Bei einer Autoausstellung stehen Besucher um einen großen SUV herum, während ein kleines E-Auto trotz angepriesener großzügiger Förderung unbeachtet in der Ecke steht.
Nichts Neues im Autoland? (Karikatur: Gerhard Mester; Copyright: SFV/​Mester)

Benziner oder Diesel mit Drei-Liter-Verbrauch? Fehlanzeige in den Autohäusern. Dafür boomen Riesen-Schlitten, die drei- bis fünfmal so viel benötigen.

Millionen unsanierte Altbauten schlucken Öl, dass der Heizkessel glüht. Flüge nach Malle sind billiger als eine Reise an die Nordsee. Deutschland vor Beginn der Klimapolitik in den 1990er Jahren?

Nein, Deutschland anno 2021. Knapp ein Vierteljahrhundert, bevor Europas größte Wirtschaftsnation im Jahr 2045 klimaneutral sein soll. Ziel: die Netto-Null beim Treibhausgas-Ausstoß. 

Die Zeit wird knapp. Deutschland hat in den gut 30 Jahren rund 40 Prozent CO2 eingespart, vor allem bei Kraftwerken und Industrie – und dabei die "Wallfall-Profits" durch das Abwracken der schmutzigen DDR-Industrie mitgenommen. Es liegt auf der Hand: Die restlichen 60 Prozent CO2 in kürzerer Zeit zu schaffen wird viel schwieriger.

Und jeder weiß, die Atmosphäre kann nicht mehr länger als kostenlose Deponie für Treibhausgase missbraucht werden. CO2 auszustoßen kostet Geld. Heute schon, und in Zukunft noch deutlich mehr.

"Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen." Dieser Satz, in den 1980er Jahren geprägt von renommierten Umweltforscher Ernst Ulrich von Weizsäcker, leuchtet sofort ein. Zumindest in der Theorie wird fast jeder zustimmen.

Denn: In einer preisgesteuerten Marktwirtschaft wird Energie verschwendet, wenn sie zu billig angeboten wird, und die Möglichkeiten, sie effizienter, sparsamer zu nutzen oder von fossilen auf erneuerbare Energien umzusteigen, werden nicht genutzt.

Alte Reflexe beim Benzinpreis

Doch geht es um den Benzinpreis, hört der Spaß auf. Als Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vorige Woche einen Aufschlag um zehn Cent pro Liter Sprit bis 2023 forderte, witterte die politische Konkurrenz ihre Chance. Nämlich, die Ökopartei und ihre fast schon als Kanzlerin gehandelte Chefin ins Abseits zu stellen.

"Wer jetzt einfach immer weiter der an der Spritpreis-Schraube dreht, der zeigt, wie egal ihm die Nöte der Bürgerinnen und Bürger sind", ätzte SPD-Vizekanzler Scholz. Bundesverkehrsminister Scheuer (CSU) befand: "Es geht nicht, dass die Preise immer weiter nach oben gehen."

Die Linke haute in dieselbe Kerbe: "Klimapolitik vor allem über Preiserhöhungen zu betreiben, spaltet die Gesellschaft und nützt dem Klima wenig, weil die Besserverdienenden, die zu einem höheren CO2-Ausstoß beitragen, die höheren Preise problemlos zahlen können." Und die FDP forderte gleich eine "Benzinpreisbremse".

Fakt ist: Die schwarz-rote Bundesregierung hat eine CO2-Bepreisung für Verkehr und Heizwärme bereits selbst eingeführt. Der Klimaaufschlag von 25 Euro pro Tonne, der seit Januar erhoben wird, verteuert Benzin pro Liter um sechs Cent sowie Diesel und Heizöl um sieben Cent, Erdgas kostet pro Kilowattstunde 0,5 Cent mehr. Beschlossen ist ein Steigerungspfad mit jährlicher Erhöhung bis auf 55 Euro 2025.

Die Grünen wollen diesen Pfad nun anheben. Ein ähnlicher Wert, 60 Euro pro Tonne, soll bereits 2023 erreicht sein. Das bedeutet beim Sprit eben rund zehn Cent mehr pro Liter.

