Blick durch die Windschutzscheibe eines Pkw auf eine rote Ampel
Vollgas und rüber, obwohl schon lange Rot ist? (Bild: Martin Ripp/Flickr)

Klimareporter°: Herr Höhne, der globale Treibhausgas-Ausstoß ist 2022 auf ein Allzeithoch von 57,4 Milliarden Tonnen gestiegen. Dabei hat die Weltgemeinschaft bereits 30 Jahre zuvor auf dem UN‑Erdgipfel beschlossen, die Emissionen radikal zu begrenzen. Ist die Sache hoffnungslos – jetzt, zwei Tage vor der UN-Klimakonferenz Nummer 28?

Niklas Höhne: Hoffnungslos nicht, aber frustrierend. Vor 20 Jahren wussten wir ja bereits, was zu tun ist. Man hätte eine sanfte Landung beim 1,5-Grad-Ziel hinbekommen können, durch ein allmähliches Abbremsen der CO2-Emissionen.

Was wir jetzt tun müssen, ist eine Notbremsung. Es geht nicht mehr darum, elegant langsamer zu werden, sondern überhaupt noch vor der roten Ampel zum Stehen zu kommen. Das erfordert wirklich einschneidende Maßnahmen.

Und die sind noch drin?

Wie gesagt, die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben. Es gibt Sektoren, die sind auf dem 1,5-Grad-Pfad. Die Solarenergie zum Beispiel. Sie ist so billig geworden und entwickelt sich so schnell, wie man lange nicht zu hoffen wagte.

Auch die Umstellung auf E-Mobilität läuft in diesem Tempo. Das heißt für mich: Es geht.

Aber derzeit steuert die Welt auf knapp drei Grad Erwärmung zu, wie gerade das UN-Umweltprogramm bekannt gegeben hat. Das wäre fast doppelt so viel, wie im Paris-Abkommen angestrebt wird. Ist das der Weg in die Katastrophe?

Drei Grad wären in der Tat katastrophal. Das wäre eine so rasante Veränderung, an die wir uns als Gesellschaft nicht anpassen können. Man sieht jetzt schon, bei 1,2 Grad, wie sich die Extremereignisse verschärfen, Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen.

Das einzige, was wir tun können, ist den Notfall ausrufen. Wir müssen jetzt gegensteuern – und das Unmögliche möglich machen: Parteipolitik weltweit beiseitelegen und gemeinsam drastische Änderungen beschließen.

In Deutschland hieße das zum Beispiel, ein Tempolimit einführen, ein vernünftiges Heizungsgesetz beschließen, die umweltschädlichen Subventionen von 65 Milliarden Euro jährlich streichen, den CO2-Preis erhöhen, ein Klimageld auszahlen und dann ein Klimaschutz-Sondervermögen einrichten, so wie es die Ampel bei der Bundeswehr gemacht hat.

Um die Erwärmung längerfristig bei 1,5 Grad zu stabilisieren, müssten die globalen Emissionen bis 2030 um 42 Prozent zurückgehen. Wie soll das zu schaffen sein?

Das muss man genauer aufdröseln. Bei drei Grad landen wir, wenn die Länder der Erde weiterhin nur die Maßnahmen umsetzen, die bereits beschlossen sind. Rechnet man die CO2-Ziele für 2030 ein, die sie angekündigt haben, werden es 2,5 Grad sein.

Und glaubt man den Versprechen, bis 2050 respektive im Falle Chinas 2060 klimaneutral werden zu wollen, bleiben wir schon knapp unter zwei Grad. Das wären schon große Fortschritte.

Bei der Verabschiedung des Pariser Weltklimavertrages 2015 gab es solche Ziele noch nicht. Damals steuerte die Welt auf 3,5-bis-vier-Grad-Kurs. Wir sind deutlich besser geworden.

Aber mal im Ernst, eine Fast-Halbierung des CO2-Ausstoßes bis 2030 – halten Sie das für realistisch?

Das ist genau der Knackpunkt. Es ist schon schwierig genug, ambitionierte Ziele für 2050 aufzustellen, aber bei 2030 wird es wirklich eng.

Da tun sich die Regierungen schwer. Das sieht man schon daran, dass in den letzten drei Jahren keine neuen Ansagen für 2030 gemacht wurden, obwohl alle Länder dazu aufgerufen waren. So kann es nicht weitergehen.

Es müsste jedes Jahr eine Emissionsminderung wie im Corona-Jahr 2021 erreicht werden, damals waren es sieben Prozent.

Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln.
Foto: New Climate Institute

Niklas Höhne

ist Klima­forscher, Mit­begründer des New Climate Institute in Köln und Professor an der Universität Wageningen in den Nieder­landen. Er verfolgt die UN-Klima­ver­handlungen seit dem ersten Klima­gipfel 1995 in Berlin.

