Hier sind zwei Hände zu sehen, die einen Baumsetzling pflanzen.
Sollen wieder nur tote Zahlen wachsen oder etwas Neues? (Foto: Julia Rotter/​Pixelio)

Unser Büro in München liegt im dicht bebauten Herzen der Stadt im Erdgeschoss. Wer aus dem Fenster unseres Besprechungsraums blickt, schaut nur auf drei kalte Hauswände, die einen dunklen Schacht begrenzen, vielleicht gerade einmal fünfzehn Quadratmeter groß. Es kommt kaum Licht hier herunter und der Boden des Schachtes ist steinig und moosig, feucht und kalt.

Selbst zur Mittagszeit im Sommer gelangen die Strahlen der Sonne nicht bis zum Grund. Nichtsdestotrotz wächst hier eine Pflanze. Allein und langsam, und sehr hübsch ist sie nicht. Aber sie wächst und lebt und rankt sich immer weiter hinauf in Richtung des Fleckens Himmel über sich.

Diese Pflanze erinnert gerade mehr denn je an unsere Kämpfe. Kämpfe für Gerechtigkeit und Menschenrechte beginnen meist unbemerkt in stillen oder vergessenen Ecken. Doch obwohl unser Büro eng ist und das Licht spärlich (und die Glühbirne im Flur meistens kaputt), fühlen wir uns hier sehr wohl.

Wir sind Frauen aus drei Generationen und von drei verschiedenen Kontinenten, wir haben verschiedene Geschichten, verschiedene Meinungen, verschiedenes Wissen. Was uns verbindet, ist die Vision einer gemeinsamen Zukunft, die wir mit Millionen von Menschen auf der ganzen Welt teilen. In diesem geschützten Raum planen wir unsere Projekte, gedüngt mit den bereits erreichten Zielen von längst vergangenen Feminist:innen und Menschenrechtler:innen vor uns.

Seit Covid-19 unseren Alltag bestimmt, arbeiten wir von Zuhause, verborgen hinter unseren eigenen vier Wänden. Doch voneinander getrennt sind wir nicht. Denn von hier aus sehen wir mit seltener Deutlichkeit sämtlichen Krisen, die die Welt zu bewältigen hat.

Die Krise nach der Krise nach der Krise

Die Wirtschaft ist am Boden. Sie steht schlechter da als bei der letzten weltweiten Wirtschaftskrise. Eigentlich steht sie nicht besser da als unsere klägliche Pflanze in dem kalten, dunklen Schacht vor unserem Bürofenster. Covid-19 kam plötzlich und unerwartet und hat sich in unser aller Leben gefressen. Menschen sind gestorben und andere werden sich aus anderen Gründen nicht wieder von dieser Pandemie erholen.

Viele Menschen fürchten um ihre Arbeitsplätze, Selbstständige fürchten um ihre Existenz und es ist fraglich, ob wir das öffentliche Kulturleben jemals wieder so erleben werden wie zuvor oder ob Theater, Kinos und Konzerthäuser nicht dauerhaft schließen müssen.

Porträtaufnahme von Julika Zimmermann.
Foto: privat

Julika Zimmermann

wurde 1990 in Stuttgart geboren und studierte Germanistik an der Universität München. Sie ist Aktivistin in der Klimagerechtigkeitsbewegung und arbeitet bei der feministischen Umweltorganisation Women Engage for a Common Future (WECF) in München. 

Ja, die Covid-19-Pandemie kam unerwartet, doch wohl kaum überraschend. Denn seit Jahrzehnten schlittern wir von einer Krise in die nächste, während uns permanent der Klimawandel im Nacken sitzt.

Panisch ringen wir nach Luft, suchen das Licht, und die Politik tut, was sie tun muss: die Wirtschaft retten, Jobs retten, Versorgungswege retten. In Deutschland bringen Milliarden von Euro die Luftfahrt- und Automobilindustrie wieder auf Kurs. In den Niederlanden investiert die Regierung in fossile Infrastruktur, um ihren Öl-Riesen Shell zu retten.

Flugverkehr, Autos, Öl – hier wird investiert und alle wischen sich erleichtert den Schweiß von der Stirn, wenn BMW, Daimler und Co wieder schwarze Zahlen schreiben. Bis die nächste Krise kommt.

Mut zur Schwäche

Unser System hat sich als nicht sonderlich resilient erwiesen. Unser Finanzsystem brach zusammen, als 2008 die Kreditblase am US-amerikanischen Immobilienmarkt platzte. Unsere Bürokratie brach zusammen, als 2015 Hunderttausende auf der Flucht nach Europa kamen. Und gerade jetzt bricht unsere Wirtschaft zusammen, weil ein Virus die Welt befällt.

Diese Krisen klingen verschieden und dennoch haben sie eines gemeinsam: Ihre Grundursache liegt in unserer globalisierten, neoliberalen und patriarchalen Marktlogik. Doch trotz dieser Erfahrungen der letzten 20 Jahre wird immer noch am wachstumsorientierten Kapitalismusmodell festgehalten. Das ist nicht nur nicht logisch, sondern schlichtweg nicht klug.

