Luftaufnahme des Geothermiekraftwerks Hellisheiði auf Island.
Pilotanlage von Climeworks für "Direct Air Capture" in Island. (Foto: Árni Sæberg/​Helena Group Foundation/​Wikimedia Commons)

Die Zeit, um die Erderwärmung aufzuhalten und bestenfalls umzukehren, wird knapp. Das gilt bisher für klassische Klimamaßnahmen wie erneuerbare Energien, den Umstieg auf "grüne" Kraftstoffe oder Null-Energie-Bauten.

Zum Klimaschutz-Kanon gehört deshalb inzwischen auch: Ohne sogenannte negative Emissionen wird das Pariser 1,5-Grad-Ziel kaum oder gar nicht zu schaffen sein.

Zu den besonders vielversprechenden Klima-Techniken gehört dabei, das Treibhausgas Kohlendioxid direkt aus der Luft zu filtern und es dann tief unterirdisch zu lagern, zum Beispiel in alten Gaslagern, oder langfristig chemisch zu binden. Diese Techniken laufen unter der Bezeichnung Direct Air Capture (DAC).

Forscher der Universität von Kalifornien um Ryan Hanna von der Deep Decarbonization Initiative fragten sich, in welchem Umfang DAC-Technologien in den nächsten Jahrzehnten mit welchem Aufwand einsetzbar sind – und vor allem, wie viel Treibhausgase damit aus der Luft geholt werden können.

In ihrer in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Studie greift das kalifornische Team auf zwei Verfahren zurück, die das CO2 in festen Materialien speichern – wie es die Schweizer Firma Climeworks tut – oder in flüssigen Lösungen – wie bei der kanadischen Firma Carbon Engineering.

Weitere Annahme der Forscher: Eine Gruppe von Staaten – der G20 ähnlich – entschließt sich aufgrund der fortschreitenden Klimakrise, eine Art globales Crash-Programm zum Aufbau einer riesigen DAC-Industrie aufzulegen.

Die dafür mobilisierbaren finanziellen Ressourcen veranschlagen die Studienautoren auf 1,2 bis 1,9 Prozent der globalen Wertschöpfung, das wären derzeit umgerechnet 800 Milliarden bis 1,3 Billionen Euro. Keine unmögliche Summe angesichts dessen, dass die EU zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise in den nächsten sechs Jahren bis zu 1,8 Billionen Euro aufbringen will.

Weiter-so mit grüner Technik

Die DAC-Technik hat aus Sicht der kalifornischen Wissenschaftler einige Vorteile. Weil sie vergleichsweise "smart" daherkommt, ist ein modularer, sukzessiver Hochlauf möglich. Dabei seien die Finanzen ebenso gut kontrollierbar wie die Menge des aus der Luft geholten Kohlendioxids.

Zwar sei DAC sehr energieintensiv, so die Forscher, doch stünden einem Ausbau im Prinzip keine Grenzen entgegen – im Unterschied zu anderen CO2-Einfangtechniken wie BECCS, der CO2-Abscheidung aus der Verbrennung von Biomasse, vor allem schnell wachsenden Baumplantagen.

Als technische Lösung verlange DAC zudem "keine einschneidenden politischen Eingriffe", betont die Studie. Anders gesagt: Der Einsatz von DAC verspricht ein Weiter-so mit "grüner" Technik.

Obwohl damit fast alle Zutaten für das rasche Hochfahren einer weltweiten DAC-Industrie gegeben sind – die Studie rechnet mit einem jährlichen Plus von mehr als 20 Prozent – kommen die Forscher zu einem ziemlich ernüchternden Ergebnis: Selbst das beschriebene DAC-Notfallprogramm könnte im Jahr 2050 nur etwa 2,2 bis 2,3 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre holen. Das sind rund sechs Prozent der heutigen globalen CO2-Emissionen.

2050 wollen allerdings wichtige Weltregionen wie die EU schon klimaneutral sein. Das kommende Jahrzehnt bräuchte DAC aber, um relevante Größenordnungen zu erreichen: Offenbar ist auch die Zeit, um das Klima mit technischen Lösungen für negative Emissionen entscheidend zu stabilisieren, mittlerweile recht kurz geworden.

Zwar könnte DAC den Zeitraum bis zu netto null CO2-Emissionen laut der kalifornischen Studie verkürzen. Bleibt es sonst aber bei der aktuellen Emissionsentwicklung, werde die Erderwärmung im Jahr 2100 immer noch bei 2,4 bis 2,5 Grad Celsius liegen, schreiben die Forscher. Deswegen sei der Einsatz von DAC, selbst im Extremszenario des technisch Machbaren, "kein Ersatz für herkömmliche Klimaschutzmaßnahmen".

Unternehmen legt eigene Studie vor

Eine der in der Studie erwähnten Firmen, Climeworks, gab bisher trotz Anfrage keine Bewertung der kalifornischen Studie ab. Fast gleichzeitig stellte die Schweizer Firma der RWTH Aachen die Daten für eine Studie über die CO2-Effizienz ihrer beiden laufenden DAC-Anlagen zur Verfügung, installiert auf dem Dach einer Müllverbrennungsanlage in schweizerischen Hinwil sowie bei einem Geothermiekraftwerk im isländischen Hellisheiði.

Die in Nature Energy veröffentlichte, aber nicht frei zugängliche RWTH-Studie bescheinigt den Anlagen über ihren ganzen Lebenszyklus – Bau, Betrieb und Recycling – eine CO2-Effizienz von rund 85 beziehungsweise 93 Prozent. Das heißt: Von der gesamten per DAC abgeschiedenen CO2-Menge geht ungefähr ein Zehntel durch den Anlagenbetrieb selbst wieder verloren.

Wie groß der Anteil genau ist, hängt vor allem davon ab, was für Energie zum Betrieb des aufwendigen Prozesses genutzt wird. Je mehr davon aus erneuerbaren Quellen stammt, desto höher ist die CO2-Effizienz.

Direct-Air-Capture-Anlage der Firma Climeworks mit den beiden Geschäftsführern.
Die Climeworks-Chefs Jan Wurzbacher (rechts) und Christoph Gebald vor ihrer CO2-Filteranlage im schweizerischen Hinwil. (Foto: Julia Dunlop/​Climeworks)

Die kalifornischen Forscher sehen übrigens kein Problem darin, DAC massiv auszubauen, selbst wenn dafür nicht genügend Ökostrom zu Verfügung steht und zum Beispiel auf Erdgaskraftwerke zurückgegriffen werden muss. Denn nur ein schneller Ausbau gewährleiste, dass die Technik durch ihren massenhaften Einsatz billiger wird, sodass mit den verfügbaren Mitteln genügend Anlagen gebaut werden können.

Climeworks selbst hält es mit Blick auf die verfügbaren Ressourcen für möglich, ein Prozent der weltweiten jährlichen CO2-Emissionen mit seiner DAC-Technik abzuscheiden.

Ob diese Technik eine wichtige Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels spielen kann, wie Climeworks anlässlich der eigenen Studie behauptet, sei dahingestellt. Die wichtigere Frage ist: Lohnt es sich, für wenige Prozent CO2-Einsparung Billionen Euro für eine Technik auszugeben – oder gibt es andere, bessere Wege?

Ergänzung am 3. April: Die Firma Climeworks weist darauf hin, dass sie für die erwähnte Studie der RWTH nur die Daten zur Verfügung stellte und die Autoren nicht beauftragte. Der Text ist entsprechend geändert.

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