Grüne wollen Einnahmen pro Kopf zurückgeben

Die bereits auf Wahlkampf-Modus gepolten Kritiker blenden ein Thema bewusst aus: Das CO2-Preis-Konzept der Grünen, aber auch andere Vorschläge dazu, von Thinktanks und Instituten, sehen eine komplette Rückgabe der Einnahmen an die Bürger vor. Die Klima-Aufschläge bei Sprit, Heizöl und Erdgas – bei 60 Euro pro Tonne rund 13 Milliarden Euro – sollen keine zusätzliche Einnahmequelle für die Staatskasse sein.

Die Ökopartei sieht nach dem bisherigen Konzept, das am Freitag auf ihrem Parteitag noch debattiert werden soll, ein "Energiegeld" von 75 Euro vor, das jährlich pro Kopf an die Bundesbürger erstattet wird. Zudem soll die EEG-Umlage beim Strom gesenkt werden, und es soll "großzügige Hilfen" etwa für Pendler geben, die sich ein Elektro-Auto kaufen wollen.

Hinzu kommt, dass Fernpendler ohnehin bereits seit Januar eine höhere Pendlerpauschale erhalten. "Alle Einnahmen aus dem CO2-Preis fließen direkt an die Menschen zurück. In der Summe belastet er also gar nicht", so die Grünen.

Um das zu illustrieren, machen sie eine konkrete Rechnung für eine vierköpfige Beispielfamilie auf, die auf dem Land wohnt, ihr Einfamilienhaus mit Öl heizt und einen alten Benziner fährt. Der Mann arbeitet am Ort, die Frau ist Krankenschwester und pendelt in die Stadt.

Die Familie wird durch den CO2-Preis um 530 Euro belastet, allerdings durch viermal Energiegeld, niedrigere Stromkosten und höhere Pendlerpauschale um 420 Euro entlastet. Insgesamt bleiben also höhere Kosten von zirka 110 Euro im Jahr.

Hinzu kommt nach dem Grünen-Modell ein "Klimagerechtigkeits-Fonds", aus dem Öko-Maßnahmen bezuschusst werden. "Daraus könnte diese Familie einen Austausch ihrer Ölheizung durch eine Wärmepumpe finanzieren. Kosten rund 20.000 Euro, Zuschuss 12.000 Euro statt bisher 9.000 Euro, der Rest als zinsloser Kredit, der sich durch die eingesparten Heizkosten finanziert. Oder sie könnte ein E-Fahrzeug (neu oder gebraucht) anschaffen (Kaufförderung 9.000 Euro statt bisher 6.000 Euro), auch hier Rest als zinsloser Kredit, finanziert durch eingesparte Kosten."

Fazit der Ökopartei: Setzt die Familie dies um, sinken die Kosten, und die Familie wird sogar entlastet.

Spitzenverdiener zahlen geringfügig mehr

Der Berliner Klima-Thinktank MCC hat die Wirkung von CO2-Bepreisung und Rückerstattung für vier Prototyp-Haushalte bei 60 Euro pro Tonne CO2 berechnet, allerdings mit einer kompletten Direkt-Rückerstattung von 162 Euro pro Kopf. Es zeigte sich: Die meisten stehen am Ende finanziell besser da.

Die arme Rentnerin, die am Stadtrand wohnt, macht 60 Euro plus im Jahr, die Normalverdiener-Familie mit zwei Kindern auf dem Land zwölf Euro, dieselbe Familie in der Stadt wegen niedrigerer Fahrkosten sogar 236.

Allerdings gibt es auch Haushalte, die draufzahlen. Zumeist sind das die Besserverdiener, die mehrere und große Autos fahren sowie große Wohnungen oder Häuser bewohnen – und beheizen.

Beispiel: Das Spitzenverdiener-Ehepaar ohne Kinder in der Stadt gibt unter dem Strich 153 Euro im Jahr mehr aus. Die relativ geringe Umschichtung zeigt allerdings auch: Sozialpolitik lässt sich mit dem CO2-Preis nicht bewerkstelligen.

In einem anderen Konzept der Rückgabe der CO2-Einnahmen an die Bürger werden die Milliarden genutzt, um die EEG-Umlage möglichst schnell auf null zu bringen und so die Stromkosten deutlich – um etwa ein Fünftel – zu senken. Die "Stiftung Klimaneutralität", geleitet vom früheren Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Rainer Baake, plädiert dafür.

Vorteil laut Baake: "Dies schafft nicht nur klare Anreize für die Elektrifizierung der Sektoren Gebäude und Verkehr" – also für Wärmepumpen und E-Auto-Nutzung. Es führe auch dazu, dass die Politik nicht mit knappen Steuermitteln gegen verzerrte Marktkräfte "anfördern" müsse.

