Rainer Baake spricht mit europäischen Amtskolleg:innen.
Der langjährige Energie-Staatssekretär Rainer Baake leitet seit einigen Monaten den Thinktank "Stiftung Klimaneutralität". (Foto: Annika Haas/​Eesti Eesistumine/​Wikimedia Commons)

Fortsetzung von Teil 1: Versagen die "Denkfabriken" im Umbruch?

Ein grün angestrichener Kapitalismus kann keine Lösung sein. Zumal es um ein neues Modell in der gesellschaftlichen Entwicklung gehen muss. Denn auch der Wohlfahrtsstaat und damit die bisherige Konsensbildung zwischen Kapital und Arbeit bauen auf der Verteilung wirtschaftlichen Wachstums auf. Nunmehr muss aber, um zu überleben, auf die Endlichkeit und Tragfähigkeit unseres Planeten geachtet werden. Quantitatives Wachstum gerät an Grenzen.

Die Agora Energiewende stellt jedoch ausgerechnet Larry Fink, Chef des mit rund 8,7 Billionen US-Dollar weltweit größten Vermögensverwalter Blackrock, als Vorreiter für Klimaschutz heraus. Nichts ist davon zu lesen, dass das Unternehmen ein Paradebeispiel für den globalen Arbitragekapitalismus ist und Greenwashing betreibt.

Auf über drei Viertel der von Blackrock verwalteten Gelder hat die von der Agora Energiewende so gelobte neue Richtlinie überhaupt keinen Einfluss. Ende 2020 beliefen sich die Beteiligungen von Blackrock an Kohlekonzernen auf mindestens 85 Milliarden US-Dollar, doch davon könnten, wenn es überhaupt getan wird, weniger als ein Fünftel beeinflusst werden.

Wie Agora-Chef Graichen zu seiner kühnen Aussage kommt, fossile Geschäftsmodelle würden bei Blackrock "nicht mehr toleriert", ist absolut schleierhaft. Im vergangenen Jahr stimmte der Finanzgigant, der Beteiligungen an allen DAX-Unternehmen hält, auf neun von zehn Jahreshauptversammlungen gegen dort eingebrachte Klima-Resolutionen.

Auch Friedrich Merz, der von 2016 bis März 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der Blackrock Asset Management Deutschland war und sich mit Unterstützung des Wirtschaftsflügels seiner Partei um den Vorsitz der CDU bemühte, ist noch nie als Vorkämpfer für Klimaschutz aufgefallen. Im Gegenteil.

Wenn Klimaschutz "explizit nicht auf Verzicht aufbaut"

Rainer Baake will mit seiner Stiftung Klimaneutralität aufzeigen, wie Deutschland "bis 2050 klimaneutral" werden kann. Ihm als früherem Regierungsmitglied muss bekannt sein, dass der Bundestag schon 1990 einstimmig das weltweit erste Klimaschutzkonzept beschlossen hat, das damals nach zweijähriger Arbeit in enger Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen von der Enquetekommission "Schutz der Erdatmosphäre" vorgelegt wurde.

Das Konzept beruhte auf rund 150 von der Kommission in Auftrag gegebenen Studien. Wäre dem durchgerechneten Vorschlag bis 2005 gefolgt worden und dann – wie im Bericht "Schutz der Erde" vorgezeichnet – weiter bis 2020, läge der Treibhausgasausstoß heute rund 70 Prozent niedriger.

Der überwiegende Anteil der Emissionsminderung sollte in der ersten Phase in Westdeutschland auf eine Effizienzrevolution entfallen (in der DDR war der Anteil noch deutlich höher, aber es fehlten konkrete Erhebungen), deren Produktivität weit über dem wirtschaftlichen Wachstum liegen sollte, zumal die Studien ein nicht genutztes Einsparpotenzial von über 40 Prozent des Energieumsatzes ermittelt hatten.

Michael Müller

ist Bundes­vorsitzender der Natur­freunde Deutsch­lands. Der umwelt­politische SPD-Vordenker war Bundes­tags­abgeordneter und von 2005 bis 2009 Parlamentarischer Staats­sekretär im Bundes­umwelt­ministerium. Er ist Heraus­geber­rats­mitglied von Klimareporter°.

