In gefälligem Grün und Blau angestrichene Müllverbrennungsanlage im Industriepark Höchst in Frankfurt am Main.
Der BDI wünscht sich lange Wertschöpfungsketten rund um das CO2. (Foto: Norbert Nagel/​Wikimedia Commons)

Die Klimadebatte gewöhnt sich an eine neue Abkürzung: CCUS. Damit werden die Abscheidung von CO2 (carbon capture), die Nutzung (utilisation) sowie die meist unterirdische Speicherung (storage) des eigentlich klimaschädlichen Gases zusammengefasst.

Um CO2-Speicherung ging es zuletzt vor allem im Zusammenhang mit der Frage, wie eine Industrienation die letzten fünf oder zehn Prozent an CO2-Emissionen einspart, die aus heutiger Sicht nur schwer oder gar nicht zu vermeiden sind – es sei denn, man stellt die entsprechenden Prozesse gänzlich ein.

Inzwischen hat die Wirtschaft aber entdeckt, dass abgespaltenes CO2, statt es nur banal im Untergrund zu versenken, durch seine Nutzung und Umwandlung in "grünen" Kohlenstoff ganz neue Geschäftsaussichten eröffnet. Da lassen sich völlig neue Wertschöpfungsketten etablieren.

Statt Erdöl könnte eine Chemiefirma beispielsweise Biomasse einsetzen, um daraus gewonnenen Kohlenstoff in einen Plast einzubauen – mit diesem Plast könnte dann ein Autohersteller sein Fahrzeug "ergrünen" lassen, später hätte dann auch eine Recyclingfirma was vom "grünen" Plast und ganz am Ende könnte selbst ein Müllkraftwerk noch seine Emissionsbilanz verbessern, wenn es den Plast "verwertet".

"Wie Kohlenstoff intelligent im Kreislauf geführt werden kann", will ein vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Donnerstag vorgelegtes CCUS-Papier zeigen, das gestern zugleich online in fachlicher Runde diskutiert wurde (Video unten).

"Attraktive Geschäftsmodelle" für CCU und CCS

Das Thema habe ihr Verband in den letzten zehn Jahren vernachlässigt, räumte BDI-Klimareferentin Lilly Höhn eingangs der Debatte ein. "Wir mussten regelrecht in unseren Archiven danach suchen." Auch der BDI sehe CCUS nur als Ergänzung zu den klassischen Klimaschutz-Methoden wie erneuerbare Energien, CO2-Einsparung und Effizienz, sagte Höhn.

Das CCUS-"Diskussionspapier" spricht allerdings in weiten Teilen eine andere Sprache. Und auch Höhn betonte: "Was wir jetzt brauchen, damit CO2-Technologien auch für Unternehmen zu attraktiven Geschäftsmodellen werden können, sind die richtigen Rahmenbedingungen".

Im ersten Punkt der BDI-Vorschlagsliste werden dazu Mechanismen angeregt, die die Benutzung und Speicherung von CO2 anrechenbar machen sollen – anrechenbar auf die Klimapflichten der Unternehmen, wie zu vermuten ist.

Die Anrechnung, so Höhn weiter, sei bei der CO2-Speicherung bereits möglich – bei der CO2-Nutzung aber nicht. Dort stelle sich die Sachlage auch komplexer dar, räumte sie ein. Die Prozesse der CO2-Nutzung stellten keine "eigentliche CO2-Senke" dar, weil das Klimagas nicht endgültig aus der Atmosphäre entfernt werde. Dennoch brauche es dafür einen "funktionierenden Mechanismus".

Das BDI-Papier spricht hier von der "Standardisierung einer Life-Cycle-Analyse für Kohlenstoffkreisläufe". Dem Verband schwebe die Einführung eines grünen CO2-Quotienten in einem Kohlenstoffkreislauf vor, erläuterte Höhn. Ein nützliches Tool, um CO2-Moleküle entsprechend zu kennzeichnen, sei beispielsweise ein Herkunftsnachweis.

Die weiteren Vorschläge im CCUS-Papier entsprechen eher den üblichen Industrieforderungen: öffentliche Förderung der aufwendigen Transformation, um CCUS-Techniken attraktiv zu machen; Erleichtern des grenzüberschreitenden Transports von CO2 – wichtig zum Beispiel, um die unterirdischen CO2-Speicherprojekte in den Niederlanden oder in Norwegen nutzen zu können.

"Nur das nutzen, was sich nicht vermeiden lässt"

Viviane Raddatz, Klimaexpertin beim WWF, stimmte der BDI-Vertreterin zwar in dem Punkt zu, dass in den kommenden Jahren alle verfügbaren Klimaschutzoptionen wahrgenommen werden sollten – sie beharrte aber darauf, dass "Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit" der CO2-Vermeidung im Vordergrund stehen müssten. "Darum geht es immer und in erster Linie".

