Satellitenaufnahme der großräumigen Ölverseuchung im Golf von Mexiko durch BP im Jahr 2010.
Nach der Deepwater-Horizon-Katastrophe von 2010 im Golf von Mexiko startete Polly Higgins ihre Ökozid-Kampagne. (Foto: NASA)

Konzerne, Staaten und mächtige Menschen können noch immer ungehindert die Natur zerstören. Für die Anhäufung von Profit und Macht ist noch immer kein Preis zu hoch. Nicht nur, dass sich die Zerstörung von Ökosystemen fortlaufend finanziell rentiert, sie bleibt auch noch straffrei.

Die fortgesetzte Brandrodung des Amazonasregenwaldes und die großflächige Ölverseuchung von Land und Meer durch systematische Verletzung von gesetzlichen Sicherheitsstandards – wie etwa durch den kriminellen Konzern Shell in Nigeria – sind nur zwei von vielen Beispielen.

Es gibt jedoch kaum eine juristische Handhabe, um solche Verbrechen zu bestrafen. Bis heute weist internationales Strafrecht diesbezüglich eklatante Lücken auf.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro kann am Amazonas ungehindert abholzen und brandroden lassen und die Bevölkerung dazu aufhetzen, den indigenen Völkern ihr Territorium und ihre Lebensgrundlagen zu rauben.

Nur noch fünf Prozent der Weltbevölkerung sind Menschen, Gruppen und Völker, die als Indigene bezeichnet werden können. Was vielen nicht klar ist: Es sind auch jene Menschen, die 80 Prozent der Weltbiodiversität schützen.

Indigene werden noch immer aus ihren Territorien vertrieben und erleben unsägliche Gewalt bis hin zum Mord. Erst kürzlich machte die internationale Organisation Survival International auf den Genozid an indigenen Völkern in Brasilien aufmerksam. In ihrer Kampagne "Brasiliens Genozid stoppen" prangert die Organisation an: "Bolsonaro hat indigenen Völkern den 'Krieg erklärt'."

Der Ölkonzern Shell kann in Nigeria ungehindert Menschenrechtsverletzungen begehen, die bis zur Mitverantwortung für außergerichtliche Hinrichtungen reichen, und systematische Umweltverschmutzung betreiben, die Gesundheit und Leben von Menschen gefährdet.

Dank des Einsatzes von mutigen Nigerianer:innen und Menschenrechtsorganisationen wie Global Witness oder Amnesty International muss sich Shell endlich zivilrechtlich und strafrechtlich (wegen Korruption) vor Gericht für Untaten über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren verantworten. Das ist ein Anfang, doch längst nicht genug.

Immer mehr Menschen stehen auf und stellen sich gegen solche Verbrechen, doch die Macht der Konzerne scheint ungebrochen. Eine Kriminalisierung der Zerstörungen ist längst überfällig. Das hätte nicht nur zur Folge, dass Rechtsverletzungen geahndet und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden können. Es würde auch die Möglichkeit bieten, Gewinne einzuziehen, die durch die Schädigungshandlungen generiert wurden, und die Opfer zu entschädigen.

Verbrechen gegen den Frieden

Eine Koalition zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen und Gruppen sowie Jurist:innen setzt sich schon seit einigen Jahren dafür ein, die Straflosigkeit von Ökozid zu beenden. Unternehmensführungen und Politiker:innen, die unsere Lebensgrundlagen zerstören, sollen vor Gericht gebracht und verurteilt werden.

Ökozid

bezeichnet die langfristige und erhebliche Beschädigung oder Zerstörung von Ökosystemen. Darunter fällt "der Verlust oder die Beschädigung oder Zerstörung des Ökosystems oder der Ökosysteme eines bestimmten Territoriums oder bestimmter Territorien, sodass die friedliche Nutzung durch die Bewohner stark beeinträchtigt wurde oder wird".

Die gute Nachricht ist, es gibt einen Plan, wie Ökozid international verfolgt werden kann: Ökozid muss endlich in das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs aufgenommen werden.

"Unmenschliche Handlungen, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden", gelten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn sie "im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung" erfolgen. So steht es im Römischen Statut, der vertraglichen Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.

Was hat Naturzerstörung mit Frieden und dessen Störung zu tun? Werden Ökosysteme zerstört und erhitzt sich das Weltklima weiter, dann destabilisiert dies auch soziale Systeme. Wie wir in vielen Teilen des globalen Südens bereits sehen können, führen beispielsweise Dürren zu Wasser- und Nahrungsmittelmangel. Versorgungswege brechen zusammen und Verteilungskämpfe nehmen immer weiter zu.

Das systematische Zerstören von Ökosystemen durch Konzerne und Staaten hat also direkte Auswirkung auf den Frieden und die Sicherheit von Millionen Menschen.

Der Druck wächst

Auch die Organisation "End Ecocide on Earth" fordert die Aufnahme des Ökozid als fünftes Verbrechen gegen den Frieden in das Römische Statut. Auf ihrer Internetseite nennt sie eine lange Liste von Beispielen verbrecherischer Umweltzerstörung.

