abgeholzter Regenwald
Die ungebrochene Zerstörung von Biodiversität hat auch eine Gesundheitsdimension. (Foto: Dikshajhingan/​Wikimedia Commons)

Die Corona-Krise hält uns alle in Atem, zumal die wahren Auswirkungen noch gar nicht absehbar sind: Mit steigenden Infektionszahlen steigen auch die Todesfälle. Die zunehmenden Quarantänemaßnahmen werden den Welthandel und die Finanzmärkte genauso grundlegend beeinflussen wie die Verfolgung internationaler Klima- und Umweltziele.

Vielleicht bleibt am Ende der Krise wenigstens die Erkenntnis, dass sich unsere Gesellschaften nicht von ihrer Umwelt abschotten können und wir vorsichtiger mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen müssen.

Was wir bisher wissen, ist: Das Epizentrum der Krankheit lag in der chinesischen Stadt Wuhan, einem wichtigen Knotenpunkt im oft sehr lukrativen Handel mit Wildtieren, sowohl dem legalen als auch dem illegalen.

Alles deutet darauf hin, dass der Ausbruch auf einem Markt stattfand, auf dem eine Vielzahl an Fleisch- und anderen Produkten von Tieren angeboten wird, darunter Pfauen, Stachelschweine, Fledermäuse und Ratten. Es ist auch ein Markt, auf dem die Regulierungs- und Tierschutzstandards bestenfalls rudimentär sind.

Unter den ersten hundert Patienten, bei denen die Krankheiten zunächst bemerkt wurde, hatten 49 eine direkte Verbindung zum Markt in Wuhan. Derzeit ist noch offen, ob eventuell noch weitere Märkte oder Wildtierkontakte mitverantwortlich sind.

Von Tier zu Mensch

Warum ist das ein Problem? Viele der neuen Infektionskrankheiten sind sogenannte Zoonosen. So werden Krankheiten bezeichnet, bei denen Erreger von Tieren auf Menschen überspringen. Die Genetik von Covid-19 ist bereits entschlüsselt und die Daten zeigen: Das Virus ist von Fledermäusen über den fleischfressenden Larvenroller als Zwischenwirt auf den Menschen übertragen worden. Larvenroller sind baumbewohnende Schleichkatzen.

Diese Spillover-Ereignisse der Übertragung eines Virus vom Tier auf den Menschen ähneln früheren Infektionswellen:

  • Die Sars-Epidemie 2002/2003 mit über 8.000 Infizierten und mehr als 770 Toten in 37 Ländern hatte ihren Ursprung auf einem chinesischen Tiermarkt. Der Virus stammte ursprünglich von Fledermäusen und wurde vermutlich über Marderhunde auf den Menschen übertragen.
  • Als Wirt des Mers-Erregers konnten Dromedare im Nahen Osten identifiziert werden, dort tragen bis zu 74 Prozent aller Tiere entsprechende Antikörper in sich.
  • Das Ebola-Virus wird aller Kenntnis nach von verschiedenen Wildtieren auf den Menschen übertragen. Ursprünglicher Wirt waren vermutlich Fledermäuse, die das Virus auf Affen und andere Säugetiere übertrugen. Häufig infizieren sich Menschen über die Zubereitung von Bushmeat, vorzugsweise Fleisch von Affen.
  • Die Vogelgrippe-Wellen wurden von Influenzaviren ausgelöst, bei denen Vögel als Wirt identifiziert wurden. Das sogenannte H5N1-Virus wurde beispielsweise bei importierten Papageien nachgewiesen.
  • Die wohl verheerendste neuzeitliche Zoonose ist das HI-Virus: Der Aids-Epidemie fielen bis heute 25 Millionen Menschen zum Opfer. Irgendwann im 20. Jahrhundert sprang die schon lange in Affen zirkulierende Variante der Immunschwächeviren auf den Menschen über.

Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA schätzen, dass 75 Prozent der neu auftretenden Krankheiten, die Menschen infizieren, ihren Ursprung bei Tieren haben. Von 335 Infektionskrankheiten, die zwischen 1960 und 2004 auftraten, stammen mindestens 60 Prozent von Tieren ab.

Ökologische Ursachen

Diese Zoonosen hängen in zunehmendem Maße mit Umweltveränderungen und menschlichem Verhalten zusammen: Die Zerstörung unberührter Wälder durch Abholzung, Bergbau, Straßenbau durch abgelegene Orte, rasche Verstädterung und Bevölkerungswachstum bringt die Menschen in engeren Kontakt mit Tierarten, die sie vielleicht noch nie zuvor gesehen hatten.

Kai Niebert
Foto: DNR

Kai Niebert

ist seit 2015 Präsident des Umwelt-Dachverbandes Deutscher Naturschutz­ring (DNR), zudem seit vielen Jahren ehrenamtlich bei den Natur­freunden tätig. Er hat an der Universität Zürich eine Professur für Didaktik der Natur­wissen­schaften und Nachhaltigkeit inne. 

