Am Ende war es ein Zeichen der Hilflosigkeit, wenn auch anders als geplant. Vergangenen Dienstag bewachten mehrere Reihen hochgerüsteter Robocops mit Schildern und Hunden hinter Tretgittern das Marriott-Hotel im Herzen Wiens.
Im Rücken zwei Wasserwerfer, eine Polizeidrohne in der Luft, während Dean Bhekumuzi Bhebhe von der Kampagne Don't Gas Africa wütend ins Mikrofon sprach: "Wenn es um den Frieden geht, dann hilft uns kein Gas. Gas hilft uns auch nicht, wenn es um die Freiheit der Menschen geht. Afrika weigert sich, die Gas-Tankstelle Europas zu sein!"
Tausende Menschen jubelten ihm zu. "Sie können ruhig kommen, mit ihrer Polizei, mit ihren Hunden. Aber wir haben die Macht der Massen!", rief Bhebhe.
Anfang der Woche fand in Wien die European Gas Conference statt. Über etwaige Beschlüsse auf der Konferenz ist nur wenig bekannt. Die Intransparenz und vor allem die begleitenden Aktivitäten der Klimagerechtigkeitsbewegung aber sorgten tagelang für Schlagzeilen.
Fossiler Lock-in
Dabei dürfte es auch um Steuergeld gehen, das Lobbyist:innen der Energieindustrie von Montag bis Mittwoch dieser Woche in Wien an Land ziehen wollten.
Organisiert wurde die private Veranstaltung vom Energy Council, ein Name, der offizieller klingt, als er es ist. Dahinter steht die Eventagentur Clarion Energy aus Großbritannien, die sich zum Ziel gesetzt hat, "qualifizierten Investoren" den Zugang zur Öl- und Gasindustrie zu ermöglichen. In anderen Worten geht es darum, Geldgeber für den Ausbau der fossilen Industrien anzuwerben.
Neben privaten Investoren waren es auch öffentliche Institutionen wie das österreichische Klima-, Energie- und Verkehrsministerium, die britische Botschaft und das US-Energieministerium, die sich neben dem Who's Who der Energiewirtschaft ins schwer bewachte Marriot-Hotel begaben. Ebenfalls dabei: Energieriesen wie Total, Eni oder Vattenfall.
Vonseiten der teilnehmenden österreichischen Ministerien war viel die Rede von "Versorgungssicherheit" und "Gas als Brückentechnologie", welche notwendig sei, um sich von einer Abhängigkeit vom russischen Markt freizumachen.
Man habe "über den gemeinsamen Gaseinkauf der EU gesprochen", ließ das Klimaministerium auf Anfrage von Klimareporter° wissen. "Aber wir wollen sicherstellen, dass heute kein Geld mehr in die falschen Investments fließt, die den Weg in eine klimafreundliche Welt verstellen", so Ministeriumssprecherin Uta Hauft.
Intransparenz
Das österreichische Finanzministerium antwortete nur äußerst knapp, während sich Bundeskanzleramt und Wirtschaftsministerium über ihre Teilnahme ausschwiegen.
Kritiker:innen befürchten aber, dass ein Ausbau der Infrastruktur für Gas langfristige Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern zementieren würde, der sogenannte Lock-in-Effekt. Dies wäre wohl auch im Interesse eines der Sponsoren der Konferenz, des teilstaatlichen Öl-, Gas- und Petrochemiekonzerns OMV.
Laut einem Berater des österreichischen Klimaministeriums wurden auf der Konferenz keine Deals abgeschlossen, sondern nur Analysen geteilt. Warum für ein Eintrittsticket aber 5.000 Euro zu bezahlen waren, lässt sich kaum anders erklären, als dass dort mindestens investitionsschwere Kontakte angebahnt werden sollten.
Schon vor der Konferenz sorgte die fehlende Transparenz für Aufsehen. Journalist:innen beklagten, dass ihnen der Zugang zur Konferenz verweigert wurde. Einem Journalisten der Schweizer Wochenzeitung Woz wurde wenige Tage vor Beginn der gewährte Zutritt wieder entzogen, vielen weiteren erst gar nicht erteilt.
Helga Kromp-Kolb, Österreichs wohl bekannteste Klimaforscherin, sagte dem Sender ORF: "Wenn die Konferenz dazu dient, die Zukunftsfähigkeit des Gases zu erhöhen, dann heißt das, dass man an Gas festhalten und es womöglich noch ausbauen möchte, dagegen muss man sich aus wissenschaftlicher Sicht wenden. Gas ist keine klimafreundliche Alternative."
