Die Hälfte der Erde müsste eigentlich unter Schutz stehen, um die Artenvielfalt und die Stabilität des Klimas zu erhalten. Expert:innen um den Ökologen Eric Dinerstein vom US-Thinktank Resolve haben in einer Studie ein "globales Sicherheitsnetz" an nötigen Schutzgebieten vorgestellt, die insgesamt gut 50 Prozent der globalen Landmasse ausmachen.
Das wäre eine enorme Steigerung: Bisher stehen nur etwa 15 Prozent der Landmasse unter Schutz. Das Team hat geeignete Gebiete für mehrere Schutzkategorien identifiziert.
Neben den 2,3 Prozent der Landmasse, auf der die am stärksten bedrohten Tier- und Pflanzenarten zu finden sind, gehören dazu Gebiete mit hoher Artenvielfalt, Lebensräume großer Säugetiere, besonders intakte Wildflächen sowie "Klimastabilitätsbereiche" – beispielsweise Moore und Wälder, die besonders viel Kohlenstoff binden.
Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Science Advances erschienen. Man kann sich das "globale Sicherheitsnetz" aber auch online auf einer interaktiven Karte ansehen. Studienleiter Dinerstein spricht von "einer Art Blaupause für den Schutz des Lebens auf der Erde". Vor allem die Verbindung von Arten- und Klimaschutz ist ihm wichtig.
Die Vereinten Nationen streben an, bis zum Ende des Jahrzehnts 30 Prozent der Landmasse unter Schutz zu stellen. Formal beschlossen ist das Ziel noch nicht, das dürfte aber beim Gipfeltreffen im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention im kommenden Mai folgen.
"Der Plan vergrößert eher die Probleme"
128 Menschenrechtsorganisationen warnen jedoch: Selbst dieses Vorhaben, das die geschützten Flächen "nur" verdoppeln würde, könnte 300 Millionen Menschen vertreiben. In den Schutzgebieten dürfte dann schließlich nicht mehr wie bisher gelebt und gewirtschaftet werden – im Grunde ist das ja ihr ganzer Sinn und Zweck.
Die NGOs haben ihre Bedenken vergangene Woche in einem offenen Brief an das zuständige UN-Sekretariat formuliert. Sie weisen darauf hin, dass viele der betroffenen Flächen von indigener Bevölkerung genutzt würden, die im Zuge der Ausweitung von Schutzgebieten oft "gewaltsam vertrieben und enteignet" werde. Naturschutz in Regionen wie dem afrikanischen Kongobecken und Südasien habe sich in den letzten Jahren zunehmend militarisiert, kritisieren sie.
"Die Forderung, 30 Prozent der Erde zu 'Naturschutzgebieten' zu machen, ist in Wirklichkeit eine gigantische Landnahme, vergleichbar mit der europäischen Kolonialisierung", sagte Stephen Corry von Survival International. Die Probleme würden damit eher noch zunehmen.
"Diese geplante Enteignung von Hunderten Millionen Menschen riskiert die Auslöschung der menschlichen Vielfalt und ihrer Möglichkeit zur Selbstversorgung – die eigentlichen Voraussetzungen dafür, dass wir in der Lage sind, den Klimawandel zu bremsen und die biologische Vielfalt zu schützen", warnte Corry.
Als Gegner:innen von Klima- und Naturschutz wollen die Menschenrechtler:innen nicht verstanden werden. "Es sind sofortige Maßnahmen erforderlich, um das bevorstehende Überschreiten der planetarischen Belastungsgrenzen aufzuhalten", sagte Joshua Castellino von der Minority Rights Group.
Auf mehr offizielle Schutzgebiete zu setzen, lasse aber die indigene Bevölkerung "den Preis zahlen für die Zerstörung, die auf übermäßigem Konsum basiert".
Indigen verwaltete Gebiete oft in gutem Zustand
Auch Dinerstein und Kolleg:innen gehen darauf ein, dass ihr "globales Sicherheitsnetz" sich stark mit Flächen überschneidet, die von indigenen Gruppen genutzt werden, nämlich zu 37 Prozent. Sie sehen das nicht als Nachteil. Die lokale Bevölkerung könne eingebunden werden und auch profitieren.
Eine Lösung könnte sein, der indigenen Bevölkerung die Landrechte offiziell zuzuerkennen, statt nur herkömmliche Schutzgebiete einzurichten. Dafür plädiert etwa auch das US-amerikanische World Resources Institute (WRI). Das Argument: Indigene Gruppen verwalteten ihre Naturräume oft gut, und zwar mit messbarem Effekt.
Im Jahr 2018 haben Forscher des Thinktanks eine Studie im Fachmagazin Ecological Economics veröffentlicht, in der sie Gebiete im Amazonas-Regenwald untersucht haben. "Zu meiner Überraschung haben wir im Vergleich zu ähnlichen ungeschützten Flächen deutlich niedrigere Abholzungsraten dort vorgefunden, wo die indigene Bevölkerung die Landrechte besaß", sagte WRI-Ökologe Peter Veit.
Andere Forscher:innen kommen zu ähnlichen Schlüssen. Ein Team um den Biologen Richard Schuster von der kanadischen Carleton-Universität verglich die Artenvielfalt in traditionellen Naturschutzgebieten und in Gebieten, die von indigenen Gruppen verwaltet oder mitverwaltet werden.
Das Ergebnis der Studie, die im vergangenen Herbst im Fachmagazin Environmental Science & Policy erschien: In den indigenen Gebieten herrschte sogar mehr Artenvielfalt. Schuster schlussfolgert: "In Zukunft wird es beim Artenschutz entscheidend sein, mit indigenen Landverwaltern zusammenzuarbeiten."