Messepräsentation des chinesischen Autokonzerns BYD mit zwei Autos und einem futuristischen Hintergrund in hellblau und orange mit der englischen Aufschrift: Die Erde um ein Grad abkühlen.
Stand des chinesischen Autokonzerns BYD auf der Automesse IAA Anfang des Monats in München. (Bild: Matti Blume/​Wikimedia Commons)

Deutschland wollte einst Vorreiter bei der Elektromobilität werden. Das ist in weite Ferne gerückt. Das von der großen Koalition für 2020 angestrebte Ziel, eine Million batterieelektrische Fahrzeuge auf den Straßen zu haben, wurde erst mit drei Jahren Verspätung erreicht, im Januar 2023.

Zur Verbreitung der reinen Batterie-Fahrzeuge haben in erster Linie Tesla sowie französische Hersteller mit ihren kleinen Elektrofahrzeugen beigetragen. Denn die deutsche Autoindustrie ist noch längst nicht im Elektrozeitalter angekommen. Sie produziert nach wie vor überwiegend Autos mit klassischem Verbrennungsmotor.

Bei Volkswagen stellten Verbrenner im vergangenen Jahr stolze 93 Prozent der weltweiten Auslieferungen. Dabei hatte der damalige VW-Chef Herbert Diess schon im Sommer 2021 das Ziel ausgegeben, "Weltmarktführer für Elektrofahrzeuge" zu werden.

Doch die Strategie geht nicht auf, und ausgerechnet in dieser Situation kürzte die Bundesregierung zu Anfang des Jahres die Kaufprämie für Elektroautos, den sogenannten Umweltbonus, von 6.000 auf 4.500 Euro. Laut dem Duisburger Autoindustrie-Experten Ferdinand Dudenhöffer trifft diese Kürzung der staatlichen Subvention ausgerechnet die Anschaffung kleiner und damit umweltfreundlicherer Elektrofahrzeuge.

Gleichzeitig versucht die Ampel-Regierung, die Euro-7-Schadstoffnorm in Brüssel zu verwässern, und sucht das Heil in E‑Fuels, die den Verbrenner auch noch über das Ausstiegsdatum 2035 hinaus am Leben erhalten sollen.

Mit dieser Position findet sich Deutschland, was Klima- und Mobilitätspolitik angeht, in Gesellschaft von Viktor Orbans Ungarn oder Giorgia Melonis Italien wieder und nicht – wie es sein sollte und dem eigenen Selbstverständnis entspricht – an der Seite von Norwegen, dem wirklichen europäischen Vorreiter bei der Dekarbonisierung des Verkehrs.

Chinas Energiewende

Vorreiter beim Ausbau der erneuerbaren Energien ist zunehmend China, das Land mit den meisten Kohlekraftwerken der Welt. Wie kann das sein?

China verfügt über immense Kohlevorkommen, allerdings über kein Erdöl und verhältnismäßig wenig Wasserkraft. Kein Wunder, dass das Land in der Vergangenheit in erster Linie auf Kohlekraftwerke gesetzt hat und auch noch neue baut, die in erster Linie alte ersetzen sollen. Bis zur vollständigen Dekarbonisierung der Energieproduktion, zu der sich China für 2060 verpflichtet hat, ist es noch ein weiter Weg.

 

Gleichzeitig ist das Land zu einem Vorreiter der Energiewende geworden. Ähnlich wie bei der Elektromobilität versucht China hier, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: für saubere Luft im Land zu sorgen und die heimischen new energy industries zu fördern.

Das verdeutlicht die Entwicklung der installierten Photovoltaikleistung. Diese lag 2021 in China bei insgesamt 309 Gigawatt und damit fast so hoch wie in den USA (123) und der Europäischen Union (205 Gigawatt) zusammen. Allein in diesem Jahr wird China so viel Solarkapazität neu installieren wie Deutschland in den vergangenen 25 Jahren.

