Warum sollte die Allgemeinheit die Klima und Umwelt belastende Produktion von Stickstoffdünger, Pestiziden oder Plastik subventionieren? (Bild: Saoirse Lastmord/​Shutterstock)

Als Folge von Russlands Angriff auf die Ukraine und dem resultierenden Boykott von (sehr preisgünstigem) russischem Erdgas durch die meisten westlichen Industriestaaten stieg der Preis für Industriestrom stark an. Das betrifft besonders Deutschland, wo sich Bundesregierung und energieintensive Industrien in trauter Eintracht und sehenden Auges in die Abhängigkeit von russischem Gas begeben hatten und so Putins strategischer Erdgaspolitik zu einem Erfolg verhalfen.

Dass für dieses "Klumpenrisiko" irgendwann ein Preis zu zahlen sein würde, hätte die Allianz aus Bundesregierung, Erdgasbranche und Schwerindustrie spätestens seit der Krim-Annexion 2014 vorhersehen müssen.

Geschehen ist bekanntermaßen das Gegenteil: Durch die Pipeline Nord Stream 2 sollte die Abhängigkeit von Russland noch vergrößert werden. Das deutsche Modell, niedrige Energiepreise als Booster für hohe Exportüberschüsse des produzierenden Gewerbes zu nutzen, galt als sakrosankt.

All das ist mittlerweile – traurige und aufzuarbeitende – Geschichte. Aber was ist in Sachen Industrie und Energie nun der richtige Weg nach vorn?

Nach Meinung wichtiger politischer und industrieller Akteure soll ein politisch festgelegter Höchstpreis für Strom sichern, dass energieintensive Betriebe der Chemie-, Stahl-, Aluminium-, Glas- oder Papierbranche bis 2030 in Deutschland nicht mehr als sechs Cent (Grünen-Vorschlag), fünf Cent (SPD-Vorschlag) oder vier Cent (Vorschlag vom Verband der Chemischen Industrie) pro Kilowattstunde zahlen müssen.

Zum Vergleich: Die Strompreise für Privathaushalte werden aktuell durch den "Strompreisdeckel" auf gut 40 Cent pro Kilowattstunde begrenzt. Kleine und mittlere Industriebetriebe zahlen im Schnitt 23 Cent.

Der aktuelle Preis an der Großhandelsbörse für Strom, der für die energieintensive Industrie letztlich entscheidend ist, lag vor Steuern, Umlagen und Netzentgelten Mitte Oktober bei etwa zehn Cent. Für Lieferungen im Jahr 2024, wenn der Höchstpreis gelten soll, werden derzeit um die zwölf Cent verlangt.

Geht es nach Grünen und SPD, sollen den energieintensiven Grundstoffindustrien 80 Prozent der Differenz zwischen Börsenpreis und "Brückenstrompreis" künftig von den Steuerzahlern finanziert werden. Je nach Modell würde hierfür bis 2030 ein öffentlicher Mittelbedarf von etwa 30 Milliarden Euro anfallen.

Begründet wird der Brückenstrompreis von SPD, Grünen, Länder-Ministerpräsidenten, Industrieverbänden und -gewerkschaften damit, dass die energieintensiven Industrien für einen Übergangszeitraum geschützt und wettbewerbsfähig gehalten werden müssten, nicht zuletzt, weil Staaten wie die USA und China ihre Branchen unterstützen. Sollte der Brückenstrompreis nicht eingeführt werden, sei mit der Abwanderung der energieintensiven Betriebe aus Deutschland zu rechnen, heißt es.

Gerade diese Unternehmen jedoch brauche man in besonderer Weise, betont das Bundeswirtschaftsministerium, um den Wohlstand im Lande zu erhalten und die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit voranzutreiben.

Für 2030 wird dann angenommen, dass sich die Strompreise mit dem starken Zuwachs an Solar- und Windenergie sowie dem beschleunigten Bau von – potenziell "wasserstofffähigen" – Gaskraftwerken auf einem Niveau einpendeln, das staatliche Subventionierung überflüssig macht.

