Zwei weiß gekleidete Klimaaktivisten sitzen in einer im Bau befindlichen Erdgaspipeline.
Blockadeformen wie von "Ende Gelände" – hier im Herbst 2020 an der Gasleitung Zeelink – müssen weiterentwickelt werden, meint Tino Pfaff. (Foto: Screenshot/​Nora Börding/­Ende Gelände/​Twitter)

Soziale Bewegungen weltweit haben in den vergangenen Jahren viel erreicht. Sie haben Millionen Menschen mobilisiert und sensibilisiert. Sie haben Diskurse verschoben.

Doch die Jungen werden weiterhin im Stich gelassen. Egal ob von den Eltern, Onkeln und Tanten, Großeltern oder Kinderlosen. Untätige Erwachsene, die heute noch stolz darauf sind, dass junge Menschen auf die Straßen gehen, haben es noch immer nicht verstanden.

Wie viel Zynismus sollen die Jungen eigentlich noch ertragen?

In einer solidarischen Gesellschaft kämen Erwachsene zu der Erkenntnis, den Jungen die erschlagende Last abzunehmen und an ihre Stelle, zumindest aber an ihre Seite zu treten.

Doch das tut die Mehrheit nicht. Da ändert es auch nichts, dass es Gruppen wie die Scientists, Psychologists, Parents oder Grandparents for Future gibt.

Klimakanzler Scholz

Auch von der Politik werden die jungen Generationen im Stich gelassen. Der vorgebliche "Klimakanzler" Olaf Scholz hat noch vor Amtsantritt klargemacht, dass er nicht zur grundlegenden Lösung der Probleme beitragen wird. Indem er etwa den Bau weiterer Gaskraftwerke ankündigte, lässt er Zweifel daran, dass er an der Seite einer sozial-ökologischen Transformation zu einer gerechten, solidarischen und von Katastrophen verschonten Gesellschaft steht.

"Wer hat uns verraten?", hallte es am 22. Oktober durch die Straßen, als Aktivist:innen von Fridays for Future und anderen sozialen Bewegungen die Parteizentrale der SPD blockierten.

Auch der gerade veröffentlichte Koalitionsvertrag lässt zahlreiche Fragen offen. Wenn er auch weit über die bisherige CDU-Logik hinausreicht und aus dieser Perspektive als fortschrittlich zu bezeichnen ist, enthält er doch zu viele unkonkrete Aussagen. Umweltverbände, Fridays for Future und die Grüne Jugend kritisieren den Koalitionsvertrag scharf: Die Inhalte werden das Überschreiten der 1,5-Grad-Marke nicht verhindern.

Der Klimagipfel war eine Greenwashing-Veranstaltung

Drittens sind es die Mächtigen der Welt, die die Jungen im Stich lassen. Das Fazit der COP 26, der 26. Weltklimakonferenz, ist katastrophal.

Wurde die COP 26 vor Beginn noch als die wichtigste seit der Klimakonferenz in Paris vor sechs Jahren angepriesen, ist das Ergebnis wenig richtungsweisend. So mag der weltweite Kohleausstieg "eingeläutet" sein, eine Initiative von mehr als 100 Staaten die Abholzung der Wälder bis 2030 stoppen wollen oder die Gesamtheit der Staaten versprochen haben, "ineffiziente" Subventionen für Öl, Gas und Kohle zu streichen.

Tino Pfaff
Foto: XR

Tino Pfaff

Der Sozial­arbeiter, Sozial­pädagoge und Umwelt­aktivist war zwei Jahre Sprecher von Extinction Rebellion Deutsch­land. Zurzeit studiert er Gesellschafts­theorie an der FSU Jena. Unter anderem engagiert er sich in der Initiative Lobby­land und ist Neu­mit­glied bei den Grünen.

Doch es bleibt keine Zeit mehr für unverbindliche Ankündigungen und schwammige Abmachungen. Da ändert auch die freiwillige Bekundung der Staaten nichts, im kommenden Jahr die jeweils eigenen Ziele zur Einhaltung der 1,5-Grad-Marke nachzuschärfen. Eher steht dies sinnbildlich für das Versagen und die leeren Versprechen.

