Statue der Justitia mit Waage und verbundenen Augen.
Gerichte übernehmen mehr und mehr die Aufgaben der Politik. (Foto: Edward Lich/​AJEL/​Pixabay)

In Deutschland urteilt das Bundesverfassungsgericht: Die Bundesregierung muss ihr Klimaschutzgesetz nachbessern. Ein "historisches Urteil", jubeln die Umweltschützer.

In den Niederlanden verurteilt ein Gericht den Ölkonzern Shell dazu, bis 2030 seine klimaschädlichen Emissionen um 45 Prozent unter den Wert von 2019 zu reduzieren. Umweltverbände und tausende Einzelpersonen haben dieses Urteil erstritten. Auch sie jubeln: "Ein historisches Urteil".

In Australien haben acht Teenager ihre Umweltministerin verklagt, dass sie junge Menschen nicht genug vor Klimaschäden schütze. Auch sie bekamen in dieser Woche Recht und jubelten: "Ein historisches Urteil."

Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat soeben festgestellt, dass die Städte Hamburg, Kiel und Ludwigsburg "für bessere Luftqualität" sorgen müssen, und gab damit der Klage von Umweltverbänden statt. "Ein wichtiges Signal für die Luftreinheit", jubelt der BUND Hamburg. Zu Recht. Schließlich sterben jedes Jahr weltweit circa sieben Millionen Menschen durch Luftverschmutzung.

"Schwarze Wochen für das schwarze Gold", titelt die Süddeutsche Zeitung.

Der Ölmulti Shell, der gegen das Urteil in den Niederlanden Berufung eingelegt hat, argumentiert: "Wir selbst verbrennen doch gar kein Öl, das tun unsere Kunden." Ähnlich argumentieren die Autokonzerne, wenn sie wegen der Produktion von viel zu großen SUVs angegriffen werden: "Die Kunden wollen es ja so." Das ist freilich nicht ganz falsch.

Die Gerichte orientieren sich aber bei ihren Entscheidungen mehr und mehr an den Beschlüssen des Pariser Klimaabkommens, das ja alle Regierungen der Welt unterschrieben haben.

Mehr und mehr hängen sich Autokonzerne ("Wir bauen doch jetzt E-Autos") und Ölmultis ("Wenn wir weniger fördern, dann fördern die Chinesen umso mehr") ein grünes Mäntelchen um. Verantwortung für das Klima, das heißt für unsere Lebensgrundlagen, geht aber anders.

Die Gerichte übernehmen mehr und mehr, was eigentlich der Job der Politik ist. Shell und andere fossile Multis wissen schon seit mehr als 50 Jahren, was sie mit ihrem Geschäft anstellen. Das belegen Dokumente, auf deren Basis die Gerichte ihre Urteile fällen.

Doch Gier und Geld waren den Konzernen wichtiger als die Gesundheit von Mensch und Tieren. Die fossilen Konzerne haben Hunderte Millionen Dollar bezahlt, damit Klimaleugner auf der ganzen Welt die schreckliche Wahrheit über die globale Klimaerhitzung leugnen und verschleiern konnten.

Sorgfaltspflicht gegenüber Kindern verletzt

Das australische Gericht in Melbourne stellte fest, dass die Regierung ihre Sorgfaltspflicht gegenüber Kindern und schwächeren Personen verletzt habe. Diese Pflicht besage, dass künftige Generationen schon durch heutige politische Entscheidungen geschützt werden müssen.

Erstmals hat auch im Kohle-Exportland Australien ein Gericht eine solch Aufsehen erregende Entscheidung getroffen. Bisher zumindest hat die konservative australische Regierung am Kohleexport festgehalten.

In der Urteilsbegründung heißt es: "Vielleicht der verstörendste Aspekt darunter ist, dass eine Million der heutigen Kinder Australiens mindestens einen Hitzeschaden erleiden werden, der sie ins Krankenhaus bringen wird. Viele Tausende werden einen vorzeitigen Tod sterben durch Hitzestress oder Buschfeuerrauch."

Und weiter: "Es ist mit substanziellen wirtschaftlichen Verlusten und Eigentumsschäden zu rechnen. Das Great Barrier Reef und der Großteil von Australiens östlichen Eukalyptuswäldern wird nicht länger existieren durch wiederholte, schwere Buschfeuer."

Es ist ein Durchbruch, wenn der Zusammenhang von Umweltschutz und Gesundheit endlich in den Mittelpunkt der weltweiten Klimadebatte gerückt wird. Wenn schon die Politik dieses Thema verschläft, dann wecken Gerichte jetzt die Menschheit auf – vielleicht.

Lesen Sie dazu auch das Interview mit Michael Müller: Kultur der Ökologie

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