Um die Subvention zu erhalten, sollen die begünstigten Branchen glaubhafte Transformationsanstrengungen in Richtung Klimaverträglichkeit nachweisen, sich weiter an vorhandene Tarifverträge halten und die Erhaltung von Standorten zusichern. Wie die Einhaltung von alldem konkret überprüft werden soll, hat das Bundeswirtschaftsministerium bislang nicht näher ausgeführt.

Die Frage ist: Wäre ein Brückenstrompreis für die energieintensiven Industrien aus einer nachhaltigkeits-, wettbewerbs-, gerechtigkeits- und gemeinwohlorientierten Perspektive nun der richtige Weg oder doch eher ein Irrweg?

Verschleppte Investitionen, geschwächte Energiewende

Mit dem Herunterdrücken des Strompreises für Energieintensive im Umfang von jährlich etwa fünf Milliarden Euro würden die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen erheblich ansteigen. Schon jetzt liegen diese in Deutschland nach Angaben des Umweltbundesamtes bei jährlich rund 65 Milliarden Euro, wobei dieser Betrag als eher konservative Schätzung gelten muss.

40 Prozent dieser 65 Milliarden entfallen auf den Energiebereich und davon wiederum ein erheblicher Teil auf Privilegien der energieintensiven Industrien, vor allem durch Befreiungen bei Steuern, Abgaben und Umlagen.

Ein Industriestrompreis würde diese Begünstigungen ausweiten, obwohl Teile der Ampelkoalition immer wieder die Notwendigkeit beschwören, diese problematischen Subventionen deutlich abzusenken. Das ist nicht stimmig. Auch fehlt das zur Subventionierung der Industriestrompreise verwendete Geld für echte Investitionen in die ökologische Transformation und den Klimaschutz.

Bild: Julia Zimmer­mann

Reinhard Loske

ist Nach­haltig­keits­forscher und Hochschul­lehrer. Der Volks­wirt und Politik­wissen­schaftler ist Vorstands­mitglied beim Institut für ökologische Wirtschafts­forschung. Als Vize­fraktions­chef der Grünen im Bundestag und Bremer Umwelt­senator prägte er zwischen 1998 und 2011 zentrale Gesetz­gebungs­verfahren zur ökologischen Steuer­reform, zum Emissions­handel und zur Förderung erneuerbarer Energien mit. Sein neuestes Buch heißt "Ökonomie(n) mit Zukunft: Jenseits der Wachstums­illusion".

Über die starke Konzentration auf den Ausbau der erneuerbaren Energien gerät mitunter in Vergessenheit, dass eine klimaschutzorientierte Energiewende auf drei Pfeilern ruht: auf Energieeinsparung, auf Verbesserung der Energieeffizienz sowie auf Substitution fossiler durch erneuerbare Energien.

Das künstliche Absenken von Energiepreisen schwächt alle drei Pfeiler der Energiewende, vor allem aber die beiden erstgenannten.

Garantiert der Staat, dass Energiepreise ein bestimmtes Niveau nicht übersteigen, verringert er den Anreiz, Energie einzusparen und effizient zu verwenden. Er bremst damit in einem zentralen Sektor das Streben nach einer systematischen Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Energieproduktivität, also des Verhältnisses des Bruttoinlandsprodukts zum Energieaufwand.

In den letzten 15 Jahren stieg die Energieproduktivität in Deutschland lediglich um bescheidene 1,4 Prozent pro Jahr. Der Wert müsste mindestens doppelt so hoch liegen, um klimapolitisch wirksam und wettbewerbspolitisch förderlich zu sein.

Statt auf zügige Transformation soll mit dem Industriestrompreis also wieder einmal auf gedämpften Umbau gesetzt werden. Zudem sind die Annahmen über die Länge der "Brücke" und das Erreichen des Ufers in Form unschlagbar niedriger Preise für Sonnen- und Windenergie sehr optimistisch.

Aus der Perspektive von Energieeinsparung und verbesserter Energieeffizienz ist der Brückenstrompreis kein geeignetes Instrument, um technische oder organisatorische Innovationen in der Industrie zu fördern. Daran ändert auch die Tatsache wenig, dass "nur" 80 Prozent der Preisdifferenz erstattet werden sollen.

