Fotomontage: Hand streut Staub in Stratosphäre
Jetzt greift der Mensch mit Kleinstpartikeln in die Stratosphäre ein. (Foto: OUCHcharley/​Flickr)

So was hat Frank Keutsch noch nicht erlebt. Am 11. Oktober findet sich der Atmosphärenchemiker in Berlin in einer ehemaligen Kirche wieder. Eine kühle Brise zieht durch die Gemäuer. Neben ihm auf einer Sitzreihe zwei seiner Kollegen, ihm gegenüber im Saal 150 Zuhörer, die ihn mit kritischen Fragen und verbalen Attacken prüfen. Wie auf einer Anklagebank.

Der Grund: Keutsch und seine Kollegen haben etwas vor, das vor ihnen noch keiner gemacht hat. Es könnte der Startpunkt einer neuen Ära sein, sagen Kritiker. Die Ära der Klimamanipulation.

Im Prinzip geht es um gerade mal 100 Gramm Kalkstein, den der Harvard-Professor und seine Kollegen 20 Kilometer über der Wüste von Arizona in der Stratosphäre mithilfe eines Ballons ausstreuen wollen. Im Herbst 2018 soll es so weit sein, dann, wenn die Windverhältnisse besonders günstig sind.

Die Forscher wollen testen, ob die Kalksteinpartikel die Ozonschicht angreifen und wie sie sich dort oben – wo sie eigentlich gar nicht hingehören – verhalten, welche Reaktionen sie eingehen, auch wann und wie sie wieder auf den Boden zurücksinken. Denn Kalkstein könnte ein Kandidat sein für das sogenannte Solar Radiation Management (SRM).

Pinatubo für Anfänger

Die Idee dahinter: Millionen Tonnen von Partikeln werden in die Stratosphäre gepumpt und puffern somit die Sonneneinstrahlung ab. Damit ließe sich die Erde kühlen, die sich wegen des Klimawandels gefährlich aufheizt. Wie bei einem Vulkanausbruch. Als der Pinatubo 1991 auf den Philippinen ausbrach, schleuderte er mit seiner Aschewolke Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre. Für ein paar Jahre kühlte sich die Erde um ein halbes Grad ab.

Ob sich das auch von Menschenhand wiederholen lässt und wie groß die Risiken sind, wollen Forscher nun herausfinden. Auf einer vom IASS organisierten Geoengineering-Konferenz im Umweltforum in Berlin stellten Keutsch und seine Kollegen den Plan vor Experten vor. Er wurde heiß diskutiert, schließlich ist nicht jeder davon überzeugt, dass es eine gute Idee ist, die Forschung an Methoden zur Verminderung der Sonneneinstrahlung von den Laboren in die Umwelt zu verlagern.

Sollte man? Selbst Frank Keutsch ist sich da nicht ganz sicher. Über zehn Jahre ist es her, da hörte er seinen jetzigen Harvard-Kollegen David Keith auf einer Konferenz vortragen. Keith ist so was wie der Guru der Geoengineering-Szene. Keutsch hielt all das für "abstruse Ideen". Hybris sei das, zu glauben, der Mensch könne den Klimawandel mal eben rückgängig machen.

Als der Atmosphärenchemiker schließlich von Keith eingeladen wurde, das Scopex-Projekt zu übernehmen, hat er lange überlegt. Und dann zugesagt. Und das, obwohl er hofft, dass es zu so etwas wie Solar-Geoengineering nie kommen wird. Denn was ist zum Beispiel, wenn die Welt anfängt, die Sonneneinstrahlung über Partikel in der Stratosphäre oder Sonnenspiegel abzupuffern und dann nach einigen Jahren merkt, dass ein Problem auftaucht, das so nicht vorhergesehen wurde – etwa, dass sich ganze Wettermuster ändern, der Monsun oder Dürrezonen sich verschieben?

