Blick auf Manhattan, in der Bildmitte das UN-Gebäude
​UN-Gebäude in New York. (Foto: John Gillespie/Flickr)

Klimareporter°: Herr Schwarze, beim diesjährigen Klima-Sondergipfel hat der UN-Generalsekretär ungewöhnlich offen Druck gemacht. Nur die Länder erhielten Rederecht, die mit substanziell neuen Vorschlägen kamen, zugleich hat sich António Guterres an die Seite der protestierenden Jugendlichen von Fridays for Future gestellt. Ist die Strategie aufgegangen?

Reimund Schwarze: Ja, ich denke schon. Es war der Versuch, mit den Mechanismen des Beschämens und Namen-Nennens zu arbeiten, in diesem Fall mit positiven Sanktionen: Die, die etwas tun, dürfen nach vorne treten, die anderen stehen zurück.

Insofern war es ein vorgezogener Einstieg in das in Paris beschlossene Verfahren, auf dem hohen Level der Staats- und Regierungschefs. Ich glaube, das hat erste Wirkung gezeigt, und das stimmt mich optimistisch, dass dies auch im Weiteren Ergebnisse produzieren kann.

Welche Wirkung?

Einige Länder haben geliefert, etwa die Niederlande oder Dänemark, aber auch Länder außerhalb Europas, wie Kanada. Sie haben nachgelegt, sowohl was die Klimapläne für 2030 angeht als auch bei der besonders interessanten Frage der Beiträge zur Finanzierung von Klimaschutzaktivitäten der UN.

Sehr viele Länder waren es aber nicht, die geliefert haben.

Es ist ein kleiner Club. Das ist das Bild, mit dem wir als Ökonomen das beschreiben. Die Völkergemeinschaft entwickelt sich in dieser Frage jetzt immer mehr zu einem Klima-Club.

Also eine kleinere Gruppe von Ländern, die vorangehen, während die anderen zurückbleiben?

Ja, der Club wird nicht viel mehr als 60 Länder umfassen. Es mögen 80 sein, aber nicht mehr 196 Länder. Dieser Kreis von Staaten hat in New York die Bereitschaft gezeigt voranzugehen. Und dann kommt natürlich Russland dazu, das nun dem Club beigetreten ist ...

... indem das Land nun endlich das Paris-Abkommen ratifiziert.

Genau. Überraschenderweise hat Russland, jedenfalls nach meinem Kenntnisstand, diesmal darauf verzichtet, für die verspätete Ratifizierung politische Konzessionen zu verlangen. Beim Kyoto-Protokoll, dem Vorgängervertrag, war das noch anders.

Damals ließ Russland sich die Ratifizierung mit einer sehr großzügigen Anrechnung von Senken teuer "abkaufen".

Foto: UFZ

Reimund Schwarze

ist Professor für Internationale Umwelt­ökonomie an der Frankfurter Viadrina, Forscher am Helmholtz-Zentrum für Umwelt­forschung UFZ in Leipzig und Berater von Klimareporter°.

Dass Russland es diesmal offenbar nicht so macht, werte ich als ein Ergebnis des neuen Prozesses. Dazu kommt, dass in Moskau gerade vor einem Monat eine grüne Börse gegründet wurde und so die Möglichkeit geschaffen wird, dauerhaft an günstige Finanzströme zu kommen, etwa für den Ausbau von erneuerbaren Energien.

Natürlich setzt Russland immer noch stark auf Erdgas. Am Ende entscheidend ist aber die Abkehr von einem politischen Konzessionsmechanismus und ein Anreiz durch ökonomische Vorteile einer Aufnahme im Klima-Club und Beteiligung am internationalen Klimaschutzprozess. Das ist durchaus als ein Erfolg zu bewerten.

Wie viel kann so ein "Klima-Club" bringen? Große Emittenten wie China und die USA sind nicht dabei.

Das ist seit Längerem die Lage. Die Zeit der "High Ambition Coalition" mit Obama, Merkel, Xi Jinping und anderen war eine historische Sternstunde. Das bröckelt schon seit Längerem ab. Das Bröckeln sehen wir in dem, was ich "Klima-Club" nenne.

Die Frage ist aber nicht, wie groß der Club ist, sondern ob davon genügend Impulse ausgehen für internationale Verhandlungsprozesse. Gerade in der Verbindung mit ökonomischen Entwicklungen am Energie- und Finanzmarkt hat das jetzt eine Kraft, Staaten anzuziehen und den Beitritt attraktiv zu machen.

Was meinen Sie mit "attraktiv"?

Wenn es nicht attraktiv wäre, dem beizutreten, würde Russland nicht konzessionslos beitreten. Die Russen hätten länger gezögert, um dann politisch das hineinzuverhandeln, was sie seit eh und je immer versuchen, also "Hot Air" in das System zu pumpen. Das haben sie jetzt nicht gemacht.

Insofern sage ich: Ja, der Club ist schwach, da haben Sie recht, aber er hat offenbar eine hohe Anziehungskraft, wie das Beispiel von Russland zeigt. Das strahlt in gewisser Weise auf Indien aus, einen schwierigen Wackelkandidaten ...