Strukturpolitik muss transformativ sein

Staatliche Struktur- und Industriepolitik ist legitim und kann sinnvoll sein. Welcher wirtschaftliche Entwicklungspfad eingeschlagen wird, kann eben nicht nur das Ergebnis wettbewerblicher Erwägungen und einzelbetrieblicher Rationalitäten sein, sondern ist auch volkswirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich und aus Sicherheitsperspektive zu definieren, mindestens in der Tendenz.

Eine Haltung, die dem Motto folgt: "Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt, da hat der Staat nichts zu suchen", wird den Herausforderungen unserer Tage nicht gerecht. Man kann im politischen Diskurs also durchaus zu der Einschätzung gelangen, dass die energieintensive Industrie weitestmöglich im Lande zu halten und im Transformationsprozess temporär zu stützen ist.

Ob man das mit einer am Status quo orientierten Politik der "schützenden Hand" tun sollte, ist allerdings zu hinterfragen. Dieses Vorgehen hat schon in anderen Sektoren der Volkswirtschaft eher zu Problemen als zu Verbesserungen geführt.

Beispiel Steinkohlebergbau: Mit den Argumenten Versorgungssicherheit und Sozialverträglichkeit wurden in Deutschland vom Staat 200 bis 300 Milliarden Euro Steinkohlesubventionen ausgeschüttet. Hinzu kommen Ewigkeitskosten des Bergbaus wie das Abpumpen des Oberflächenwassers oder das Reinigen und Überwachen des Grundwassers im Umfeld alter Kokereien.

Wären viele der Gelder in einen früheren Kohleausstieg, in ökologischen Strukturwandel, Innovationsförderung, Qualifizierung, Weiterbildung und eine neue Gründungskultur investiert worden, stünde etwa das Ruhrgebiet heute wirtschaftlich besser da.

Beispiel Autoindustrie: Weil Deutschlands Autobranche besonders im sogenannten Premiumsegment stark ist, glaubten Bundesregierungen aller Couleur lange Zeit, es gelte, die Branche und vor allem ihre schweren Karossen durch Winkelzüge aller Art vor allzu ambitionierten Emissionsminderungszielen der EU zu schützen – mit vermeintlichem Erfolg.

Diese "schützende Hand" bewirkte letztlich das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war. Durch die lange Fokussierung auf den Verbrennungsmotor und die generelle Autofixierung der Politik wurden der notwendige Anpassungsdruck zur Entwicklung von Elektromobilität und intermodalen Verkehrskonzepten gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich nachhaltiger und elektrischer Mobilität geschwächt.

Ob die Idee, das Prinzip der "schützenden Hand" für die energieintensive Industrie nun noch weiter auszudehnen, wirklich eine gute ist, ist also auch aus industriepolitischer Perspektive sehr fragwürdig.

Ungerecht und unsolidarisch

Wird der Strompreis für die energieintensive Industrie auf vergleichsweise niedrigem Niveau gedeckelt, ist unter den Marktbedingungen anzunehmen, dass die Stromnachfrage der Industrie steigt. Bei konstantem oder nur leicht steigendem Energieangebot führte das zu anziehenden Preisen für all jene, die nicht unter das Regime des Industriestrompreises fallen.

Mit anderen Worten: Insbesondere der Mittelstand sowie die Bürgerinnen und Bürger zahlen für den Industriestrompreis doppelt: Als Steuerzahler finanzieren sie die Subvention mit, als Stromkunden zahlen sie selbst einen höheren Strompreis.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass diese doppelte Quersubventionierung von großen Teilen der Bevölkerung als ungerecht empfunden würde und Wasser auf die Mühlen der Populisten von links bis rechts wäre.

Als Argument muss man hier sicher gelten lassen, dass der Mittelstand nichts davon hätte, wenn der Industrie die wirtschaftliche Grundlage abhandenkäme, zumal beide über Lieferketten verbunden sind.

Aber zum einen ist zu fragen, ob das Lamento der Lobbyisten der energieintensiven Industrien über angeblich existenzbedrohende Strompreise wirklich glaubwürdig ist. Übertriebene Horrorszenarien in die Welt zu setzen, gehörte schon in der Vergangenheit zu deren Geschäftsmodell, etwa bei der Torpedierung des Emissionshandels.