Wenn der gigantische künstliche Sonnenschirm dann mit einem Mal eingeklappt würde, würde die Temperatur auf der Erde schlagartig hochschnellen. Denn die Klimamanipulation hätte die Erderwärmung ja nur überdeckt, also nur die Symptome und nicht die Ursache behandelt. "Und dann stehen wir genau vor dem Problem, das wir eigentlich verhindern wollten: eine schnelle Klimaveränderung, an die wir uns nicht anpassen können", sagt Frank Keutsch.Als der Atmosphärenchemiker schließlich von Keith eingeladen wurde, das Scopex-Projekt zu übernehmen, hat er lange überlegt. Und dann zugesagt. Und das, obwohl er hofft, dass es zu so etwas wie Solar Geo-Engineering nie kommen wird.

Darunter fallen alle möglichen Methoden, um das Sonnenlicht abzudämpfen und somit die Erde zu kühlen. Etwa durch Tausende Schiffchen, die über den Ozean schippern und Salzpartikel aufwirbeln, um kleine Wolken zu bilden. Oder durch gigantische Sonnenspiegel, die ins All geschickt werden. Oder aber durch Partikel in der Stratosphäre. Was ist aber, fürchtet Keutsch, wenn die Welt erst mal damit angefangen hat und dann nach einigen Jahren merkt, dass ein Problem auftaucht, das so nicht vorhergesehen wurde – etwa, dass sich ganze Wettermuster ändern, der Monsun oder Dürrezonen sich verschieben?

All das sieht er aber nicht als Grund, auf Forschung zu verzichten. Denn sollten eines Tages politische Entscheidungsträger erwägen, solche Klimamanipulation in die Tat umzusetzen, dann sollten die Forscher gewappnet sein, findet Keutsch. Um den Politikern klar aufzuzeigen, was dann tatsächlich passiert. Deswegen müsse nun auch in der Stratosphäre geforscht werden. In den Laboren werde man nie genau herausfinden, was tatsächlich passiere.

Auf der Suche nach der bestmöglichen Substanz für das Solar-Geoengineering hatte sich Keutsch zunächst vor das große Periodensystem in seinem Büro in Cambridge gestellt und war die Elemente durchgegangen. Viele konnte er gleich ausschließen – sie sind toxisch oder ungeeignet, um Sonnenstrahlen abzupuffern. Er blieb an der linken Spalte der Tafel hängen, beim Kalzium. Schnell erschien ihm Kalkstein als aussichtsreichster Kandidat: Er kommt häufig in der Natur vor und absorbiert keine Sonnenstrahlen – trägt also nicht zur Aufheizung bei. Es soll ja auch kühlen.

Weil Kalkstein im Gegensatz zu Schwefelpartikeln nicht sauer ist, bleibt zudem die Ozonschicht wohl verschont. Vorschläge von Kollegen, Titandioxid oder gar Diamanten zu verwenden, hält Keutsch für unsinnig. Weil Letztere so unreaktiv sind, würden sie genau in der Form auf die Erde hinabrieseln, in der sie oben ausgestreut wurden. "Die Vorstellung, dass Millionen Tonnen davon jedes Jahr wieder runterkommen, beunruhigt mich", sagt Keutsch. "Ich will keine Diamanten inhalieren."

Kalkstein hält Keutsch für weniger bedenklich, da er mit dem Regen ausgewaschen werden würde. Was das Experiment im kommenden Herbst betrifft, sieht er keinerlei Risiken für Umwelt und Klima – dafür seien die Partikelmengen viel zu klein. Entscheidend, das gibt auch Keutsch zu, ist aber der symbolische Schritt. Zum ersten Mal würden mit Absicht Substanzen der Stratosphäre zugefügt: "Wir betreten vollkommenes Neuland."

Für manche Umweltexperten wird damit eine rote Linie überschritten. "Wir fordern ein klares Verbot der Anwendung von Solar Radiation Management und auch ein Verbot von Outdoor-Experimenten", sagt Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung. In der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen gebe es ein "De-facto-Moratorium" für solche Experimente in der Natur, erinnert die Geografin und Umweltpolitik-Expertin. "Vor allem brauchen wir jetzt dringend einen globalen und möglichst breiten gesellschaftlichen Diskurs darüber, ob wir uns überhaupt auf den Weg einer möglichen technologischen Manipulation des globalen Thermostats begeben wollen."