2012 wurde China zum weltweit größten Windenergienutzer und überholte die USA, gemessen an der installierten Leistung. Von 2014 bis 2021 verdreifachte sich die Gesamtkapazität bei der Windkraft auf 282 Gigawatt.

Die Dekarbonisierungsdynamik ist politisch gewollt. Seit 2012 ist die Zielvorgabe einer "ökologischen Zivilisation" in den Statuten der Kommunistischen Partei Chinas verankert, seit 2018 genießt sie sogar Verfassungsrang.

In der Einschätzung von Li Yifei und Judith Shapiro, in den USA und China lehrende Spezialist:innen für chinesische Umweltpolitik, "hat China im Vergleich zu den Vereinigten Staaten die moralische Überlegenheit erlangt und noch mehr Hoffnung geweckt, dass China der neue weltweite Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel werden würde".

Elektroautoland China

China ist das Land mit den meisten zugelassenen Autos, wobei der Motorisierungsgrad mit 171 Autos pro 1.000 Einwohner immer noch bei weniger als einem Drittel des hiesigen liegt. Im November 2022 gab es in China etwa 415 Millionen Kraftfahrzeuge und mehr als 500 Millionen Zweiräder. Und die Flotte wächst: Allein 2022 wurden 23 Millionen neue Automobile in China zugelassen.

Das Land plant auch die Infrastrukturen für diese Fahrzeuge in beängstigender Größenordnung. Bis 2025 soll das nationale Fernstraßennetz laut Planungsbehörden von 382.000 Kilometern (2021) um ein Fünftel auf 461.000 Kilometer wachsen, wie Reuters berichtet. Keine guten Aussichten aus Verkehrswendeperspektive.

Foto: Fabian Grimm

Timo Daum

ist Wissen­schaft­licher Mit­arbeiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Gerade ist sein Buch "Big Data China. Technologie – Politik – Regulierung" im Wiener Mandelbaum-Verlag erschienen.

China ist der weltweit größte Automobilmarkt und trägt fast 40 Prozent zum globalen Pkw-Absatz bei, wobei der Gesamtabsatz fast dem in den USA und auf dem europäischen Markt zusammen entspricht.

Gleichzeitig setzt China auf Elektrifizierung. Die Verkäufe von "New Energy"-Fahrzeugen – dazu zählen in China neben batterieelektrischen auch Hybrid- und Brennstoffzellenfahrzeuge – sind im Jahr 2022 um 87 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.

Rein batterieelektrische Fahrzeuge machten 19 Prozent an den Gesamtzulassungen aus. Und der Verkauf von Verbrennern geht zurück, der Jahresabsatz fossiler Fahrzeuge ist gegenüber 2001 um 2,2 Millionen auf 20,4 Millionen gesunken.

Auch bei der Produktion ist China die Nummer eins. Jedes zweite E‑Auto weltweit wird in China hergestellt. Die chinesische Regierung will nicht nur schnell elektrifizieren, sie hat auch klare Vorstellungen, wer die Fahrzeuge bauen und verkaufen soll: Ihre Vorgabe ist ein Anteil heimischer Hersteller von 80 Prozent.

Und chinesische Hersteller, zumal die Start-ups, die nicht aus der Verbrennerwelt kommen, haben Elektrifizierungsziele, die mit diesen Zielvorgaben synchronisiert sind. Der Autokonzern Geely peilt für 2023 einen E‑Auto-Anteil von 50 Prozent am Gesamtabsatz an.

Die Rechnung scheint aufzugehen: Der Anteil heimischer Hersteller bei Elektroautos liegt bei den angepeilten 80 Prozent, Tesla hat einen Marktanteil von derzeit 13 Prozent. Die restlichen sieben Prozent teilen sich etablierte Hersteller aus Europa und den USA.

Aktive Industriepolitik

Im ersten Quartal 2023 übertraf der chinesische Hersteller BYD den deutschen VW-Konzern bei den verkauften Stückzahlen (inklusive Verbrenner). Das bedeutet zum ersten Mal seit dem Markteintritt von VW in China 1985 den Verlust der Spitzenposition bei den Marktanteilen – eine historische Zäsur.

