Heute ist der neue Bericht des Weltklimarates IPCC erschienen. Er lässt an Klarheit leider nichts mehr zu wünschen übrig. Die Erderhitzung nimmt dramatische Formen an, Katastrophen werden sich in vielen Regionen der Welt häufen. Immer klarer zeigen sich die Folgen des klimapolitischen Stillstands der letzten Jahre.
Dem einen oder der anderen wird der neue Weltklimabericht Angst machen, ist doch beispielsweise von irreversiblen Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme die Rede. Das trifft ins Mark.
Doch die nüchterne Analyse sollte uns nicht lähmen, sondern aufrütteln. Zu lange hat die Politik gezögert, sich der Klimakrise entschieden entgegenzustellen. Nun kommt also der nächste Versuch der versammelten globalen Wissenschaft, den politisch Verantwortlichen den Ernst der Lage deutlich zu machen.
Bereits 2013 hatte der Weltklimarat vor einer Häufung regionaler Katastrophen gewarnt, die zu großen Flüchtlingsströmen führen werden. Doch das hat nicht gefruchtet.
Sinnbildlich dafür war der 29. Juli, der Erdüberlastungstag, auch Earth Overshoot Day genannt. Bis zu diesem Datum hat die Menschheit alle natürlichen Ressourcen verbraucht, die die Erde ihr für ein ganzes Jahr anbietet. In Deutschland war dieser Punkt bereits am 5. Mai erreicht. Seitdem leben wir auf Pump, zu Lasten der Natur und künftiger Generationen.
Anfang August kam gleich die nächste schlechte Nachricht: Die Treibhausgasemissionen in Deutschland steigen (!) und werden Ende 2021 deutlich über dem Klimaziel von 2020 liegen. Es geht also weiter in die falsche Richtung.
Verlorene Jahre
Eines zeigt der IPCC-Bericht klipp und klar: Die Zeit der Ausreden ist vorbei. Es kann nur ein Ziel geben: null. Keine menschengemachten CO2-Emissionen mehr. Die Menschheit muss den globalen Klima-Fußabdruck ab sofort senken und bis spätestens 2050 auf netto null bringen.
Und sofort senken heißt eben, es gibt keine Brücke, keinen Puffer mehr. Wir müssen direkt in die CO2-freien Technologien einsteigen und das fossile Zeitalter schnellstmöglich und vollständig hinter uns lassen.
Null, das ist streng genommen sogar noch zu wenig. Die bedenkenlose Freisetzung von Klimagasen hat deren Konzentration in der Atmosphäre derart steigen lassen, dass das 1,5-Grad-Ziel wohl nur noch erreichbar ist, wenn wir der Atmosphäre aktiv CO2 entziehen.
Die Chance gibt es. So könnten Milliarden neuer Bäume CO2 binden, ebenso wie die Wiedervernässung der Moore oder das Einfangen. Das ist sinnvoll und kann helfen, aber: In einem sich dramatisch ändernden Klima kann ein Wald wieder abbrennen, ein Moor wieder austrocknen und das gespeicherte CO2 so wieder in die Atmosphäre entweichen. Es wird schwer genug, die natürlichen Ökosysteme als Kohlenstoffspeicher einigermaßen zu erhalten.
Ralf Schmidt-Pleschka
ist Koordinator für Energiepolitik beim Hamburger Ökostromunternehmen Lichtblick. Davor war der Geograf und Umweltpolitikexperte unter anderem energiepolitischer Referent bei den Grünen im Bundestag.
Und ob es jemals im großen Stil künstliche CO2-Lagerstätten geben wird, in denen das Klimagas sicher und dauerhaft eingespeichert werden kann, ist längst nicht ausgemacht. Hoffen wir also nicht auf die Senken, sondern konzentrieren wir uns auf das Abschalten der vom Menschen verursachten Klimagasquellen.
Die bisherige Klimaschutzpolitik reicht dazu, auch in Deutschland, bei Weitem nicht.
Das Thema lag bei der noch amtierenden Bundesregierung zu lange im Dornröschenschlaf. Sie hat die Energiewende bestenfalls verwaltet. Das Ergebnis: kaum noch neue Solaranlagen, Einbruch beim Windkraftausbau an Land, Kohleausstieg erst 2038 – alles weit weg vom Paris-Pfad.
Eine solche Laissez-faire-Politik wird bestraft, denn das Klima spiegelt die Versäumnisse der Vergangenheit gnadenlos wider. Es hilft dann nichts, wenn sich Markus Söder geläutert gibt, nachdem er bis heute dafür gesorgt hat, dass in Bayern de facto keine Windräder mehr neu gebaut werden.
Das Klima vergisst auch nicht, dass die Bundesregierung die von der EU-Kommission geplanten CO2-Grenzwerte als schädlich für die deutsche Automobilindustrie einstufte, verwässerte und den Wandel hin zu mehr Elektromobilität damit behindert hat.
Schub für die Energiewende
Der Schalter muss also umgelegt werden, nicht nur, aber auch in Deutschland – rasch, sehr rasch, spätestens innerhalb der ersten 100 Tage der neuen Regierung. Daran müssen sich alle messen lassen, die dieses Land mitregieren möchten.
Die Aufgabe ist riesig, und sie wird alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche betreffen. Zumindest im Strombereich sind die drängendsten Reformen lange bekannt. Hier geht es darum, schnell die Stellschrauben für die CO2-freie Versorgung zu stellen.
Als Erstes muss dazu der Ausbau-Turbo für erneuerbare Energien angeworfen werden. Der Solar- und Windausbau an Land muss verdreifacht werden. Jahre ohne Offshore-Zubau, wie dieses Jahr, dürfen nicht wieder vorkommen.
Als Treiber ist auch die Einführung einer bundesweiten Solarnutzungspflicht für alle Neubauten sinnvoll. Damit würde die Energiewende in die Städte getragen und die riesigen Solarpotenziale auf Gebäuden genutzt.
Außerdem brauchen wir ein neues Steuer- und Abgabensystem für Energieträger. Das stammt noch aus der alten, fossilen Zeit. Klimaschädliche Energie muss teurer, saubere Energie preiswerter werden. Das entlastet nicht nur Kunden, es fördert auch den Einsatz von Ökostrom im Wärme- und Verkehrssektor.
Tacheles!
In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrates in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.
Also weg mit der EEG-Umlage und rauf mit den CO2-Preisen. Um Härtefälle zu verhindern, sollte ein Bürger:innen-Geld, finanziert aus den erhöhten Preisen, ausgezahlt werden.
Und schließlich braucht es einen neuen Ökostrommarkt. Strom aus geförderten Solar- und Windanlagen sollte künftig direkt an Endverbraucher geliefert werden können. Dann kann die steigende Ökostromnachfrage aus neuen Anlagen gedeckt werden und der Markt treibt direkt die Energiewende mit voran.
Sicher, damit ist das Klima lange noch nicht gerettet. Aber ein guter Einstieg wäre es allemal.