Als die Bundesregierung in Brüssel für weniger strenge CO2-Grenzwerte bei Autos intervenierte, schadete das dem Klima, der Branche und ihrem Ruf. (Bild: BMW/​Wikimedia Commons)

Zum anderen kann man über die Gerechtigkeitsfrage nicht einfach hinweggehen, denn sie ist für alle einfach zu stellen und zu verstehen: Ist es gerecht, wenn die Privilegien der einen ausgedehnt werden und die anderen dafür bezahlen? Wohl eher nicht.

Es dürfte auch unstrittig sein, dass ein durch die deutsche Regierung subventionierter Industriestrompreis im Sinne der EU-Regeln als potenziell wettbewerbsverzerrende Beihilfe zu gelten hat. Entsprechend zeigt sich die EU-Kommission wenig angetan von der Idee eines "Brückenstrompreises", anders als bei eher zukunftsgerichteten Beihilfen für Chipfabriken oder für den Einsatz von Wasserstoff in der Stahlindustrie – wenngleich auch diese kritisch hinterfragt werden können, mindestens in ihrer Höhe.

Mit den Zielen des "European Green Deal" und der europäischen Klimaschutzstrategie "Fit for 55" ist ein latent strukturkonservierender Industriestrompreis jedenfalls kaum vereinbar. Indirekt wirkende Abschwächungsmaßnahmen beim Klimaschutz sind kontraproduktiv, gerade wenn sie vom selbst ernannten "Vorreiter" Deutschland kommen.

Hinzu kommt: Deutschlands Großhandelsstrompreise liegen keineswegs signifikant höher als in anderen europäischen Ländern. Zudem gibt es in Deutschland schon heute verschiedene Maßnahmen der Strompreisdämpfung für die Industrie, vor allem den – zunächst bis Ende des Jahres befristeten – sogenannten Spitzenausgleich bei der Stromsteuer.

Kostspielige nationale Alleingänge, wie sie nun Teile der Bundesregierung mit dem Industriestrompreis zusätzlich ins Auge fassen, würden andere EU-Mitgliedsstaaten finanziell überfordern und in ihrer Wettbewerbsfähigkeit treffen.

So würde sich in Europas Hauptstädten und in Brüssel einmal mehr der Eindruck verfestigen, Deutschland fordere von anderen zwar gerne Solidarität, vergesse diese aber sehr schnell wieder, wenn es um eigene nationale Interessen geht. Und seien wir ehrlich: Wäre das von der Hand zu weisen?

Weniger Grundstoffindustrie

Im Plädoyer des Bundeswirtschaftsministeriums für einen deutschen Industriestrompreis vom Mai dieses Jahres heißt es: "Deutschland braucht seine Grundstoffindustrien genauso wie neue Zukunftsindustrien." Gegen eine solche standortbejahende Willensbekundung ist zunächst wenig einzuwenden. Deutschland ist mit seinem vergleichsweise hohen Industrieanteil an der Wertschöpfung in der Vergangenheit recht gut gefahren.

Aber ein wenig klingt die Ministeriumsformulierung doch nach einer wirtschaftspatriotischen Logik, die dem Motto folgt: "Was wir haben, wollen wir behalten und durch Subventionen schützen. Was sich an Neuem bietet, wollen wir fördern oder zu uns holen. So schaffen wir Wachstum und Wohlstand!"

Ob diese Sicht realistisch ist, muss schon allein aus einem Grund bezweifelt werden: Weder die ärmsten Länder des globalen Südens noch die aufstrebenden Schwellenländer Asiens, Afrikas und Südamerikas sind mit der jetzigen Form der internationalen Arbeitsteilung zufrieden.

Sie werden sich nicht länger mit der Rolle der nützlichen Rohstoff- und Vorproduktlieferanten für den globalen Norden zufriedengeben, sondern versuchen, die postkolonialen Strukturen der globalen Arbeitsteilung zu überwinden. Immer deutlicher ist dieses Signal zu hören – von den Brics-Staaten über die Gruppe der 77 bis zur UN-Vollversammlung.

