Politiker hielten Sonntagsreden, Wissenschaftler veröffentlichten immer dramatischere Erkenntnisse über die Klimakrise. Medien und Öffentlichkeit hatten sich so an die bevorstehende Katastrophe gewöhnt, dass diese Ungeheuerlichkeit kaum noch jemandem auffiel.
Dabei war allen klar, dass die Ziele des Paris-Abkommens verfehlt werden, die Erwärmung "deutlich unter zwei Grad" und wenn möglich bei 1,5 Grad zu stoppen.
Das war die Lage vor einem Jahr. Um noch eine Chance zu haben, die Ziele zu erreichen, brauchte es einen Ruck, der durch die ganze Gesellschaft geht, und das in möglichst vielen Ländern der Welt. Diesen Ruck brachte das Virus.
Viele Menschen erleben zum ersten Mal, was "Krise" wirklich bedeutet: Es ist eine Situation, die so schwerwiegend ist, dass drastische Maßnahmen gerechtfertigt sind. Vor Ausbruch der Pandemie waren Lockdowns, Maskenpflicht oder der Einsatz der Bundeswehr in Gesundheitsämtern unvorstellbar.
Doch plötzlich war für eine überwältigende Mehrheit der Menschen klar, dass das jetzt erforderlich ist. Gleichzeitig haben nicht zuletzt die Jugendlichen von Fridays for Future dafür gesorgt, dass den Menschen die Ähnlichkeit zwischen der Corona- und der Klimakrise bewusst wird.
Die Parallele ist auch kaum zu übersehen: Der Mensch treibt die Natur immer mehr in die Enge, und dann passiert etwas Unerwartetes – ein Virus überschreitet hier die Artengrenze oder es kommt dort zu einer Hitzewelle in der Arktis.
Bereitschaft zu drastischen Maßnahmen
Dass beim Klima plötzlich die Bereitschaft zu drastischen Maßnahmen besteht, zeigt sich derzeit täglich. Hier hat vor allem das EU-Ziel, die Emissionen bis 2050 auf null zu senken, zusammen mit der Krisenerfahrung eine enorme Dynamik ausgelöst. China, Japan und Südkorea haben sich kurz nach der EU ebenfalls Nullemissionsziele gesetzt.
In der Wirtschaft reden plötzlich alle von grünem Stahl und grünem Zement und beim Verbot für Verbrennungsmotoren geht es nicht mehr um das "Ob", sondern nur noch um das "Wann". Und auch an den Finanzmärkten vergeht kein Tag, an dem nicht eine Bank oder Versicherung ankündigt, ihr gesamtes Kundenportfolio bis 2050 klimaneutral zu machen.
Für Firmen, die noch Geschäfte mit Kohle machen, ist es schon heute schwierig und teuer, Kredite zu bekommen oder Versicherungen abzuschließen. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass mittlerweile alle großen europäischen Öl- und Gaskonzerne spätestens 2050 klimaneutral wirtschaften wollen.
Die Coronakrise hat zudem Entwicklungen beschleunigt, die sich vorher schon abgezeichnet haben. So wird es nie mehr so viele Geschäftsreisen geben wie im Jahr 2019. Jeder kennt jetzt Zoom. Auch der Anteil der Arbeit im Homeoffice wird nie wieder so niedrig sein wie letztes Jahr. Alle haben gemerkt, dass die Arbeit von zu Hause in vielen Berufen problemlos möglich ist.
Gleichzeitig haben Elektroautos nun zum Siegeszug angesetzt – auch dank der Stimulusprogramme in vielen Ländern.
Krise ist Krise
Damit wird es immer wahrscheinlicher, dass das Jahr 2019 den Höhepunkt der globalen Ölnachfrage markiert. Kombiniert mit den rapide fallenden Kosten für Grünstrom und für dessen Speicherung in Batterien rückt damit der Höhepunkt der globalen CO2-Emissionen in Sicht.
Und dann wird das Erforderliche wieder möglich: die Halbierung der globalen Emissionen bis 2030.
Es scheint als habe die Menschheit "dank" Corona plötzlich ein Zitat des britischen Kriegspremiers Winston Churchill verinnerlicht: "Manchmal reicht es nicht, sein Bestes zu geben, manchmal muss man tun, was erforderlich ist."
Und wenn das drastische Maßnahmen beinhaltet, dann ist das halt so, schließlich handelt es sich um eine Krise.