Die Übertragung von Krankheiten von wildlebenden Tieren auf den Menschen ist somit ein Preis, den wir für ein Wirtschaftswachstum zahlen, das auf der Zerstörung von Lebensräumen beruht.

Problematisch ist dabei besonders die hoch industrialisierte Landwirtschaft. Das immer weitere Vordringen von Agrarunternehmen in die letzten Urwälder führt dazu, dass die funktionelle Vielfalt und Komplexität dieser riesigen Landflächen immer mehr vereinheitlicht wird. Monokulturen statt vielfältiger Landschaften prägen das Bild.

Zuvor eingeschlossene Krankheitserreger springen so erst auf die lokale Viehzucht und dann auf menschliche Gemeinschaften über. Verschiedenste Vogelgrippen und die Afrikanische Schweinepest sind nur einige der vielen Erreger, die aus dem entlegensten Hinterland in Mastbetriebe und den globalen Waren- und Reiseverkehr vordrangen.

Hinzu kommt der Handel mit exotischen Wildtieren: In vielen Fällen bietet die Existenz großer, unhygienischer und schlecht regulierter Märkte für Wildtiere ein ideales Umfeld für die Übertragung von Krankheiten zwischen unterschiedlichen Arten. In einem Land wie China, in dem der Verzehr von Wildtieren so tief in der Kultur verankert ist, kann sich eine solche Kontamination schnell ausbreiten.

Ein Großteil des Handels ist nach chinesischem Recht legal, aber das Vorhandensein eines parallelen illegalen Handels – oft am selben Stand vom gleichen Händler – führt dazu, dass illegal gehandelte Arten weit verbreitet werden und in einen engen Kontakt zu Menschen kommen. Diese Situation ist sehr schwer zu regulieren und zu kontrollieren.

Doch das wird sich nun ändern – müssen: Allein die Sars-Pandemie kostete die Weltwirtschaft fast 40 Milliarden US-Dollar. Ein Bericht der Chinesischen Akademie für Ingenieurwesen schätzt den Wert der Wildtierzuchtindustrie auf rund 57 Milliarden US-Dollar jährlich.

Wildtierhandel in Deutschland

Der illegale Wildtierhandel ist weniger leicht zu quantifizieren, aber weltweit wird er von den Vereinten Nationen auf etwa 23 Milliarden US-Dollar geschätzt. Ein nettes Sümmchen, aber nichts im Vergleich zu den wahrscheinlichen Kosten der Covid-19-Pandemie. Die Kosten der Quarantänemaßahmen der Corona-Epidemie und die dadurch einhergehenden wirtschaftlichen Einbrüche werden auf bis zu 2,7 Billionen US-Dollar geschätzt.

Doch der Wildtierhandel ist nicht nur ein Problem Chinas. 2012 erkrankten in Sachsen-Anhalt vier Menschen an einer Hirnhautentzündung, die durch sogenannte Bornaviren ausgelöst wurde, die von exotischen Bunthörnchen auf den Menschen übersprangen.

Darüber hinaus steigen in Deutschland Infektionen durch Salmonellen stark an, vor allem bei Kleinkindern und Säuglingen. Diese sind auf einen direkten oder indirekten Kontakt mit den beliebter werdenden Schlangen, Bartagamen, Geckos und Chamäleons zurückzuführen: 90 Prozent der Reptilien sind Träger und Ausscheider von Salmonellen.

Deutschland ist seit vielen Jahren eines der zentralen Länder im Handel mit Wildtieren, die jedes Jahr zu Hunderttausenden für den europäischen Heimtiermarkt importiert werden. Darunter sind auch frisch importierte Wildfänge, die besonders anfällig für Infektionen sind und daher als Überträger von Zoonosen ein großes Risiko darstellen.

Zwar wurde bereits 2013 ein Verbot von Wildfangimporten von der damaligen großen Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart – jedoch nie umgesetzt. Während China auf die Gefahren des Wildtierhandels jetzt mit einer dauerhaften Beschränkung reagiert hat, stehen in Deutschland und der EU solche Schritte bislang aus.

Die Corona-Pandemie muss den Anstoß geben, das Problem richtig anzupacken. Denn während der illegale Handel mit Wildtieren bisher fast ausschließlich aus Artenschutzgründen kritisiert wurde, stehen nun Themen wie Biosicherheit, öffentliche Gesundheit und wirtschaftliche Auswirkungen im Zentrum.

Was seit Jahrzehnten von Wissenschaftlern und Umweltverbänden aus Artenschutzgründen vergeblich gefordert wird, wird nun – hoffentlich – die Ökonomie lösen.

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