Der größte Automarkt der Welt wurde lange von den deutschen Herstellern dominiert, dort wurde ein erheblicher Teil ihrer Gewinne eingefahren. Doch nun sieht es mau aus.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Auf dem bedeutendsten E‑Auto-Markt der Welt – zwei Drittel aller batteriebetriebenen Fahrzeuge werden in China zugelassen – lag 2021 der Anteil der deutschen Hersteller bei gerade einmal vier Prozent. Das war nur ein Fünftel des Marktanteils bei Verbrennern.

Volkswagen ist 2021 in China ganze 70.000 E‑Fahrzeuge in China losgeworden und erzielte damit einen homöopathischen Marktanteil von gerade einmal 1,4 Prozent. Stärkster ausländischer Hersteller von E‑Autos war Tesla mit 6,6 Prozent Marktanteil und 319.000 verkauften Fahrzeugen.

Bei der Elektromobilität erntet Chinas Parteistaat derzeit die Früchte einer "aktiven Industriepolitik". Ein Ergebnis ist die Dominanz chinesischer Firmen bei einer Schlüsseltechnologie für die Elektromobilität: den Batterien. Drei Viertel der Lithium-Ionen-Batterien der Welt werden in der Volksrepublik produziert. Die beiden chinesischen Firmen CATL und BYD kontrollieren über 50 Prozent des Weltmarkts für E‑Auto-Batterien.

Henry Sanderson, britischer Investigativreporter und Experte für Chinas Energiewirtschaft, schreibt in seinem neuen Buch "Volt Rush": "China hat sowohl bei grünen Energietechnologien wie Batterien und Solarzellen als auch bei den ihnen zugrunde liegenden Rohstofflieferketten eine führende Stellung erlangt. Während viele dieser Mineralien in der Erdkruste keine Seltenheit sind, werden sie größtenteils in China verarbeitet."

Fährt die deutsche Autoindustrie eine "Sunset-Strategie"?

Die Folgen für ein Wegbrechen des chinesischen Marktes wären für die deutschen Autobauer verheerend. Eine "Lose-lose-Situation" zeichne sich ab, so eine Studie des Berliner China-Forschungsinstituts Merics: Das Engagement in China ist geopolitisch riskanter geworden und der Erfolg angesichts des Elektrifizierungstempos und der Bevorzugung heimischer Hersteller durchaus nicht gesichert.

Ziehen die deutschen Autohersteller jedoch ihr Engagement zurück, geraten sie in die Gefahr, "von der chinesischen Konkurrenz und Tesla abgehängt zu werden".

Europas Autoindustrie ist im Vergleich zu Zeiten vor der Corona-Pandemie deutlich geschrumpft. 2021 stellte VW 8,3 Millionen Autos her, so viele wie zuletzt 2010 und ein Rückgang um satte 25 Prozent gegenüber dem Jahr 2018, als mit elf Millionen die historische Spitze erreicht wurde.

 

Und noch eine Entwicklung zeichnet sich immer deutlicher ab: Die deutschen Hersteller ziehen sich aus dem Volumengeschäft zurück, begnügen sich mit Nischenmärkten und Luxuskundschaft.

Der neue Chef des VW-Konzerns, Oliver Blume, gab auf einer Management-Konferenz in Lissabon Anfang September die Marschrichtung vor: "Wir leben Unternehmertum und streben danach, die nachhaltigste Luxusautomarke aufzubauen." Volkswagen verabschiedet sich damit von der Vorstellung, zum großen E‑Autohersteller zu werden.

Das nennt man Sunset-Strategie: noch so lange weitermachen wie bisher, bis man den Laden vollends dichtmachen kann. Ein Artikel in der Washington Post fragte kürzlich: "Was wäre, wenn Deutschland aufhörte, Autos zu bauen?" Aus Verkehrswendeperspektive wäre das dann doch eine gute Nachricht.

Lesen Sie hier Teil 2: Wie China seinen öffentlichen Verkehr dekarbonisiert