Vor leicht bewölktem Sommerhimmel eine blau-gelbe Achterbahn mit dem Schriftzug: Turbo.
Der Klimagipfel in Dubai hat den Energiewende-Turbo beschworen, aber nicht genug dafür getan. (Bild: Oliver Hale/​Unsplash)

Klimareporter°: Herr Latif, die globale Erwärmung hat während des UN-Klimagipfels in Dubai tageweise bereits über zwei Grad gelegen. Haben die Verhandler das dort mitgekriegt?

Mojib Latif: Die Dringlichkeit scheint nicht verstanden worden zu sein. Viele Länder glauben, noch zögern zu können. Dabei werden alle Länder in den kommenden Jahren die direkten oder indirekten Folgen der globalen Erwärmung zu spüren bekommen.

Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Wir drehen uns im Kreis. Es gibt immer noch keinen konkreten Fahrplan für den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Nur mit Appellen oder dem kleinsten gemeinsamen Nenner kommen wir beim globalen Klimaschutz nicht voran.

Der Gipfel hat die Staaten der Welt immerhin aufgefordert auf, den Übergang weg von fossilen Energieträgern in den Energiesystemen anzugehen und dies schon in diesem "entscheidenden Jahrzehnt" zu beschleunigen ...

 

Was bedeutet denn zum Beispiel beschleunigen? Wenn man praktisch aus dem Stillstand kommt, sind schon ganz kleine Schritte eine große Beschleunigung. Der von vielen Staaten geforderte und aus wissenschaftlicher Sicht gebotene klare Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas ist im Abschlussdokument nicht enthalten.

Als Technologien, um die fossilen Energien herunterzufahren, werden auch Atomkraft und das unterirdische Endlagern von CO2, also CCS, genannt. Wie realistisch ist das?

Es ist eine Illusion, dass man mit Atomkraft und CCS das Klimaproblem wird lösen können. Dabei handelt es sich um Wetten auf die Zukunft. Atomkraft wird den Energiebedarf der Welt nicht decken können. Und eine Lösung für den Atommüll haben wir bis heute nicht. Ich finde, das ist wenig nachhaltig.

Bei CCS weiß niemand, ob die Technologie jemals im großen Maßstab anwendbar sein wird. Außerdem sind die Risiken nicht genügend erforscht, und die finanziellen Aufwendungen wären immens.

Ist damit das 1,5-Grad-Ziel denn noch in Reichweite? Oder muss man es gleich aufgeben?

Meiner Meinung nach war das 1,5-Grad-Limit schon beim Abschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 nicht zu halten. Die Regierungen der Welt machen sich etwas vor, wenn sie weiterhin an der Grenze festhalten.

Was ist denn wirklich noch drin? Zwei Grad? Das ist die absolute Obergrenze, wie sie im Pariser Weltklimavertrag fixiert wurde.

Ich denke, die Zwei-Grad-Grenze wäre ein realistisches Ziel, das wir noch schaffen können.

Zurück zu den UN-Gipfeln. Wenn sie nicht richtig funktionieren, welche Alternativen bleiben, um die Erderhitzung auf tolerable Werte zu begrenzen?

Foto: GEOMAR

Mojib Latif

ist Professor für Ozean­zirkulation und Klima­dynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung Kiel (Geomar) und an der Universität Kiel, außerdem Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und Vorstands­vorsitzender des Deutschen Klima-Konsortiums. Sein jüngstes Buch hat den Titel "Countdown. Unsere Zeit läuft ab – was wir der Klimakatastrophe noch entgegensetzen können".

Eine Allianz der Willigen wäre eine Möglichkeit. Bundeskanzler Olaf Scholz hat es Klimaklub genannt. Die Länder, denen der Klimaschutz wichtig ist, sollten vorangehen. Sie müssen so erfolgreich ein, dass immer mehr Länder der Allianz beitreten wollen.

Die Länder müssen aber auch Vorsorge treffen, dass ihre Märkte nicht von billigen, nicht nachhaltigen Produkten überschwemmt werden.

Welche Länder könnten eine solche Vorreiter-Gruppe bilden?

Die USA, die Länder der EU, Nordafrika und Länder wie Norwegen. Aber auch Länder wie Indien, die sich noch entwickeln und Wohlstand schaffen wollen.

Hat es überhaupt noch Sinn, Mega-Konferenzen wie in Dubai abzuhalten? Diesmal waren 90.000 Teilnehmer dort.

Ich halte die Konferenzen schon lange für total überdimensioniert und für nicht zielführend.

Also abspecken? Aber wie?

Eine Handvoll Länder verursacht den Großteil der weltweiten CO2-Emissionen. Wenn sich nur diese träfen, würde es vielleicht schneller vorangehen.

Welches Bild gibt Deutschland in diesem Zusammenhang ab? Reicht die Klimapolitik der Ampel-Bundesregierung?

So wie es aussieht, wird Deutschland seine Klimaziele nicht einhalten können. Das wäre ein Desaster für seine Glaubwürdigkeit.

 

Wie könnte sie in die richtige Spur kommen?

Keine Abstriche beim Klimaschutz. Nur eine CO2-neutrale Wirtschaft wird unseren Wohlstand langfristig sichern. Wir müssen vom kurzfristigen Denken wegkommen. Es geht um unsere Zukunftsfähigkeit. Andere Länder schlafen nicht.