Warum ist Shell interessiert?

Fuhr fürchtet, dass Experimente wie diese den Weg ebnen für noch größere, welche am Ende dazu führen, dass Geo-Engineering tatsächlich eingesetzt wird. Dann, so warnt sie, könnte ein neuer militärisch-industrieller Komplex entstehen, der nicht nur undemokratisch sei, sondern von der fossilen Industrie dominiert werden könnte, die das Geo-Engineering als Entschuldigung nimmt, weiter Kohle, Öl und Gas zu verfeuern. "Warum hat Shell angefangen, über Geo-Engineering zu sprechen?", fragt sie und ihre Stimme hallt unter der Kuppel im Saal des Umweltforums.

Erstmal müsste sich die Welt darum kümmern, von den fossilen Energien loszukommen. Und dann über natürliche Senken nachdenken, mit denen der Erdatmosphäre CO2 entzogen werden kann. Denn das ist laut den meisten Szenarien im aktuellen Weltklimabericht zusätzlich nötig, um die Erdtemperatur auf zwei oder 1,5 Grad zu begrenzen.

Vom Kreuzverhör waren die Harvard-Professoren schon leicht mitgenommen, Ringe gruben sich unter die Augen von Keith, Keutsch vergrub seine Finger in den Haaren. Sie wiesen darauf hin, dass sie keinerlei Gelder von fossilen Energieunternehmen annehmen. Allerdings sieht auch Keutsch die Gefahr, dass "bestimmte Interessen" sich das Solar Engineering eines Tages zunutze machen könnten. Und zwar mit der Begründung, man habe ja Zeit gewonnen. "Es wird sicher Leute geben, die das ausnutzen werden, da darf man sich nichts vormachen", sagt er. Notwendig sei deswegen eine klare politische Regelung, wie mit Geoengineering-Experimenten umzugehen sei.

Leicht lassen sich Horrorvisionen ausmalen. Was ist zum Beispiel, wenn sich einzelne starke Länder wie die USA oder China der Idee bemächtigen und sie ohne internationale Absprache anwenden, um so der Welt ein bestimmtes Klima vorzugeben? Solche Aktionen könnten zu Gegenmaßnahmen führen, bis hin zum Krieg, wenn andere Länder dadurch benachteiligt sind.

Man kann sich aber auch ausmalen, was passiert, wenn in einigen Jahrzehnten auch die Industrieländer vom Klimawandel so richtig getroffen werden und Teile der Niederlande, New Yorks oder Floridas unter Wasser stehen. "Dann könnten die Menschen nach einer schnellen Reparatur rufen und bereit sein, Risiken in Kauf zu nehmen", sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. "Die Zeit mag also kommen, da wollen wir wissen, was drin ist." Drin im "Magic Dust", wie die erdumspannende Partikelwolke auf der Konferenz genannt wird.

Frank Keutsch kann jetzt schon sagen, dass es die eine magische Substanz, das Wundermittel, nicht geben wird, Nebenwirkungen dagegen immer. "Es kann durchaus sein, dass unsere Forschung zeigt: Alle Substanzen haben Nebenwirkungen, die ihren Einsatz vollkommen ausschließen", sagt er. "Und das wäre auch wichtig zu wissen."
Das größte Problem für die Harvard-Forscher wird erst mal sein, die Partikelwolke von zwei Kilometern mal 100 Metern mit Hilfe des Lidars überhaupt zu finden, wenn sie sich in der Stratosphäre ausbreitet. Über eine Gesundheitsbelastung durch die Partikel brauche sich indes kein Mensch Sorgen zu machen, meint David Keith: "Das Risiko liegt nicht im Material, sondern in der Idee."

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