 

Vor allem dank des Engagements von Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wurde auch ein hoher Beitrag erneuerbarer Energien angestrebt. Zudem sollten rund acht bis zwölf Prozent der Minderung in den alten Bundesländern auf Suffizienz entfallen.

Deutschland wäre tatsächlich Vorreiter beim Klimaschutz geworden, zumal die Bundesregierung 1991 das Konzept in einer leicht abgeschwächten Form ("mindestens 25 Prozent Reduktion bis 2005 in den alten Bundesländern und um einen sehr viel höheren Prozentsatz in den neuen Bundesländern") übernahm und zur Umsetzung eine "Interministerielle Arbeitsgruppe CO2-Reduktion" einsetzte.

Es wäre noch mehr möglich gewesen, denn durch den Zusammenbruch von Wirtschaft und Infrastruktur der DDR gingen die CO2-Emissionen in den neuen Bundesländern um mehr als 50 Prozent zurück. Aber in den 1990er Jahren baute sich der Widerstand der Wirtschaft gegen Klimaschutz auf, der Handlungsspielraum wurde kleiner und die deutsche Einheit ließ sich nicht, wie Bundeskanzler Helmut Kohl behauptet hatte, "aus der Portokasse" finanzieren.

Aber selbst unter Rot-Grün wurde nach 1998 das Konzept nicht wirklich verfolgt. Baake war in der Zeit Amtschef im federführenden Bundesumweltministerium von Jürgen Trittin. Beide kündigten 2002 das 25-Prozent-Ziel zugunsten der deutlich niedrigeren Werte im Kyoto-Protokoll auf.

Baake war also maßgeblich daran beteiligt, das Klimaziel zu stutzen, aber er stellt sich heute hin, als hätte Deutschland beim Klimaschutz auf ihn gewartet. Mit dem Anspruch der Fachkompetenz behauptet er, dass es keine Roadmap zum Klimaschutz gibt. Er wolle nunmehr einen Pfad aufzeigen, der "explizit nicht auf Verzicht" aufbaut.

Das ist doppelt falsch. Erstens gab es einen Fahrplan, und zweitens kommt der Klimaschutz nicht an Suffizienz vorbei, zumal viel Zeit verloren wurde. Die Fragen sind vielmehr: Welche Gesellschaftsschicht soll sich in erster Linie beschränken und wer soll die Kosten tragen? Soll die Klimawende in erster Linie zulasten sozial schwächerer Schichten gehen (was sie tut, wenn nicht auch die Verteilungsfrage gestellt wird)?

Ohne Suffizienz wird das Klimaziel nur in Schreibtischmodellen erreicht, aber nicht in der Realität. Baake fällt hinter das Klimaschutzkonzept von 1990 zurück, das neben Effizienzrevolution und erneuerbaren Energien auch Einsparen und Selbstbeschränkung vorsah. Suffizienz und weniger Konsum, obwohl kulturell akzeptiert, werden in der vermeintlichen Realpolitik der Thinktanks tabuisiert. Doch ernsthafter Klimaschutz kommt nicht daran vorbei.

Wille zum grundlegenden Umbau oder nur Machtpolitik?

Bei der Agora Energiewende spielt selbst die Effizienzrevolution nur eine untergeordnete Rolle. Warum steht sie in Fußnoten und wird so defensiv und nachgeordnet behandelt? Es ist doch eine Schlüsselfrage, die großen ungenutzten Potenziale der Effizienzsteigerung gegen den Markttrend durchzusetzen.

Bei Kraftwerken, Wärme, Beleuchtung, Pumpen, Druckluft, Klima- und Kühlungsanlagen oder Haushaltsgeräten ist sehr viel möglich, ebenso zur Verdoppelung der energetischen Sanierungsraten im Gebäudebestand. Auch das Runterfahren des Materialeinsatzes gehört zu einer Strategie für den industriellen Strukturwandel dazu. Ressourceneffizienz ist ein wichtiger Beitrag, um Arbeit und Umwelt miteinander zu verbinden und innovativen Klein- und Mittelbetrieben neue Chancen zu geben.

