Solaranlage auf einem Häuserdach
Solaranlagen kann man auch mieten. (Foto: Ulrike Leone/​Pixabay)

Am 3. Juni wurde, auch bei Klimareporter°, der Entwurf für das "Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 der Bundesregierung" veröffentlicht. Das 30-seitige, acht Milliarden Euro schwere Programm ist die Antwort der großen Koalition auf die Kritik, ihr ehrgeiziges Klimagesetz mit dem Klimaneutralitätsziel 2045 sei nur ein Papiertiger, weil es keine konkreten Maßnahmen enthalte.

Eine der nicht ganz neuen Ideen im Sofortprogramm ist eine bundesweite Solarpflicht ab 2022, genauer eine "Photovoltaik- beziehungsweise Solarthermie-Installationspflicht für alle Neubauten und bei größeren Dachsanierungen", wie im Punkt "Neubaustandards" des Papiers zu lesen ist.

In Baden-Württemberg gilt bereits eine Photovoltaik-Pflicht für Neubauten ab 2022, Hamburg, Schleswig-Holstein, Bayern und Berlin verfolgen ähnliche Pläne. Früher oder später könnte das den nötigen "solaren Rollout" auf deutschen Dächern wenigstens anstoßen.

Auch die Bild durchforstete Anfang Juni das Sofortprogramm und entdeckte die Pflicht zum Solardach als Aufreger für sich. "Wohnhammer!" titelte das Boulevardblatt angesichts vermuteter Kosten. Andere Medien zitierten aus der Bild-Veröffentlichung dann Kai Warnecke, den Chef des Eigentümerverbands Haus & Grund.

Für Warnecke ist die Solardachpflicht ein "unkoordinierter Schnellschuss, der Bauen und Wohnen dramatisch verteuert". Außerdem sei es "lächerlich, eine Solardach-Pflicht einzuführen, ohne endlich den Verkauf des produzierten Stromes an die Bewohner des Hauses zu erlauben".

Wer sich nicht unbedingt zum Sprachrohr der Immobilienlobby machen wollte, konnte auch den Bundesverband der Verbraucherzentralen VZBV zur Solardachpflicht zitieren. Diese sei angesichts der angespannten Auftragslage bei den Handwerksbetrieben gegenwärtig gar nicht erfüllbar, warnte VZBV-Chef Klaus Müller gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, wie unter anderem die Welt meldete.

Vor einer Solarpflicht für private Häuser müssten zudem die Vorschriften für Speicher, Eigenstrom und den Mieterstrom in kleinen Mehrfamilienhäusern verbessert werden, forderte Müller.

Angesichts der Kritik fragt sich natürlich, was die jüngste Werbeoffensive der Solarindustrie wert ist. Wie warme Semmeln werden derzeit neue Dachanlagen angeboten, die sich quasi über die EEG-Förderung und den möglichen Selbstverbrauch nach wenigen Jahren bezahlt machen und auch noch den Wert der Immobilie steigern. Und wer nicht gleich die fünfstellige Summe für ein Solardach zur Hand hat, kann die Anlage auch mieten.

Aber wie beim Streit um die Aufteilung der Heizkosten, die durch den neuen CO2-Preisaufschlag entstehen, setzen sich auch bei der Solardachpflicht jetzt offenbar die Gegner durch. Jedenfalls meldete Bild am Wochenende Vollzug, wie diesmal etwa die Wirtschaftswoche wiedergibt: Die Bundesregierung plane nun doch keine Pflicht für Solardächer bei Neubauten.

Die Quelle dafür sind sogenannte "Regierungskreise". Da kann es auch noch anders kommen. Die Bundesumweltministerin will die Solarpflicht noch nicht beerdigen. Eine Solarpflicht sei sehr sinnvoll, sagte Svenja Schulze (SPD) gestern im Deutschlandfunk. "Da, wo es möglich ist, kommen diese Anlagen aufs Dach." Wenn Deutschland 2045 treibhausgasneutral sein wolle, müssten alle diese Flächen ohnehin genutzt werden.

Am Mittwoch soll das "Sofortprogramm" endgültig vom Kabinett beschlossen werden. Am Donnerstag steht das neue Klimaschutzgesetz im Bundestag auf der Tagesordnung, gleich zusammen mit den Regelungen zu den Wasserstoffnetzen und der Carbon-Leakage-Verordnung.

Reicht das Klimagesetz hinten und vorne nicht?

Heute ab 14 Uhr befasst sich der Umweltausschuss des Bundestages in einer Anhörung noch mit dem neuen Klimagesetz.

Die Stellungnahmen der Sachverständigen und Verbände bekräftigen den Eindruck, den schon andere über die Folgen des Gesetzes haben: Die Reduktion des CO2-Budgets der Energiewirtschaft auf 108 Millionen Tonnen bis 2030 bedeutet, dass für Kohle "rein rechnerisch kein Platz mehr im Strommix" ist – so schreibt es etwa der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) in seiner Stellungnahme. Selbst für modernste Gaskraftwerke bestehe "kaum noch Raum", beklagt der Spitzenverband.

Anderen reichen die vergleichsweise strengen Vorgaben des neuen Klimagesetzes noch nicht aus. 2023 spare das neue Klimagesetz gegenüber dem Vorläufergesetz gerade mal eine Million Tonnen CO2 ein, 2025 seien es neun Millionen Tonnen, kritisiert die Anwältin Roda Verheyen in ihrer Stellungnahme.

Bis Mitte der 2020er Jahre halte die Bundesregierung damit an einem hohen Emissionsniveau fest. Damit verändere sich das vor 2030 in Anspruch genommene CO2-Budget nur unwesentlich, so Verheyen. Selbst mit dem neuen Gesetz würden immer noch 91 Prozent des CO2-Budgets benötigt, das Deutschland bis 2030 zur Verfügung steht. Das sind entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 6,7 Milliarden Tonnen.

Auch für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wird das deutsche CO2-Budget überzogen. Das neue Klimagesetz gehe davon aus, dass die Bundesrepublik noch deutlich über acht Milliarden Tonnen zur Verfügung stünden, erklärt die DUH in ihrer Stellungnahme.

Um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, verfügt Deutschland aber nach Ansicht der Umweltorganisation nur noch über ein CO2-Budget von 3,46 Milliarden Tonnen. Auch die DUH bezieht sich dabei auf den Berechnungsansatz des Umwelt-Sachverständigenrats der Bundesregierung, legt aber das 1,5-Grad-Limit als Maßstab an. Das Verfassungsgericht war von 1,75 Grad ausgegangen.

Auch das im Klimagesetz für 2045 geplante Gegenrechnen der Emissionsminderung durch natürliche Senken lehnt die DUH ab. Entsprechend fordert sie, die Klimaziele nachzubessern. 2030 müsse eine CO2-Reduktion um mindestens 70 Prozent gegenüber 1990 erreicht werden – statt der 65 Prozent, wie im Gesetz vorgesehen. Treibhausgasneutralität muss für die Umweltschützer spätestens 2040 erreicht sein.

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