Nächtliche Aufnahme der Verdichterstation in Wolokolamsk westlich von Moskau auf dem Weg nach Riga in Lettland.
Erdgas-Verdichterstation bei Moskau: Nicht länger den Krieg bezahlen. (Foto: Iskra Perm/​Wikimedia Commons)

Die Vorstellung ist nicht zu ertragen. Deutschland und Europa stabilisieren mit ihren Euro-Milliarden für Gas, Öl und Kohle ein Regime, das einen an Grausamkeit schwer zu überbietenden Krieg in Europa führt.

Die Nachrichten aus der Ukraine werden von Tag zu Tag schrecklicher, die Kriegsverbrechen, die Putin ausführen lässt, schockieren die Öffentlichkeit. Daher steht spätestens seit Bekanntwerden der Massaker von Butscha die Frage nach einem Erdöl- und Erdgas-Boykott auf der politischen Tagesordnung.

Denn alles, was der Westen bisher getan hat, um den von Moskau angeordneten Verbrechen Einhalt zu gebieten, ist zu wenig.

Eine direkte Militärintervention des Westens wie vor zwei Jahrzehnten in Bosnien und dem Kosovo zur Befriedung des Konflikts verbietet sich. Der Aggressor ist eine Nuklearmacht, und Putin hat bereits mit dem Einsatz von Atomwaffen bei einer "Provokation" durch die Nato gedroht.

Die EU und die USA haben daher, neben diplomatischem Druck für Waffenstillstandsverhandlungen, nur zwei Optionen: weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und härtere Wirtschaftssanktionen.

Die bisherigen Sanktionen haben Russlands Wirtschaft bereits spürbar geschadet, doch Putin und seine militärischen Handlanger beeindrucken sie nicht wirklich. Auch der jüngst von der Europäischen Union beschlossene Boykott von Kohleimporten, der zudem erst in vier Monaten in Kraft tritt, wird das nicht ändern.

Die EU führt russische Kohle für vier Milliarden Euro im Jahr ein – das ist weniger, als sie für den Import von russischem Öl und Gas in einer Woche ausgibt. Noch immer kassiert Moskau aus dem Westen jeden Tag fast eine Milliarde für die Energielieferungen. Das Minus bei den Zahlungen für die Kohle dürfte bei Putin kaum mehr als ein Schulterzucken auslösen.

Das heißt: Die EU und Deutschland als deren größte Volkswirtschaft müssen den generellen Energieboykott gegen Russland schnellstmöglich auf den Weg bringen.

Für sein Öl könnte Moskau zwar andere Abnehmer finden, Indien hat sich schon interessiert gezeigt. Umso mehr kommt es aufs Gas an, bei dem Putin den Hebel nicht so einfach, etwa Richtung China, umlegen kann, weil die dafür nötigen Pipelines fehlen.

Die bisherige Ampel-Strategie, nur sukzessive und bei Gas sogar erst bis im Jahr 2024 aus den russischen Importen auszusteigen, spielt Putin in die Hände. Denn Moskaus Einnahmen steigen wegen der explodierten Gaspreise trotz zurückgehender Liefermengen. Geht das bis 2024 so weiter, könnte der Staat Ukraine dann von der Landkarte verschwunden sein und die Region unbewohnbar.

Energiegeld und "Energiewende-Soli"

Der Preis für einen Erdgas-Boykott ist hoch, keine Frage. Bei allen Überlegungen dazu darf man jedoch nie vergessen, dass der Preis, den die Ukrainer bezahlen, um ein Vielfaches höher ist.

Ökonomen schätzen, dass ein Gasboykott die Wirtschaft im besonders stark vom russischen Gas abhängigen Deutschland um rund fünf Prozent einbrechen lassen könnte. Das ist durchaus dramatisch, aber vergleichbar mit dem Rückgang wegen der Corona-Pandemie. Und dieser konnte durch Staatshilfen so abgefedert werden, dass die ganz große Krise vermieden wurde.

Zu vermuten steht, dass die Bundesregierung längst ein Konzept in der Schublade hat, wie dies auch im Fall eines Gasboykotts funktionieren könnte. Denn damit, dass Putin selbst den Hahn abdreht, musste sie ja seit Beginn des Krieges rechnen.

Das russische Erdgas deckt derzeit laut Bundesregierung noch 40 Prozent des Verbrauchs, nach 55 Prozent im vorigen Jahr. Um einen Boykott durchhalten zu können, braucht es eine Kombination verschiedener Maßnahmen. Darunter auch Einsparungen, zu erreichen durch Infokampagnen und Anreize, inklusive "Frieren für den Frieden", und natürlich einen Turbo beim Ausbau der erneuerbaren Energien.

Zudem eine Ausweitung der Unternehmenshilfen, wie jetzt von der Ampel im Umfang von fünf Milliarden Euro bereits wegen der Energieverteuerungen geplant, dazu großzügige Kurzarbeits-Regelungen sowie höhere Zuschüsse für Haushalte, am besten in Form des "Energiegeldes".

Die Ampel muss insgesamt sicherstellen, dass der soziale Frieden auch unter diesen Bedingungen nicht kippt. Es wäre der richtige Zeitpunkt, um die obersten Einkommensschichten mit einem "Energiewende-Soli" direkt an der Finanzierung zu beteiligen. Und es muss natürlich garantiert sein, dass lebenswichtige Produktion, etwa für Arzneimittel und Nahrungsmittel, weiterlaufen kann.

Und noch eins. Entscheidend ist, dass die Ampel eine Verständigung auf EU-Ebene herbeiführt, wie der Gasboykott gemeinsam abgefedert werden kann, ohne dass ganze Lieferketten kollabieren und die Wirtschaft zusammenbricht.

Nicht alle Länder sind so stark von russischer Energie abhängig wie etwa Deutschland, Italien und Österreich. Daher müsste das in der gesamten Union verfügbare Erdgas so verteilt werden, dass nicht einzelne Länder oder Industrien abgehängt werden.

Für manche mag das nach Kriegs-Planwirtschaft klingen. Aber was erleben wir gerade anderes als einen Krieg, in dem die EU bereits Partei ist?

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