Obenan in der Klimaschutz-Hierarchie stehen für Raddatz Effizienz, Ausbau der Erneuerbaren, grüne Elektrifizierung wo möglich, volle Kreislaufwirtschaft und klimaneutrale Grundstoffe in der Industrie – und erst dann kämen die CCUS-Technologien an die Reihe.

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Diese würden, wenn alle Vermeidungsoptionen gezogen wurden, dann aber auch gebraucht, räumte Raddatz ihrerseits ein. An dem Punkt, an dem zum Beispiel die CO2-Speicherung für die Wasserstoffherstellung genutzt werden müsste, sei man aber noch nicht.

Raddatz lehnte allerdings ein Gegeneinander-Anrechnen der verschiedenen Einsparoptionen ab – einfach aus dem Grund, weil man die CO2-Effekte aus allen Optionen brauche, um die Klimaziele zu erreichen.

Und bevor man über die Anrechnung von CCUS-Emissionsminderungen im europäischen Emissionshandel rede, müsste aus Raddatz' Sicht erst einmal über die üppigen Gratis-Zuteilungen von CO2-Zertifikaten für die Industrie gesprochen werden. 

Wissenschaftliche Studien fehlen

CCUS sei für sie eine Technologie für die "letzte Meile" im Klimaschutz, versuchte sich Raddatz in einem Bild. Diese letzte Meile sei zwar auch schon am Anfang zu planen – sie könne aber nicht schon vorher auf den noch zurückzulegenden Weg angerechnet werden.

Auch Oliver Geden, Klimaexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, geht davon aus, dass immer ein gewisser Anteil an Rest-Emissionen übrig bleibt, der sich allen Vermeidungsversuchen entzieht. Der Streit wird nach seiner Ansicht nur noch darum gehen, wie hoch dieser "residuale" Teil sein wird und wie er ausgeglichen werden kann. Es gebe dazu in Deutschland bisher nur zwei Studien, und auch international sehe es nicht viel besser aus.

Geden sieht allerdings die Zusammenfassung von Technologien unter dem Kürzel CCUS kritisch und unterscheidet lieber weiter zwischen CCS (Abscheidung und Speicherung) – hier komme es darauf an, wie viel am Ende in die Atmosphäre entweicht – und CCU (Nutzung).

Bei CCU geht es für Geden um die ganze Wertschöpfungskette: Mit welchem CO2 fängt man an? Wann sieht man es wieder in der Atmosphäre? Nach Gedens Einschätzung hat die weltweite Zahl der kommerziellen CCS-Anlagen zwar zugenommen, ob das aber schon ein "Momentum" sei, wage er zu bezweifeln.

Nach den Statements der Fachleute wandelte der BDI die Debatte eher in eine Werbeveranstaltung für "bunten" Wasserstoff um.

Klimaforscher warnen vor falschen Hoffnungen

Zum Thema selbst meldete sich am selben Tag das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) aus der Ferne zu Wort: Mit dem "richtigen CO2-Preispfad" könne die Nachfrage nach Technologien zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre (carbon dioxide removal, CDR) reduziert und damit das langfristige Risiko begrenzt werden, fasste das PIK das Ergebnis seiner in Nature Communcations veröffentlichten Analyse zusammen.

Derzeit diskutierte Technologien zur CO2-Entnahme wie Aufforstung, direkte Luftabscheidung oder Bioenergie – jeweils kombiniert mit geologischer CO2-Speicherung (CCS) – seien zwar notwendig, um die wenigen verbleibenden Emissionen zu kompensieren und Emissionsneutralität zu erreichen. Ein großflächiger Einsatz dieser Entnahmetechniken wäre aber nur dann notwendig, wenn die Emissionen zu wenig oder zu spät reduziert würden, teilte das PIK mit. Das könne mit einem ausreichend hohen CO2-Preis zu Beginn vermieden werden.

"Die Bepreisung von Kohlenstoff ist der Schlüssel, um netto null Treibhausgasemissionen zu erreichen – es gibt offen gesagt keinen anderen Weg, um dieses Ziel zu erreichen", erklärte PIK-Chef Ottmar Edenhofer. "Nach einem hohen Start und einem ziemlich steilen Anstieg sollte sich die Preiskurve abflachen, sobald die Emissionsneutralität erreicht ist, aber sie muss auf einem hohen Niveau bleiben, wenn wir sowohl eine fossilfreie Welt als auch ein vernünftiges Maß an Kohlendioxid-Entnahme beibehalten wollen."

Die Berechnungen zeigten, dass während des gesamten 21. Jahrhunderts eine "substanzielle Bepreisung" von CO2-Emissionen notwendig sei.