So ist auch die Mahnung von UN-Klimachefin Patricia Espinosa zu Beginn der COP 26, wie so viele vor ihr, einfach verpufft. Und das, obwohl Espinosa ihr Anliegen in der Rhetorik einer Extinction-Rebellion-Aktivistin klar zum Ausdruck brachte. "Entweder wir erkennen, dass es zerstörerisch wäre, weiterzumachen wie bisher", sagte sie, "oder wir akzeptieren, dass wir uns selbst ausrotten."

Spätestens mit den Schlussworten von Alok Sharma, dem Präsidenten der COP 26 ("Es tut mir sehr leid.") und dem anschließenden Ringen mit den Tränen während seiner Abschlussrede wurde deutlich, dass die COP 26 keine richtungsweisende Konferenz war und das Fazit naheliegt, dass das Pariser Klimaabkommen gescheitert ist.

Viertens schließlich sind es die Konzernchefs, die die Jungen und die Gesellschaft im Stich lassen. Es sind jene, die mitten in der Coronapandemie alles dafür tun, ihren Aktionären die Dividenden auszuzahlen, und deren Lobbyist:innen durch die Parlamente streifen, um den Abgeordneten ihre Interessen unterzujubeln.

Sie sind es, die über die Zerstörung der Lebensgrundlagen entscheiden, trotz der immer wiederkehren wissenschaftlichen Warnungen und der unübersehbaren Folgen eintretender Katastrophen.

Fridays for Future: Wo geht es hin?

Nicht selten wird der Vorwurf laut, Fridays for Future habe nicht genug erreicht. Doch wer die aktuelle Problemlage so einfach abtut, muss nicht ernst genommen werden. Die jungen, oft minderjährigen Aktivist:innen haben nicht versagt, im Gegenteil. Gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen und Umweltverbänden haben sie viel bewegt.

Natürlich darf diese Feststellung nicht verschleiern, dass sich in den letzten drei Jahren nicht genug getan hat, um sagen zu können, es ginge wirklich voran. Das große Versagen ist aber kein Versagen der Fridays-for-Future-Demonstrationen oder der Klimagerechtigkeitsbewegung. Es ist ein Versagen der Erwachsenen und jener, die gewählt worden sind, die Gesellschaft als Souverän adäquat zu vertreten.

Den Aktiven ist es nicht zu verdenken, wenn sie ernüchtert und enttäuscht sind. Doch die daraus wachsende Wut und die zunehmende Hoffnungslosigkeit dürfen nicht zur Inaktivität führen. Alle sind dazu angehalten, sich Gedanken darüber zu machen, wie es weitergehen kann und muss.

Die Jugendlichen von Fridays for Future haben bei ihren Protesten während der Koalitionsverhandlungen gezeigt: Auch sie können zivilen Ungehorsam leisten.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Demonstrationen dürfen nicht verschwinden. Der zivile Ungehorsam darf nicht als Ersatz dienen. Große Proteste, die als Märsche kilometerlang kraftvoll und laut durch die Innenstädte ziehen, sind wichtig für eine Gesellschaft, will sie ihre Moral erhalten.

Doch werden Demonstrationen allein die Regierung nicht zum konsequenten Handeln bewegen. Ziviler Ungehorsam in Form nicht angemeldeter Blockaden von Straßen, Ministerien oder Konzernfilialen hat mit den Massen, wie sie sonst auf Demonstrationen anwesend sind, ganz andere Potenziale.

Es wird Zeit, stärker zu polarisieren. Dies muss dort stattfinden, wo es um den Fortbestand der menschlichen Zivilisation geht. Politiker:innen können sich dann nicht mehr mit einem Selfie stolz zwischen die Fridays-for-Future-Aktivist:innen auf ihren Protesten stellen.