Niemand bestreitet den Stellenwert der erneuerbaren Energien, ihr Potenzial ist höher, als vor 30 Jahren vermutet wurde. Die erste "Energiewende"-Studie von 1980 und die zweite von 1985, die vom Öko-Institut kamen und am Anfang der Debatte standen, gingen in erster Linie von "Energiedienstleistungen" aus, um Wohlstand und Wachstum jenseits von Öl, Kohle, Gas und Atom zu schaffen. Peter Hennicke und ich nannten das 1995 "Ökonomie des Vermeidens" und ein Jahr später "Mehr Wohlstand mit weniger Energie".

Die Energiewende braucht die drei Säulen Effizienzrevolution, Einsparen und erneuerbare Energien, um sowohl zur Verringerung der ökologischen Schäden als auch zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs zu kommen. Aber auch dann sind kritische Fragen zu stellen. Zum Beispiel bei der E-Mobilität: Was ist mit den Edelmetallen für die Batterien? Brauchen wir eine Metallpolitik, und wie soll die Entsorgung gelöst werden? Was ist mit dem deutlich höheren Gewicht der Fahrzeuge?

Zum ökologischen Umbau gehören die solare Perspektive, Kreislaufwirtschaft, Effizienzrevolution, Dematerialisierung und Suffizienz, um Stoffströme stark zu reduzieren. Die Ökologie muss Teil des wirtschaftlichen Reproduktionsprozesses werden, um den Material- und Energieeinsatz verträglich zu machen, zumal die Verteilung und Nutzung von Ressourcen höchst ungleich verteilt sind und sich neue Knappheiten abzeichnen.

Das Vorsorgeprinzip verlangt eine Stoffstromreduktion, um absehbare Konflikte und Engpässe zu vermeiden. Dematerialisierung und Deenergetisierung bedeuten einen Paradigmenwechsel. Die Enquetekommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" hat dafür vor fast 30 Jahren wichtige Grundlagen gelegt, aber auch hier scheint das Interesse gering zu sein.

Natürlich ist zu fragen, warum unter Rot-Grün von 1998 bis 2005 nicht mehr getan wurde, um die Widerstände zu brechen und weitergehende Maßnahmen für den Klima- und Umweltschutz durchzusetzen. Das hatte zwei Gründe.

Zum einen gab es keine engere Zusammenarbeit zwischen den Umweltpolitikern beider Parteien. Stattdessen bestand eine von den Parteispitzen gewollte politische Arbeitsteilung, bei der eine solche Kooperation von beiden Seiten als störend angesehen wurde.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrats in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Zum anderen mussten alle Öko-Gesetze – insgesamt 18 größere wie Ökosteuer, Atomausstieg, Naturschutz oder EEG – gegen den massiven Widerstand von Union und FDP durchgesetzt werden, die im Bundesrat die Mehrheit stellten.

Daraus ergibt sich freilich die Frage: Wie soll unter Schwarz-Grün ein ernsthafter ökologischer Umbau zustande kommen? Zumal es ohne mehr soziale Verteilungsgerechtigkeit – nicht nur beim Zuwachs, sondern auch im Bestand – nicht gehen wird.

Deshalb brauchen wir die soziale und ökologische Gestaltung der Transformation. Die Arbeiten von Kate Pickett und Richard Wilkinson belegen, dass soziale Gesellschaften reformfähiger sind.

Was leitet die Vorschläge der beiden Denkfabriken: Machtpolitik oder der Wille zu einer tiefgreifenden Reformpolitik?

Denkfabriken sind keine wissenschaftlichen Einrichtungen, auch wenn sie den Anschein der Wissenschaftlichkeit erwecken. Meist sind es kleinere Gruppen, die passende wissenschaftliche Arbeiten in Auftrag geben, nutzen und vermarkten.

Für den Politikwissenschaftler Dieter Plehwe sind Thinktanks "von Lobbyorganisationen nur schwer abzugrenzen". Unzureichende Transparenz und Ungleichheit in Wissen und Macht ermöglichen ihnen dennoch ein hochwirksames Handeln.

Es folgt Teil 3 und Schluss: Auch grüner Kapitalismus ist Kapitalismus

Alle Teile finden Sie hier.

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