Die Covid-19-Pandemie hat viel in Bewegung gesetzt und viele Schwachstellen offengelegt und das ist gut. Sie zeigt, dass Hilfsgelder theoretisch fließen können, wenn sie gebraucht werden – nur leider fließen die größten Summen in die falsche Richtung.

Am 25. Mai bewilligte die Bundesregierung ein neun Milliarden Euro schweres Corona-Rettungspaket für die Lufthansa, während systemrelevante Care- und Pflegearbeit nach wie vor kläglich unterbezahlt oder sogar unbezahlt bleibt.

Die Pandemie zeigt, dass unser Gesundheitssystem belastbar ist – nur dass die Belastung zum Großteil auf einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ruht: der weiblichen. Sie zeigt, dass wir in der Nachbarschaft, der Familie und dem Freundeskreis zusammenstehen können – doch dass über Europas Grenzen hinaus Hilfe ausbleibt.

Das beste, was uns jetzt passieren kann, ist, dass wir lernen. Dass die Politik und wir als Gesellschaft annehmen, was wissenschaftlich schon längst bewiesen ist: Die Erde ist endlich. Unsere Ressourcen sind endlich. Ein Wald darf nur in dem Tempo geschlagen werden, wie neuer Wald nachwachsen kann. Das versteht jedes Kind. Wasser wird durch Übernutzung und die Kontaminierung mit Giftstoffen und Chemikalien immer knapper.

Und nicht nur die Ressourcen der Erde sind endlich, sondern auch die von uns Menschen. Die Doppelbelastung durch Lohnarbeit und häusliche Pflegearbeit ist immens und in Krisenzeiten kaum zu stemmen. Häuslicher Gewalt lässt sich bei Ausgangssperren nur schwer ausweichen, und der Anstieg von Fällen zeigt, was für ein Gewaltpotenzial in vielen Haushalten zu Normalzeiten schlummert.

Was wir brauchen, heißt Ökofeminismus

Niemand von uns hat sich die derzeitige Lage ausgesucht. Kein Mensch wollte, dass so etwas passiert. Doch auf keinen Fall dürfen wir dieselben Fehler machen wie die letzten Male. Wir dürfen nicht mehr auf eine Autoindustrie bauen, denn selbst wenn alle Menschen Elektroautos fahren würden, wäre das keine Lösung des Problems.

 

Ja, das wird erstmal Arbeitsplätze kosten. Doch mit einer gerechten Transitionspolitik werden die Arbeitsplätze nicht weniger werden, sondern sich lediglich verändern und neu gestalten.

Wir brauchen saubere Mobilitätskonzepte, nachhaltige, dezentrale Energielösungen und eine gerechte Umverteilung sämtlicher Ressourcen, sei es Geld, Boden, Strom oder ein Dach über dem Kopf.

Wir brauchen ein Verbot aller Pestizide und einen konsequenten Schutz unseres Grundwassers und unserer Umwelt. Wildtiere und ihre natürlichen Lebensräume müssen geschützt werden, um die Übertragung von weiteren, für Menschen gefährlichen Erregern zu vermeiden.

All das setzt voraus, dass wir uns nicht mehr an einer wachstumsorientierten Wirtschaftsweise festklammern, sondern an Gemeinwohl, Umweltschutz und Menschenrechten.

Es setzt voraus, dass wir uns sowohl einer patriarchalen als auch einer kapitalistischen Denkweise entledigen. Das bedeutet, dass Entscheidungen in Wirtschaft und Politik sich an Werten wie Inklusion, Fürsorge, Nachhaltigkeit und Gesundheit orientieren und nicht an Rücksichtslosigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Dominanz.

Es bedeutet auch, dass sämtliche unbezahlte Arbeit gerecht zwischen den Geschlechtern aufgeteilt wird. Es bedeutet, dass wir Genderrollen hinterfragen und Schutzräume für kritische Männlichkeit öffnen, damit sich jede:r unabhängig von patriarchalen Geschlechterbildern entwickeln kann.

Wir sind Frauen, die es nicht leid werden, wütend zu sein. Wir werden es nicht leid, nach einem gerechten Leben für alle zu streben. Wir sind wie die Pflanze vor unserem Bürofenster, ein Organismus, der auch im Dunkeln wächst und Richtung Himmel strebt, bis er endlich blüht.

Momentan ist unsere Gesellschaft in der seltenen Position zu entscheiden, welche Pflanze gedüngt und gefördert werden soll: das lädierte, mehrmals geflickte patriarchale Kapitalsystem oder die widerstandsfähigen Ideen ökofeministischer Strukturen.

Kein Mensch kann wissen, wo uns ein neuer Weg hinführt. Doch es ist nur logisch und klug, einen neuen Weg zu gehen, wenn der alte immer wieder vor einem Trümmerhaufen endet.

Alternative Modelle gibt es bereits. Wir müssen nur losgehen. Und wenn wir langsam gehen, einen Fuß vor den anderen setzen, schauen, dass alle mitkommen, ungeachtet von Herkunft, Gender oder gesundheitlicher Verfassung, haben wir gute Chancen, das Fleckchen Himmel sicher zu erreichen.

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