Massenhafter und symbolischer ziviler Ungehorsam wird sie auf andere Art herausfordern und sie vor die Wahl stellen, diesen Akt zu verurteilen oder sich auf die Seite der wissenschaftlichen Fakten zu stellen und der Zerstörung den Kampf anzusagen. Denn tausende junge Menschen, die die Gesundheit ihrer Körper in die Waagschale legen, werden sowohl ihre Eltern als auch die Entscheidungstragenden in ein moralisches Dilemma zwingen.

Extinction Rebellion: Wo geht es hin?

Extinction Rebellion hat im Oktober 2019 viele Menschen in Deutschland beeindruckt. 6.000 Menschen blockierten für mehrere Tage Kreuzungen in Berlin. Sie irritierten. Viele empörten sich.

Sie haben erreicht, was sie wollten: Die Debatte um die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen nahm Fahrt auf und Fridays for Future bekam dadurch gewiss noch mehr Auftrieb. Danach hat es Extinction Rebellion nie wieder geschafft, solche Massen zu mobilisieren.

Für die Rebell:innen stellt sich also auch die Frage, wo es zukünftig hingeht. Wollen sie weiter an ihrem Anspruch festhalten, eine Massenbewegung zu sein, müssen sie zurück zu alten Gepflogenheiten.

Es war richtig und wichtig, sich differenzierter mit den Verhältnissen auseinanderzusetzen und ebenso wie Fridays for Future einen Prozess zu durchlaufen, aus dem herausgeht, dass der Kampf gegen die menschengemachte Klimaerhitzung und Ökosystemzerstörung nur ein Kampf gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung sein kann. Denn Kolonialismus und Rassismus, Sexismus und weitere menschenfeindliche Ideologien sind die Ursachen für die fatale Situation, in der sich die Weltgemeinschaft befindet.

Doch das Aktionsbild von Extinction Rebellion hat sich verändert. Die aufsehenerregenden Straßenblockaden, die eine Kreuzung aus dem Nichts plötzlich in einen Ort der Begegnung, aber auch der Irritation verwandeln, werden weniger. Stattdessen klebt und kettet man sich direkt an die Büros der zerstörenden Konzerne, und es kann dort auch zu Besetzungen kommen.

Das sind wirksame Aktionsformen, denn sie zeigen genau dahin, wo die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen geplant und genehmigt wird. Doch sind sie nicht so inklusiv und begeisternd wie eine Massenblockade auf einer Kreuzung.

Als Massenbewegung muss sich Extinction Rebellion darauf zurückbesinnen, was einst der Kern ihrer Kampagne war: den Menschen nahebringen, dass sie selbst betroffen sind und sein werden, mit Talks durch die Städte ziehen und mit polemisch scheinender Rhetorik für Irritation sorgen, die Hoffnungslosigkeit auf der Straße in Aktionen verwandeln.

Friedliche Sabotage, eine Form zivilen Ungehorsams

"Sabotage" ist ein Wort, das manche womöglich aus Agentenfilmen kennen. Ein Wort, das beunruhigen kann. Doch damit liegt man bei der Bezeichnung "friedliche Sabotage" weit daneben. Wichtig ist hier das Warum und das Wie.

Warum friedliche Sabotage nötig ist, erkennen wir, wenn wir verstehen, welche Vorgänge es sind, die planetare Ökosysteme unwiederbringlich destabilisieren und die klimatischen, ökologischen und daraus folgend auch sozialen Leitplanken derart durchbrechen, dass das Leben auf der Erde für Menschen künftig nur noch schwer möglich sein könnte.

Dahinter steckt eine Fülle von Gewalt. So sind es Konzerne und Regierungen in Komplizenschaft, die gewalttätig gegen Menschen vorgehen, indem sie ihre Lebensgrundlagen zerstören. Verträge, Abkommen und Bekundungen haben bis heute nicht dazu geführt, dass die nötige sozial-ökologische Transformation Form annimmt. Die Treibhausgasemission und das Artensterben müssen jetzt gestoppt werden. Anzeichen dafür gibt es kaum.