Corona ist kein schlechtes Beispiel. Natürlich will niemand eine neue Pandemie, aber die damalige Reaktion darauf war interessant. Es wurde der Notfallmodus eingeschaltet.

Wir fühlten uns akut bedroht und konnten Dinge tun, die vorher außerhalb der Vorstellung lagen. Man arbeitete von heute auf morgen zu Hause, verzichtete auf Fernreisen, und die Regierungen mobilisierten riesige Mengen an Geld, um die Corona-Folgen abzumildern.

Weltweit wurden so viele Finanzmittel aufgebracht, dass es gereicht hätte, um die Klimawende für das 1,5-Grad-Ziel zehn Jahre lang zu finanzieren. Genau das ist es, was wir jetzt brauchen. So etwas ist möglich, wenn wir uns als Gesellschaft bedroht fühlen. Aus einem unerfindlichen Grund tun wir das beim Klima noch nicht.

Einige Fachleute erwarten, dass Chinas CO2-Ausstoß bereits ab dem nächsten Jahr sinken könnte. Wäre das der Gamechanger? China ist ja unter den Staaten mit Abstand Nummer eins bei den absoluten Emissionen.

China ist derzeit am Scheideweg. Die erneuerbaren Energien werden dort extrem schnell ausgebaut, aber derzeit wird dieser Fortschritt von dem steigenden Energiehunger noch aufgefressen. Die Frage ist, welche Entwicklung gewinnt.

Viele Analysten, wir auch, sagen: In den nächsten ein, zwei Jahren wird die Sache kippen, und die Erneuerbaren werden die Kohlekraftwerke aus dem Markt drängen. Wenn China, wie praktisch alle Fachleute erwarten, in den 2030er Jahren deutlich niedrigere Emissionen verzeichnet, zeitigt das starke positive Folgen für die globale Temperaturentwicklung.

Sind die jährlichen UN-Klimagipfel mit fast 200 Staaten überhaupt das richtige Format, um die Klimawende wirklich einzuleiten? Man blockiert sich dort eher, als dass es vorangeht ...

Die Gipfel sind weiterhin ein wichtiges Forum, aber nur eines von vielen. Der Klimawandel ist ein globales Problem, und alle Staaten müssen die Chance haben, sich dazu zu treffen.

Aber ich stimme Ihnen zu, dass es dabei viel zu langsam vorangeht. Daher muss man zusätzlich zu diesen Treffen andere Formate finden. Es müssen sich Gruppen von Ländern oder Unternehmen zusammenfinden, die einzelne Sektoren voranbringen.

Die Europäer haben die erneuerbaren Energien in den Markt eingeführt, bei der E-Mobilität waren es Unternehmen wie Tesla, außerdem Norwegen mit starker Förderung, nun ist es China. Ähnliches könnte man bei CO2-freiem Stahl oder klimafreundlichem Zement machen.

Nun findet der Gipfel ja in einem Erdöl- und Erdgas-Land statt, und der Präsident der Konferenz, Scheich Al Jaber, ist Chef eines fossilen Konzerns. Ist das nicht Absurdistan?

Kann man so und so sehen. Einerseits: Wenn Al Jaber seinen Job bei der Klimakonferenz gut macht, zerstört er die Grundlage seines Konzerns. Schließlich muss die Welt schnellstmöglich aus den fossilen Energien aussteigen, und zwar ohne Hintertür.

Andererseits: Wenn jemand die Erdöl- und Erdgas-Konzerne zum Umbau bringen kann, dann wohl jemand, der einen Draht dort hinein hat.

 

Und wie sehen Sie es?

Das wird sich zeigen. Ich befürchte, dass die fossile Industrie in Dubai sehr präsent sein und ein Ablenkungsmanöver nach dem anderen fahren wird.

Dazu zähle ich die Idee, die CO2-Abscheidung und -Speicherung zu nutzen, um weiter Öl, Gas und Kohle verwenden zu können. Oder das Sprechen von CO2-freier Öl- und Gasproduktion, wobei ausgeblendet wird, dass das CO2 hauptsächlich bei der Nutzung der Energien entsteht.

Kontraproduktiv wäre es auch, den Schwerpunkt des Gipfels auf Landwirtschaft und Gesundheit zu legen, um vom Hauptproblem Kohle, Öl und Gas abzulenken.

Aber genau das steht doch alles auf der Agenda, die Al Jaber veröffentlicht hat.

Ja. Deswegen muss man so genau aufpassen. Der Erfolg des Gipfels entscheidet sich daran, ob der schnelle Ausstieg aus den fossilen Energien beschlossen wird, und zwar ohne Wenn und Aber.

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