Zwei Angestellte betrachten die Kurse von Zertifikaten am Computer.
An der Leipziger Strombörse notierten die sogenannten EU Allowances zuletzt bei mehr als 39 Euro. (Foto: Torsten Pross/​EEX)

Wie bei dem inzwischen berühmten Gamestop-Hype, wo die Aktie des US-Computerspielehändlers binnen Monatsfrist um 1.700 Prozent stieg, geht es am europäischen Markt für Emissionsrechte noch nicht zu. Aber ein Plus von gut 25 Prozent in zwei Wochen hat der CO2-Preis im Europäischen Emissionshandelssystem ETS erreicht.

Am 1. Februar lag der Preis für den Ausstoß einer Tonne CO2 noch bei etwa 32 Euro – Mitte des Monats überstieg er zum ersten Mal in seiner Geschichte die 40-Euro-Marke. Ein sogenanntes Allzeithoch seit dem Start des EU-Emissionshandels 2005.

Was ist da los? Schließlich wurde 2020 zum Beispiel in Deutschland bis zu einem Viertel weniger Kohle für Strom und Wärme eingesetzt. Und wer in Deutschland Stein- oder Braunkohle in Kraftwerken verbrennt, braucht dafür Emissionshandelszertifikate. Da müssten doch, sagt die Marktlogik, massenhaft Zertifikate übrig sein – und wenn von etwas plötzlich deutlich mehr vorhanden ist, sinkt in der Regel der Preis.

In den ersten Monaten des vergangenen Jahres hatte das auch geklappt. "Zunächst sanken in der Coronakrise die Zertifikatspreise. Das sah man besonders im März 2020", blickt Simon Göß vom Berliner Beratungsunternehmen Energy Brainpool zurück. In dem Monat kostete die Tonne CO2 wirklich auch nur um die 15 Euro.

Im Laufe des Jahres habe der Markt dann aber erkannt, dass vom Lockdown nicht die ganze Wirtschaft betroffen ist und es auch wirksame Impfstoffe geben wird. "Das hat die wirtschaftlichen Aussichten auf mittlere Frist in Richtung 2022 bis 2023 deutlich verbessert", erklärt Energiemarktexperte Göß.

Deutlich schärferes Klimaziel

Das aktuelle Preishoch spiegelt seiner Ansicht nach aber auch Erwartungen wider, die auf die neue, von 2021 bis 2030 reichende vierte Handelsperiode im ETS zurückgehen. Verschärfend kam dann die Absicht der EU hinzu, das Klimaziel für 2030 anzuheben – von 40 auf 55 Prozent CO2-Minderung gegenüber 1990.

In Relation gesehen sei das eine enorme Steigerung um mehr als ein Drittel, betont der Experte. Tatsächlich müssen in den kommenden zehn Jahren mit dem neuen Ziel rund eine Milliarde Tonnen Treibhausgase dauerhaft eingespart werden.

Göß erläutert: "Die Regeln im ETS sind ja noch auf die 40 Prozent ausgerichtet. Soll jetzt eine CO2-Reduktion von 55 Prozent erreicht werden, kann das nur heißen, dass beim Emissionshandel noch einmal nachgezurrt wird." Schon jetzt seien die geplanten kostenlosen Zuteilungen von Emissionsrechten vom ursprünglichen Termin im Februar auf den Sommer dieses Jahres verschoben worden. Allein das habe für einen kurzfristigen Anstieg der Preise gesorgt.

Als dann ein Niveau von 30 oder 35 Euro für die Tonne CO2 erreicht worden sei, kamen nach dem Eindruck des Energiemarktexperten spekulative Teilnehmer in den Markt. Deren Aktivitäten hätten sich Anfang dieses Jahres ein wenig "hochgeschaukelt". In den letzten Tagen seien aber wieder mehr Verkäufe zu beobachten gewesen, bei denen offenbar Gewinne mitgenommen wurden. Zurzeit liegt der Kurs bei etwa 38 Euro, im Vergleich ist das immer noch sehr viel.

"Der Preis kennt nur noch den Weg nach oben"

Auch für Thorsten Lenck vom Thinktank Agora Energiewende finden sich im jüngsten Anstieg der CO2-Preise grundsätzlich die Erwartungen der Marktteilnehmer aufgrund des höheren EU-Klimaziels für 2030 wieder. "Ohne den European Green Deal und die Entscheidung, die Ambitionen beim Klimaschutz zu verschärfen, hätten wir diesen Preisanstieg nicht gesehen", betont Lenck.

Zugleich herrsche aber aufgrund der Corona-Pandemie noch eine große Unsicherheit über die Entwicklung der CO2-Emissionen in der nahen Zukunft, meint er. Dadurch würden größere Preisausschläge auftreten.

Mit Blick auf die fundamentalen Daten werden die Preise für die Zertifikate weiter steigen, so die Erwartung von Simon Göß. Zwar stehe noch nicht fest, mit welchen Instrumenten das neue EU-Klimaziel erreicht werden soll. Der Emissionshandel sei aber immer das Mittel der Wahl gewesen.

So könnten die kostenlosen Zuteilungen strenger gehandhabt und auch mehr Zertifikate aus dem System genommen werden. "Wenn die Klimaziele wirklich so verschärft werden, ist eigentlich klar, dass der CO2-Preis nur noch einen Weg kennt – den nach oben." Das machten sich Investoren dann auch zunutze.

Die aktuell hohen Preise wirkten sich nicht sofort auf den Betrieb der Kohlekraftwerke aus, erläutert Göß weiter. Teurer für die Kraftwerke könne es dann werden, wenn Zertifikate bislang noch nicht für die Zukunft beschafft wurden, jetzt aber teurer eingekauft werden müssen. Die hohen CO2-Preise begünstigen derzeit Göß zufolge vor allem effiziente Gaskraftwerke. Diese drängten wiederum den Kohlestrom aus dem Markt.

Spekulativ befeuerte Marktunsicherheit

Diese Einschätzung untermauert auch eine kürzlich veröffentliche Analyse des Londoner Beratungshauses Icis. Die Unsicherheit auf dem europäischen CO2-Markt ist danach spekulativ befeuert worden. Investmentfonds hätten Zertifikate aufgekauft, die dadurch auf den Markt kamen, dass Erzeuger ihre Stromerzeugung von Kohle auf Gas umstellten und frei werdende Emissionsrechte verkauften.

Klarheit über die weitere Entwicklung wird es nach Ansicht der Marktbeobachter erst im Juni dieses Jahres geben. Dann legt die EU-Kommission ihre Vorschläge zur Klimagesetzgebung vor. Die Icis-Experten haben dazu nach eigenen Angaben 26 verschiedene Szenarien modelliert, um die CO2-Preise von 2021 bis 2030 vorherzusagen.

Die Modelle berücksichtigten die geplante ETS-Gesetzgebung und das neue Reduktionsziel für 2030. Bei Letzterem sei zu beachten, so die Analysten, dass sich die EU-Staaten bisher für die Emissionsreduktion um 55 Prozent aussprechen, das EU-Parlament aber für 2030 ein Einsparziel von 60 Prozent fordert, um 2050 mit höherer Wahrscheinlichkeit bei netto null Emissionen herauszukommen.

Am wahrscheinlichsten sei aber ein Kompromiss in der Nähe der 55 Prozent, meinen die Icis-Leute. Die meisten ihrer Szenarien ergäben dann für 2030 einen CO2-Preis in einem Korridor von 50 bis 60 Euro je Tonne und nur ein Szenario einen von 80 Euro.

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