Laut der Stiftung bringt dieses Modell im Schnitt eine geringe Nettobelastung der Haushalte von 0,1 Prozent des verfügbaren Einkommens. Eine soziale Schieflage gäbe es danach auch hier nicht, denn die untersten Einkommensschichten würden "relativ am stärksten entlastet".

Hinter diesen Ansatz haben sich inzwischen auch die Umwelt- und Klimapolitiker aus der SPD in einem Papier gestellt.

"Nicht gleich aus dem Staub machen"

Fachleute unterstützen die Linie von Baerbock und Co. Die Energieprofessorin und Regierungsberaterin Claudia Kemfert vom DIW nannte die Kritik von Scholz und Co im Klimareporter°-Interview "sehr erstaunlich, rückwärtsgewandt und widersinnig".

Die Groko habe gerade erst höhere Klimaziele beschlossen, so Kemfert, "die ja nur mit entsprechenden Maßnahmen erreicht werden können". Eine raschere Erhöhung der CO2-Abgabe gehöre eindeutig dazu.

Ähnlich sieht es Felix Matthes vom Öko-Institut. Der Umweltökonom hält nichts davon, die Wirkung der CO2-Bepreisung gleich wieder einzuschränken. "Ich kann nur davor warnen, mit marktfremden Instrumenten wie einer Benzinpreisbremse Sinn und Zweck des CO2-Preises zu konterkarieren. Die Debatte führt in die Irre", sagte er dem Handelsblatt.

CO2-Preise

Die Klimakosten fossiler Energien betragen laut Umweltbundesamt rund 195 Euro pro Tonne CO2, die in die Atmosphäre geblasen wird. Für Kraftwerke und Industrie gilt EU-weit seit 2005 ein Emissionshandel, bei dem sich der Preis für die von ihnen benötigten CO2-Zertifikate an der Börse bildet, zuletzt betrug er etwa 50 Euro pro Tonne.

Die Bundesrepublik führte 2021 eine nationale CO2-Bepreisung auch für Verkehr und Heizen ein – Sektoren, die bisher kaum zum Klimaschutz beigetragen haben. Der Klima-Aufschlag steigt jährlich, von 25 auf 55 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2025.

Im Jahr 2026 sollen die CO2-Zertifikate, die von Energielieferanten benötigt werden, dann wie beim EU-Emissionshandel an der Börse gehandelt werden, als Preiskorridor sind 55 bis 65 Euro festgelegt.

Mit den Einnahmen, die 2021 rund acht Milliarden Euro betragen, finanziert der Bund unter anderem eine höhere Pendlerpauschale, die Absenkung der Mehrwertsteuer im Bahn-Fernverkehr und eine leichte Absenkung der EEG-Umlage.

Die Politik solle stattdessen viel stärker darauf hinweisen, dass ein steigender CO2-Preis die Spielräume für eine Entlastung an anderer Stelle vergrößert – so bei der EEG-Umlage.

Fragt sich freilich, ob "die Politik" eine sachliche Debatte zulässt. Die Grünen jedenfalls sind offenbar gewillt, die Spritpreisdebatte trotz der Attacken der anderen Parteien weiter zu führen.

Selbst ihr Ministerpräsident Winfried Kretschmann, als Chef des Daimler- und Porsche-Landes Baden-Württembergs nun wirklich nicht als Autogegner bekannt, kündigte diese Woche an, er wolle im Bundestagswahlkampf offensiv für eine Spritpreiserhöhung werden.

"Man sollte sich nicht aus dem Staub machen beim Klimaschutz, nur weil es mal Gegenwind gibt", sagte Kretschmann. Seine Partei wolle das "weiter mutig promoten".

Mutig ist es in der Tat. Denn die Grünen haben ja schon einmal böse Erfahrungen mit der Spritpreis-Debatte gemacht. Das war 1998, als sie eine schrittweise Anhebung des Benzinpreises auf fünf Mark – und die eine entsprechende Absenkung der Lohnnebenkosten – forderten.

Damals hätte sie das fast den Einzug in den Bundestag und die Chance auf Regierungsbeteiligung in Rot-Grün gekostet. Sie hoffen wohl, dass die Wahlbürger diesmal besser wissen, was die Klima-Uhr geschlagen hat.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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