Internationale Umweltrechtsanwält:innen haben sich der Sache angenommen und auch immer mehr Politiker:innen unterstützen das Vorhaben. "Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen heutige und künftige Generationen und gegen alles Leben auf der Erde", beschrieb Polly Higgins, die inspirierende Umweltanwältin und Pionierin auf diesem Gebiet, das Vergehen des Ökozid. Higgins war auch Initiatorin der Kampagne "Stop Ecocide!" und legte der Rechtskommission der Vereinten Nationen bereits einen Vorschlag vor.

Auch der Pazifikstaat Vanuatu, unterstützt von Kiribati und den Malediven, forderte im Dezember 2019 die anderen Vertragsstaaten auf, Ökozid in das Römische Statut aufzunehmen. Papst Franziskus forderte kürzlich, Ökozid als fünftes Verbrechen gegen den Frieden strafrechtlich zu verfolgen, und lässt die Möglichkeit prüfen, die "Sünden gegen die Umwelt" als eigene Verbrechen in den Katechismus aufzunehmen.

Deutschland muss dringend aktiv werden

Deutschland hat die Möglichkeit, als Vertragsstaat des Römischen Statuts Änderungen an diesem Statut für den Internationalen Strafgerichtshof vorzuschlagen. Frankreich und Belgien haben sich der Sache bereits angenommen.

Nach der Empfehlung des französischen Klimarates hat Präsident Emmanuel Macron verkündet, in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen und ein Referendum zu initiieren. Auch sicherte er seine Unterstützung für eine Erweiterung des Römischen Statuts um den Straftatbestand des Ökozid zu. In Belgien liegt ein Antrag der Grünen bereits dem Parlament vor. Die Verfolgung von Ökozid ist Teil des Koalitionsvertrages der neuen Regierung.

Tino Pfaff
Foto: XR

Tino Pfaff

Der Sozial­arbeiter und Sozial­pädagoge ist im Presseteam von Extinction Rebellion Deutsch­land aktiv. Zurzeit studiert er Gesellschafts­theorie an der Universität Jena. Unter anderem ist er Mitglied von Amnesty International und dem Flüchtlings­rat Thüringen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im September dieses Jahres das sogenannte "Leader's Pledge for Nature" unterzeichnet. Damit legte Deutschland ein "Versprechen für die Natur" ab. Die Regierung verpflichtet sich zu deutlich mehr Naturschutz und dem Erhalt der Artenvielfalt.

Genauer noch soll das massenhafte Artensterben bis 2030 umgekehrt, eine "grüne und gerechte" Antwort auf die Gesundheits- und Wirtschaftskrise gefunden und Umweltzerstörung bekämpft werden.

Das sind große Worte, denen nun dringend Taten folgen müssen. Die Zeit der leeren Versprechungen muss ein Ende haben.

In Deutschland machte jüngst das deutsche Bündnis der internationalen sozialpolitischen Bewegung Extinction Rebellion auf diese Notwendigkeit aufmerksam. Bei den Protesten der letzten Rebellionswelle Anfang Oktober in Berlin forderte die Bewegung während einer Blockadeaktion im Berliner Regierungsviertel, Ökozid als Straftatbestand in das deutsche Grundgesetz aufzunehmen und sich für Gleiches im Römischen Statut einzusetzen. Eine Petition zu diesem Thema hat schon mehrere zehntausend Unterstützer:innen gefunden.

Für die Grünen eine Selbstverständlichkeit?

Will die Partei Bündnis 90/Die Grünen ernst genommen werden, dann ist die aktive Unterstützung der internationalen Kampagne gegen Ökozid unabdingbar. Für eine Partei, die gegründet wurde, um die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen aufzuhalten, sollte dies ein vorrangiges Anliegen sein.

Wir können gespannt sein, ob Robert Habeck, Annalena Baerbock, Anton Hofreiter und andere Spitzengrüne den Ökozid auf der Agenda haben und ob dies ein Thema beim kommenden Parteitag sein wird. Die Schwesterpartei in Belgien ist hier jedenfalls schon um einiges weiter.

Realpolitisch würde dies für die Grünen bedeuten, die Forderung, Ökozid zum Straftatbestand im Völkerrecht zu machen, in ihr Programm zur nächsten Bundestagswahl aufzunehmen und als zentrale Bedingung für die möglichen Koalitionsverhandlungen aufzunehmen.

Nicht nur, dass sie damit wieder etwas an Glaubwürdigkeit gewinnen könnten. Sie könnten damit auch deutlich machen, dass der sozial-ökologische Kollaps nur mit vereinten Kräften abgewendet werden kann und dass kriminelle Konzern- und Staatschefs vor dem Internationalen Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden müssen.

Ökozid ist ein Verbrechen gegen den Frieden, das die gesamte Weltgemeinschaft bedroht.

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