Es dürfte kaum reichen, den Ländern des globalen Südens mit grüner Transformationsrhetorik eine goldene Zukunft in Aussicht zu stellen, in der sie mit kritischen Rohstoffen, seltenen Erden, Biomasse, Bioenergie, Wasserstoff, unbetretbaren "CO2-Speicher-Wäldern" und vorübergehend auch Erdgas und Flüssigerdgas für den globalen Norden ihren Wohlstand erwirtschaften sollen.

Viele Nichtregierungsorganisationen und politische Gruppierungen im globalen Süden sprechen schon heute von einem neokolonialen Modell des "Ressourcenextraktivismus", das sich vor allem gegen indigene Bevölkerungen und lokale Gemeinschaften richte.

Jedenfalls werden viele der "Entwicklungs-" und Schwellenländer darauf pochen, dass bei ihnen in Zukunft auch wertschöpfungsintensivere Teile der Produktions- und Lieferketten mit hoher Fertigungstiefe und qualifizierter Beschäftigung angesiedelt werden.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass nicht alle energieintensiven Industrien auf ewig im globalen Norden verbleiben können, sondern Teile dorthin wandern, wo die Rohstoffe gefördert werden und die Bedingungen für die Erschließung erneuerbarer Energiequellen besser sind als hier.

Weniger Grundstoffindustrie bedeutet aber nicht automatisch weniger Wohlstand oder gar – wie vom Bundeswirtschaftsministerium unterstellt – weniger Nachhaltigkeit. Manche dieser Industrien weisen eine Produktpalette auf, die alles andere als nachhaltig ist.

Warum sollte die erdöl- und gasbasierte Chemieindustrie für die Produktion von Pestiziden wie Glyphosat oder Neonicotinoide sowie von Stickstoff-, Phosphor- und Kaliumdünger für die industrielle Landwirtschaft oder von Plastik-Vorprodukten aller Art generell mit niedrigen Strompreisen belohnt werden?

Wäre es nicht sinnvoller, sie gezielt darin zu unterstützen, Klimaneutralität, Boden, Wasser- und Biodiversitätsschutz, Abfall- und Giftfreiheit sowie sanftere Produktionsverfahren – "Naturstoffchemie statt Chlorchemie" – und Dienstleistungen wie beispielsweise "Chemikalien-Leasing" zum neuen Goldstandard der Branche zu machen? Vieles spricht dafür.

Fünf Bausteine für die Transformation

Die politische Lage in Sachen Brückenstrompreis ist verzwickt. Es erstaunt vor allem, dass der grüne Teil der Ampelkoalition so vehement alle Argumente ausschlägt, die den Brückenstrompreis aus sozial-ökologischer Perspektive kritisch einordnen.

Weniger erstaunlich ist, dass Union, Liberale und AfD das Kind mit dem Bade ausschütten wollen und die weitgehende Abschaffung der Stromsteuer vorschlagen. Damit würde nicht nur der preisinduzierte Stromsparanreiz für alle entfallen, auch das bisherige Aufkommen aus der Stromsteuer, das sind etwa sieben Milliarden Euro jährlich, die der Stabilisierung der Sozialkassen dienen, fiele weg. Die Stromsteuer abzuschaffen, wäre also noch problematischer als ein Brückenstrompreis.

Was aber sollte stattdessen passieren?

Es führt kein Weg daran vorbei, jetzt eine passgenaue Strategie zu entwerfen, die der ökologischen Transformation der Wirtschaft und der sozialen Gerechtigkeit dient. Diese sollte folgende fünf Punkte berücksichtigen.

Erstens: Eine Gießkannenförderung durch Subventionen ist für die staatliche Unterstützung der Industrie der vollkommen falsche Ansatz. Absolute Priorität müssen an Nachhaltigkeit, Innovation, Qualifizierung und verbesserter Resilienz ausgerichtete Instrumente haben.

