ist mit dem Paris-Abkommen nicht möglich. Anders als beim gescheiterten Kyoto-Protokoll hat man diesmal versucht, alle an Bord zu holen, dafür aber auf Sanktionen und schärfere Maßnahmen verzichtet.

Auch in Zukunft sei nicht mit Bestrafungsmechanismen zu rechnen, meint der Experte. Dennoch gibt es Grund zur Hoffnung: Umweltabkommen werden in ihren Folgeabkommen tendenziell verschärft – ein gelungenes Beispiel dafür ist das Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht. 

Auch Klimaklagen werden immer wichtiger. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Klimaschutzgesetz überarbeitet werden muss und konkrete Ziele für den Zeitraum zwischen 2030 und 2050 enthalten soll. Bewegungen wie Fridays for Future erhöhen zusätzlich den Druck. Solche Ansätze "von unten" helfen mittlerweile mehr, als auf internationale Abkommen zu warten.

Nach Überzeugung von Michael Finus haben wir alle Mittel, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Nötig seien allerdings deutliche Signale aus der Politik, mehr Transparenz für Konsument:innen und ein ausreichend hoher CO2-Preis von 300 bis 500 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent, damit die Unternehmen entsprechend reagieren.

Unsere Marktwirtschaft sei enorm dynamisch und innovativ, sagt Finus, dadurch könne sie selbst diese Hürde nehmen. Fest steht aber: Von einer internationalen Lösung zur CO2-Bepreisung sind die Staaten noch weit entfernt.

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