Der Gewalt dieser übermächtigen Wenigen müssen andere Strategien entgegengesetzt werden. Wenn die Regierung diese Konzerne nicht stoppt, müssen wir das selbst in die Hand nehmen.

Das "Wie" spielt wie bei allen Protestformen eine zentrale Rolle. Wie erwähnt, ist es eine Protestform von Extinction Rebellion, Konzernbüros zu besetzen. Neben dem Erregen von Aufmerksamkeit kommt es dabei mitunter auch zu einem zweiten Effekt. Der Tagesablauf der Einrichtung wird gestört.

Noch mehr davon steckt in den Aktionen der Bewegung Ende Gelände, die in Kohlegruben und neuerdings auch an Erdgasanlagen mobilisiert und so an den Orten des Geschehens für Störung sorgt. Mit ihren Körpern besetzen die Aktivist:innen Zufahrtswege, Schienen oder Gerätschaften.

Neben dem Erregen von Aufmerksamkeit ist es das Ziel, die zerstörerischen Abläufe zu unterbrechen. Wenn es auch nur für einen kurzen Zeitpunkt geschieht, so handelt es sich um verhindernden zivilen Ungehorsam. Der Weg zu friedlicher Sabotage zeigt sich hier am ehesten geebnet.

Der Protestforscher und Sozialphilosoph Robin Celikates stellt klar, dass gewaltfreie Aktionen auch Aktionen sein können, die Gegenstände zerstören. Wichtig auch für ihn ist, dass keine Menschen zu Schaden kommen.

Hier knüpft Celikates an etwas an, das als eine der wenigen ideologischen Prinzipien der Klimagerechtigkeitsbewegung gilt: das unumstößliche Prinzip der Gewaltfreiheit, deren zentrales Anliegen es ist, niemals der menschlichen Unversehrtheit zu schaden

Wie funktioniert friedliche Sabotage?

Primäres Ziel der friedlichen Sabotage ist es, die zerstörenden Praktiken der Konzerne zum Erliegen zu bringen, und dies so lange wie möglich. Das kann durch die bereits bekannten Blockaden stattfinden. Wichtig hierbei ist die Ausrichtung auf länger währendes Blockieren als bei symbolischem zivilem Ungehorsam.

Zweitens kann es durch direktes Lahmlegen der Infrastruktur geschehen. Kohleförderbänder, Gasleitungen oder sonstige Betriebsanlagen können die Ziele sein. Es gibt die Beispiele einer "Valve Turner" (Ventilabdreherin), die für das Sabotieren einer Ölpipeline in den USA vor Gericht sogar freigesprochen wurde, oder der indigenen Wet'suwet'en in Kanada, die sich einem Konzern, der auf ihrem Territorium eine Gaspipeline bauen will, in den Weg stellen.

Bei friedlicher Sabotage in Deutschland geht es um zwei Aspekte: das direkte Verhindern der zerstörenden Praktiken und den größtmöglichen wirtschaftlichen Schaden. Letzteres kann dazu führen, dass sich diese wirtschaftlichen Praktiken nicht mehr lohnen und Investitionen zurückgezogen werden oder Anleger:innen nicht mehr investieren. Die Konzerne werden zum Investitionsrisiko.

Eine Protestbewegung dieser Form ist wichtig. Während Konzerne und Staaten weiterhin Milliarden in fossile Infrastrukturvorhaben investieren, die Erdatmosphäre sich weiter erhitzt und Ökosysteme zusammenbrechen, ist es wichtig, eine Protestbewegung zu schaffen, die erstens dagegen aufbegehrt und zweitens in Leitplanken wächst, die sich ideologisch auf die Friedlichkeit der Aktionsformen berufen.

Es ist damit zu rechnen, dass zukünftig mehr und mehr Menschen der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen entgegentreten werden.

Lesen Sie auch, was zwei Politikwissenschaftler:innen darauf antworten:

Peter Unfried: Wann ist friedliche Sabotage legitim?

Frauke Höntzsch: Kann Sabotage friedlich sein?

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