Straßenprotest
Auf Initiative des internationalen Bündnisses Block Gas kam es zu zahlreichen Protestaktionen. Am Wochenende vor der Konferenz tagte die "Power to the People Conference". Dort berichteten Teilnehr:innen aus dem globalen Süden über die Auswirkungen der Förderung fossiler Energieträger. So etwa Lorraine Chiponda vom Africa Climate Movement-of-Movements.
"Seit Jahrhunderten hat das unterdrückerische globale Energiesystem Auswirkungen auf afrikanische Gesellschaften", erklärte Chiponda. "Wir haben den Kohleabbau und die Erdölförderung erlebt, mit massiven Schäden für unser Land, unsere Lebensgrundlage, des Wasser und die Nahrungsmittelversorgung." Auch heute bringe dieser "Extraktivismus" Gewinne ins Ausland und lasse die Menschen vor Ort noch ärmer zurück, so die Aktivistin aus Simbabwe.
"Das zeigt ganz klar, was passiert, wenn wir es zulassen, dass sich Großkonzerne verabreden, ohne eine Stimme der Bevölkerung zu hören. In Afrika sind wir, was die Auswirkungen des Klimawandels angeht, an vorderster Front", sagte Chiponda. Das habe der Zyklon Freddy mit Hunderten Todesfällen in Malawi und Verwüstungen in Mosambik und Teilen Simbabwes gezeigt.
Chiponda: "Das ist das Vermächtnis der fossilen Industrie in Afrika. Für uns funktioniert dieses System einfach nicht. Wir wollen Reparationszahlungen von den fossilen Konzernen und einen gerechten Übergang zu erneuerbaren Energien."
Am Tag vor Konferenzstart blockierten Aktivist:innen die Zufahrt zum Privatjet-Terminal am Flughafen Wien. Sie bildeten eine Sitzblockade unter einem Transparent mit der Aufschrift: "Kalte Wohnung, Kühlschrank leer – ihr fliegt mit dem Privatjet her".
Polizeigewalt
Montag früh, zu Konferenzbeginn, näherten sich zwei Demonstrationen dem Kongresszentrum an der Wiener Ringstraße. Während eine Demo erst 150 Meter vor dem Haupteingang zum Marriott-Hotel durch die Polizei gestoppt werden konnte, wurde die zweite Versammlung einige hundert Meter mit Pfefferspray und Prügel am Weiterkommen gehindert.
Rund 150 Menschen wurden vorübergehend festgenommen. Die Polizei Wien erstattete Anzeige wegen schwerer gemeinschaftliche Gewalt, einem Delikt, das bislang vorwiegend gegen Fußballfans zum Einsatz kam. Bis auf vier Menschen konnte die Polizei die Aktivist:innen aber nicht identifizieren, ließ die Staatsanwaltschaft Wien auf Klimareporter°-Anfrage wissen.
Österreichs Innenminister Gerhard Karner bezeichnete den Polizeieinsatz hingegen als "höchst sensibel und erfolgreich". Man habe verhindern können, dass "ganze Straßenzüge brennen, wie das in anderen Ländern bereits üblich ist", wurde Karner im Boulevard zitiert. Ein unrealistisches Bedrohungsszenario, das wohl den überzogenen Polizeieinsatz rechtfertigen sollte.
Am Dienstag stand der Hauptsponsor der Konferenz, der Fossilriese OMV, auf der Agenda der Protestierenden. Außerhalb von Wien blockierten zwei Protestzüge Einfahrt und Gleisanlagen der OMV-Raffinerie sowie die Zentrale des Konzerns über viele Stunden.
Höhepunkt der Proteste war schließlich eine Großdemonstration am Dienstagabend, bei der über 5.000 Menschen durch die Wiener Innenstadt und direkt am Konferenzzentrum vorbeizogen. Das Konferenzpublikum, das zeitgleich zu einem geheimgehaltenen Gala-Dinner im Wiener Rathaus geladen war, entging dem Protest aber auch dort nicht: Aktivistinnen der Gruppe We Smell Gas unterbrachen das Abendessen mit ihrer Kritik an der Ausbeutung fossiler Ressourcen in Ländern des globalen Südens.
Mit ihrem Großaufgebot vor dem Konferenzzentrum ließ die Polizei die Muskeln spielen. Die diversen Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung setzten dagegen die Macht der Vielen, deren Stimmen nicht überhört werden können. Das Polizeiaufgebot am Wiener Marriott-Hotel wirkte damit am Ende vor allem wie ein Ausdruck der Hilflosigkeit und Gesprächsverweigerung.