Robert Habeck steht an einem Pult und spricht, die Umgebung ist in pink und gelb gehalten.
Bundeswirtschafts- und -klimaminister Robert Habeck (Grüne) gestern beim BEE in Berlin. (Foto: Jörg Staude)

Deutschland zu dekarbonisieren, sei ein "kühnes" Vorhaben, "kühn" sei auch die angestrebte Verdreifachung des Windkraft-Ausbaus. Immer wieder war am Donnerstagabend beim ersten Energiedialog des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) in Berlin von "Kühnheit" die Rede.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach bei seinem Auftritt sogar davon, nach dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg sei es möglicherweise das "kühnste" Projekt, in voller Fahrt ein Industrieland zu dekarbonisieren.

Gemessen daran legte Habeck gestern erst wenig an Vorhaben für 2023 auf den Tisch. In seinem als Grundsatzrede angekündigten Vortrag kündigte er lediglich an, dass am 20. Februar die Plattform zum klimaneutralen Stromsystem starten werde und im Laufe des Jahres alle bis 2030 neu zu bauenden Gaskraftwerke ausgeschrieben würden.

Neben dem Ausbau der Erneuerbaren, so Habeck weiter, gehe es auch um einen Netzausbau, nicht zuletzt auf der Verteilebene. Beim Netzausbau komme es darauf an, nicht erst auf einen Bedarf zu reagieren, sondern vor dem Bedarf da zu sein, sagte er.

Als ein Dissens zeichnet sich ab, dass das Wirtschaftsministerium beim Design des klimaneutralen Stromsystems künftig Instrumente einbauen will, die der aktuellen Gewinnabschöpfung bei der Strompreisbremse ähneln.

Dazu könnte zum Beispiel die EEG-Förderung auf sogenannte Contracts for Difference umgestellt werden. Bei diesen Differenzverträgen müssen geförderte Ökostrom-Anlagen bei überdurchschnittlichen Erlösen einen Teil ihrer Förderung zurückzahlen.

BEE-Chefin setzt auf dezentrale Flexibilitäten

BEE-Präsidentin Simone Peter warnte auf dem Dialogforum davor, ins klimaneutrale Stromsystem Teile der derzeitigen Gewinnabschöpfung aufzunehmen, und erneuerte die Kritik ihres Verbandes an den Differenzverträgen. Diese seien zu marktfern und unflexibel.

Peter plädierte stattdessen dafür, auf ein flexibles Energiesystem und eine flexible Mengenförderung umzustellen. Ein dezentrales Backup aus Bioenergie, Speichern, Kraft-Wärme-Kopplung und Sektorenkopplung sei die "Zauberformel", um Wind- und Solarenergie zu flankieren. Dafür brauche es eine betriebswirtschaftliche Motivation über den gesamten Markt, keine starre Maßregelung durch Differenzverträge, erklärte Peter.

Schon in diesem Jahr will Minister Habeck, wie er auf dem Forum verkündete, den Bau der Gaskraftwerke ausschreiben, die ab 2030 – wenn Erneuerbare einen Anteil von 80 Prozent am Strommarkt haben sollen – die noch fehlenden 20 Prozent abdecken.

Mit der Ausschreibung könne man sich nicht noch zwei oder drei Jahre Zeit lassen. "Wir wissen doch, dass wir sie brauchen", begründete der Minister den engen Zeitplan. In ihrem gerade vorgelegten Versorgungsbericht hält die Bundesnetzagentur für die 20 Prozent den Neubau von 17.000 bis 21.000 Megawatt für nötig.

Industrie will auch fossilen Wasserstoff

Habeck bezeichnete diese Anlagen als "molekülgetriebene" Kraftwerke, die eine "kurze Zeit" mit Erdgas und dann möglichst schnell mit Wasserstoff betrieben werden sollen. Die Kraftwerke müssten schnell und flexibel sein, aber nur für eine gewisse Zeit mit voller Kraft laufen.

Diese zunächst gasbasierte Strategie wurde beim Energiedialog auch vom Chef des ostdeutschen Netzbetreibers 50 Hertz, Stefan Kapferer, befürwortet. Derzeit verfüge Deutschland noch über jeweils 18.000 Megawatt Braunkohle- und Steinkohleverstromung, dazu kämen 4.000 Megawatt Atomkraft, sagte Kapferer. Von diesen 40.000 Megawatt müsse die Hälfte ersetzt werden.

BEE-Präsidentin Simone Peter warnte hingegen in Anspielung auf die Flüssigerdgas-Importe vor neuen fossilen "Brücken" und "Lock-ins". Aus ihrer Sicht muss auch der Leitmarkt Wasserstoff von Anfang an grün sein. Es sei keine Zeit mehr für blau, grau oder irgendeine andere Farbe, sagte Peter. Die Erneuerbaren gehörten ins Zentrum der Energiepolitik, in die Verantwortung und in alle Sektoren.

Demgegenüber setzt etwa die chemische Industrie, wie auf dem Dialog deutlich wurde, eher auf den weitgehenden Import von billigem Wasserstoff oder anderen grünen Molekülen. Die Chemiebranche plädiert auch für den Einsatz von grauem und blauem Wasserstoff. Diese Varianten werden aus fossilem Erdgas hergestellt, beim blauen Wasserstoff soll das anfallende CO2 dann abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden.

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