Die staatlichen Mittel dafür sind einstweilen vorhanden, siehe den Klima- und Transformationsfonds, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds oder den Bundeshaushalt, dort vor allem das "Wachstumschancengesetz". Ob für Zwecke der Transformation mittelfristig die Schuldenbremse aufgeweicht oder neu interpretiert werden muss, ist offen zu diskutieren.

Zweitens: Die vorhandenen Instrumente zur Stützung energieintensiver Unternehmen, die unter temporären Transformations- oder Wettbewerbsdruck geraten, können im Bedarfsfall ausgeschöpft werden und reichen vom Spitzenausgleich bei der Stromsteuer über die EU-rechtskonforme Strompreiskompensation im Rahmen des europäischen Emissionshandels bis zum Schutz vor Ökodumping und unlauterem Wettbewerb an Europas Außengrenzen.

Solche Sonderwege müssen aber zeitlich begrenzt beziehungsweise so weit wie möglich an Klimaschutzzusagen geknüpft werden.

Gleichzeitig sollte die energieintensive Industrie ermutigt werden, innovative Instrumente zur Sicherstellung attraktiver Strombezugskosten einzusetzen, etwa die sogenannten Power Purchase Agreements. Diese bilateralen Verträge zwischen den Lieferanten von grünem Strom und Industrieunternehmen erhöhen die Planungssicherheit auf beiden Seiten und wirken zugleich als Booster für die Erneuerbaren.

Drittens: Die Energiewende ist mit deutlich höherer Geschwindigkeit voranzutreiben. Dabei muss aber klar sein, dass sie drei Dimensionen umfasst: Energieeinsparung, Verbesserung der Energieeffizienz und starker Aufwuchs bei erneuerbarer Erzeugung, Energiespeicherung und Wasserstoffwirtschaft.

Zu warnen ist zugleich vor einer Rhetorik, mit der Umstellung auf erneuerbare Energien seien alle Grenzen der Energienutzung quasi aufgehoben und es winkten extrem niedrige Energiepreise.

Eine solche Haltung, die in den Jahren der Atomenergie-Euphorie um 1960 schon einmal herrschte, verkennt, dass jede Form der Energieerzeugung auch Kosten und Schattenseiten hat, von Flächenverbrauch über schmutzigen Rohstoffabbau bis zu Speicherbedarfen. Es gibt auch Grenzen des "grünen Wachstums".

Viertens: Den Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung sollten wir nicht mit Angst, sondern mit Zuversicht begegnen. In Deutschland und Europa geht es nun darum, den Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit mit hohen öffentlichen Investitionen und vor allem dem Ermutigen und Anreizen privater Investitionen voranzubringen.

Es gibt so unendlich viel zu tun, wofür alle Kräfte guten Willens gebraucht werden. Neben diese Aufgabe tritt in Zukunft gleichwertig der Einsatz für eine faire Weltwirtschaftsordnung, für nachhaltige und gerechte Austauschbeziehungen.

Eine Haltung, die den globalen Süden als bloßen Rohstofflieferanten für Europa sieht und alles Wertschöpfungsintensive für sich reklamiert, ist weder zukunftsfähig noch erfolgversprechend. Wir werden kooperieren und auch fair teilen müssen.

 

Fünftens und nicht zuletzt: Es gibt auch bei uns viele Menschen, denen relativ hohe Energiepreise arg zu schaffen machen, denen Energiearmut droht. Es ist deshalb überfällig, dass die Ampelkoalition endlich ihr Versprechen einlöst, ein angemessen hohes "Klimageld" einzuführen.

Dieses Instrument ist aus zwei Gründen essenziell: Es entlastet einkommensschwache Gruppen tatsächlich. Und es entzieht der populistischen Phrase die Grundlage, die Energiewende sei ein gegen die "kleinen Leute" gerichtetes "Projekt der politischen Eliten".

Gesellschaftliche Unterstützung ist das, was die Energiewende im Lichte der eskalierenden Klimakrise jetzt am dringendsten braucht. Ein Brückenstrompreis trägt dazu nicht bei.

Der Beitrag erschien zuerst unter dem Titel "Irrweg Brückenstrompreis" in der November-Ausgabe der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" und wurde für Klimareporter° überarbeitet und gekürzt.

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