Klimareporter°: Herr Zöpel, Sie haben eine Menge Erfahrung mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel im Ruhrgebiet, vor allem durch das Ende des Steinkohlenbergbaus. Gibt es Parallelen zum Ausstieg aus der Braunkohle? Was raten Sie den betroffenen Regionen?
Christoph Zöpel: Die Situation ist nicht vergleichbar, außer dass es in beiden Fällen um die Beendigung des Kohleabbaus geht. Allerdings sind auch dabei die Gründe für den Ausstieg unterschiedlich. Während für das Ende des Steinkohlenbergbaus vor allem wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend waren, sind es bei der Braunkohle ökologische Notwendigkeiten. Zum Schutz des Klimas muss es in kurzer Zeit zum Ausstieg aus der Braunkohle kommen.
Allerdings geht es in beiden Fällen auch darum, wie politisch mit den strukturellen Herausforderungen umgegangen wird. Falsch wäre es, auf neue industrielle Großstrukturen zu setzen. Vielmehr müssen die Voraussetzungen für die Entwicklung einer starken Dienstleistungsstruktur, auch industrieller Dienstleistungen, geschaffen werden.
Was wurde im Revier richtig, was wurde falsch gemacht?
Es gibt keine einfachen und schnellen Antworten auf derartige Umbrüche. Das Ruhrgebiet zeigt, dass der Strukturwandel einen langen Zeitraum braucht, zumal die Montanregion auch durch historische Zwänge geprägt wurde. Notwendig sind frühzeitig längerfristige Konzepte.
Die wichtigste Leistung war deshalb, die Region zu einer Hochschullandschaft zu machen. Das Verdienst kommt vor allem Johannes Rau zu, der zum Vater der hochschulpolitischen Regionalisierung in NRW wurde – mit der Stärkung der Universitäten Bochum und Dortmund sowie der Gründung der Universitäten Essen und Duisburg. Rau gründete 1974 auch die erste Fernuniversität in Hagen und wandelte Ingenieurschulen in Fachhochschulen um.
Heute studieren etwa 280.000 Studenten und Studentinnen im ehemaligen Revier. Dadurch wurde eine wichtige Grundlage geschaffen, um die Altersstruktur zu verbessern, Innovationspotenziale zu fördern, die Abhängigkeit von der Stahlproduktion zu überwinden und die Beendigung der Steinkohlenförderung zu kompensieren. In Bochum ist beispielsweise die Uni der weitaus größte Arbeitgeber.
Zur Person
Christoph Zöpel war Minister für Bundesangelegenheiten und dann von 1980 bis 1990 Minister für Stadtentwicklung in Nordrhein-Westfalen. Später war der SPD-Politiker Staatsminister im Auswärtigen Amt.
Die Region verfügt über viel Kraft und Kreativität, hinzu kommt eine ausgeprägte Kultur der Integration und Solidarität. Zudem gab es wichtige Initiativen, um den Umbau zu fördern, wie das Entwicklungsprogramm Ruhr 1968, das NRW-Programm 1975, das Aktionsprogramm Ruhr 1980 und die Internationale Bauausstellung Emscher Park 1989 bis 1999.
Allerdings wurden auch Fehler gemacht, so die Ausweisung immer neuer Industrieflächen, statt die Altflächen zu revitalisieren und zu nutzen. Und auch die Bundespolitik hat die Strukturpolitik, insbesondere die Entwicklung einer millionenstadtgerechten Infrastruktur, nur unzureichend unterstützt.
Wartet die Politik zu lange mit dem Strukturwandel?
In einer Zeit, in der alles auf den schnellen Erfolg ausgerichtet ist und seit 30 Jahren die Ideologie der Deregulierung und Entstaatlichung vorherrscht, wurde die Gestaltungsfähigkeit des Staates geschwächt. In den sozialen und ökologischen Herausforderungen sehe ich eine Chance, wieder zu einer Politik zu kommen, die längerfristige Ziele systematisch verfolgt. Anders wird das bei den ökologischen Herausforderungen nicht gehen, zumal es nicht nur den Ausstieg aus der Kohle betrifft. In vielen Bereichen brauchen wir einen grundlegenden Strukturwandel, zum Beispiel auch bei der motorisierten Mobilität oder in der Landwirtschaft.
Der Strukturwandel in den Braunkohlegebieten stellt unterschiedliche Anforderungen. Gibt es dennoch Erfahrungen, die generell genutzt werden können?
Wichtig ist es, die Potenziale der Regionen zu nutzen und sie mit den Stärken überregionaler Metropolen zu vernetzen. Für die Lausitz können das Dresden und Leipzig sein. Im rheinischen Braunkohlegebiet gibt es nur kleinere Städte, aber auf Köln kann geblickt werden. Notwendig sind gemeinsame Anstrengungen und längerfristige Programme. Von großer Bedeutung ist dabei die Einbindung der gesellschaftlichen Gruppen, nicht nur als Vertreter sozialer und ökologischer Interessen, sondern auch für die Durchsetzung neuer Ziele.
Zum Beispiel?
Insbesondere meine ich die Gewerkschaften. Sie sollten sich gerade in diesen Regionen nicht nur als Industriegewerkschaften verstehen, sondern sich aktiv für den Ausbau des Dienstleistungssektors in allen Bereichen einsetzen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kann hierbei eine starke Rolle für die Umstrukturierung der betroffenen Regionen spielen, wirtschaftlich und sozial wie auch ökologisch.
Das Interview erschien zuerst im Themenheft Kohleausstieg von movum, einem Debattenmagazin der Umweltverbände