... Indien hat auf dem Gipfel angekündigt, sein Erneuerbaren-Ziel für 2022 von 175.000 Megawatt auf 450.000 Megawatt zu erhöhen ...

... und bei China rechne ich damit, dass das Land jetzt auch nachlegt und ebenfalls Interesse an diesem "Klima-Club" hat.

Es gab viele kritische und enttäuschte Reaktionen nach dem Gipfel. Haben diese Stimmen unrecht?

Hier sind andere Messlatten anzulegen. Der internationale Prozess ist immer schon sehr viel schwerfälliger gewesen als etwa der deutsche oder europäische. Nach dem Desaster von Kopenhagen ...

... der Klimagipfel von 2009, der fatal scheiterte ...

... dauerte es jahrelang, ehe das ausgeheilt war und eine neue Basis im Abkommen von Paris gefunden wurde. Internationale Politik ist immer ein langwieriger Prozess. Man kann die Ergebnisse des jetzigen Gipfels nur daran bemessen, ob der Prozess in die richtige Richtung vorangeschritten ist.

Und das ist der Fall?

Zweimal ist es der UN jetzt schon gelungen, mit einem Sondergipfel in New York diesem Prozess einen deutlichen Impuls zu geben. Der Gipfel 2014 war der Schlüssel zu dem Abkommen von Paris im folgenden Jahr. Und 2019 könnte der Durchbruch sein, um zu höheren Ambitionen zu kommen, indem man einen Club der Willigen etabliert, und zwar nicht nur auf Gängen der Verhandlungen und bei langen informellen Gesprächen, sondern als Teil des förmlichen UN-Prozesses.

Covering Climate Now

Klimareporter° beteiligt sich wie rund 250 andere Zeitungen und (Online-) Magazine weltweit an der Initiative "Covering Climate Now". Die teilnehmenden Medien verpflichten sich, vor allem in der Woche vor dem New Yorker UN-Klimagipfel am 23. September über die Klimakrise zu berichten. Wir freuen uns über die Bewegung in der Medienlandschaft. Klimaschutz braucht guten und kritischen Journalismus.

Das ist schon etwas anderes, ob die Staatschefs sich nachts zusammentun und einen diplomatischen Coup landen oder ob der Generalsekretär erklärt: Das ist jetzt unser Verfahren! Das ist prozessual eindeutig ein Fortschritt.

Sie glauben, das wird sich als Verfahren etablieren?

Ja. Weil es in der Summe etwas gebracht hat. Zwar nichts, das genügt, um klimapolitische Ziele wie das 1,5-Grad-Ziel oder das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Aber es ist eine wichtige Voraussetzung, um Ziele überhaupt erreichen zu können in dieser Weltgemeinschaft.

Ich habe auch sehr positive Signale aus den USA gehört. Der Gipfel war ja eingebettet in die New Yorker Climate Week. Das ist eine, wenn man so will, eher regionale Veranstaltung. Dort haben sich Vertreter der "We are still in"-Bewegung sehr prominent gezeigt ...

... einer Bewegung von Bundesstaaten und Städten, die die Klimaschutzverpflichtungen der USA erfüllen wollen, obwohl Präsident Trump aus dem Paris-Vertrag aussteigen will.

Weitere Städte und auch neue Firmen haben sich in dieser Woche zum Klimaschutz bekannt. Es mag ein Zufall sein, aber dass Donald Trump bei Angela Merkels Rede im Saal war, sagt ja auch etwas aus. Dass er zwar noch während der Rede rausgegangen ist, war natürlich eine Witznummer. Aber es ist ein Symbol für die Anziehungskraft.

Nach den Rückmeldungen, die ich aus den USA bekommen habe, war es sehr wichtig, vor Ort einen Impuls für mehr Klimaschutz zu haben. In letzter Zeit war es doch eher still geworden.

Die Fortschritte, von denen Sie sprechen, sind zweifelsohne auch das Verdienst von Greta Thunberg und Fridays for Future. Doch gerade diese Bewegung ist besonders enttäuscht von dem Gipfel.

Es ist sehr schwer zu vermitteln, wie solche Abstimmungsprozesse funktionieren. Klar, das Ergebnis mag erst einmal unbefriedigend sein. Aber ich messe die Ergebnisse an einer anderen Latte. Es geht immer noch darum, die Voraussetzungen für ein effektives globales Handeln nach dem Scheitern einer Top-down-Politik in Kopenhagen zu schaffen. Man kann eine radikale Politik im Sinne der durchaus emotionalen Rede von Greta Thunberg nicht in einer solchen fragilen Lage einfach mit Protest einklagen.

Es hat am Ende keinen Sinn, wenn es nicht gelingt, zu einer globalen Anstrengung zu kommen. Der Club, von dem ich spreche, ist ein wichtiger Zwischenschritt. Er hat eine Wirkmacht nach außen, sodass andere sich bewegen, die sich sonst nicht bewegen würden. Und diese Anziehungskraft wächst. Nach dem Gipfel bin ich da optimistischer als zuvor.

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