Schüler beim Fridays-for-Future-Protest.
Fridays for Future beim Kimastreik am 25. Januar. (Foto: Svea Busse)

Na, Gott sei Dank! Anders als eine höchst unglückliche Formulierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz es vermuten ließ, glaubt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) offenbar nicht, dass die Schulstreik-Bewegung Fridays for Future Teil einer russischen hybriden Kriegsführung im Internet ist. Merkel finde das "Engagement der Schüler für die Klimapolitik" sogar "ausdrücklich gut", rückte Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter die Medienberichte zurecht.

Das ist natürlich heuchlerisch. Schließlich ist die Klimapolitik – oder das, was die Industrieländer und allen voran die Merkel-Regierungen so nannten und nennen – der Anlass für die Freitagsproteste. In letzter Zeit mal wieder versucht, ein Klimagesetz zu verschleppen? Aber immerhin ist die abstruse Unterstellung aus der Welt.

Mit Fake News, die von ihren Urhebern nicht als Missverständnisse entschärft werden, und mit Diffamierungen hat "Fridays for Future" genug zu tun. Wer Angst um seine Deutungshoheit in der fossil angetriebenen Welt hat, verteidigt sie in diesen Wochen, indem er die Schul- und Unistreiks kleinredet. Junge Menschen fordern lautstark eine halbwegs lebenswerte Zukunft für sich ein. Und das Imperium kläfft zurück.

Die Erzählung von den heimlichen Strippenziehern

Da sind die (teils nur mental) alten, rechten Männer, denen es offenbar nicht passt, dass bei Fridays for Future junge – und dann auch noch oft weibliche – Personen in die Mikros und Kameras sprechen. Vor allem die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die vor einem halben Jahr allein mit dem Schulstreiken begonnen hatte, steht gleichermaßen im Scheinwerferlicht wie im Kreuzfeuer der (sozialen) Medien.

Meist kommen Beleidigungen von anonymen Internet-Trollen, oft genug aber auch von Meinungsführern ihrer politischen Sphären. Nur als Beispiele: CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak (hier), Publizist Henryk M. Broder (hier), gleich mehrere Autoren des rechten Blogs "Tichys Einblick" (hier, hier und hier). Das herrschende Narrativ: Die 16-jährige Thunberg sei so etwas wie eine Marionette, an deren Strippen ihre Eltern oder bekannte Umweltschützer ziehen, um sich Aufmerksamkeit für ihre Interessen und nicht zuletzt Karrieren zu verschaffen.

Solche Puppenspieler-Erzählungen müssen sich nicht nur einzelne Sprecherinnen von Fridays for Future gefallen lassen, sondern auch die ganze Bewegung. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen debattierte man diese Woche auf Antrag der AfD darüber, ob die Schüler nun in der Schulzeit auf die Straße gehen dürfen oder nicht.

Die Rechten stellten die Schüler dabei als Opfer einer Art Verschwörung aus Erneuerbaren-Wirtschaft und gewalttätigen, anarchistischen Studierenden der Siebzigerjahre dar, die nun in Scharen auf Medien, Schulen, Unis, SPD und Grüne verteilt seien. Sie alle würden die "Arglosigkeit und den Idealismus junger Menschen" ausnutzen, wie es der AfD-Redner Helmut Seifen formulierte.

Dieser Aneinanderreihung von Unfug wollte sich zwar keine andere Landtagsfraktion anschließen, CDU und FDP empfahlen den teilnehmenden Schülern aber, künftig außerhalb der Schulzeit zu protestieren. Als ob die Jugendlichen bisher einfach nicht von selbst auf die Idee gekommen wären, eine Demo für Samstagnachmittag nach den Hausaufgaben zu organisieren.

All das läuft im Subtext auf ein Fazit hinaus: Man könne Fridays for Future eigentlich nicht ernst nehmen, weil den Streikenden nicht so richtig klar sei, was sie da eigentlich tun.

Neue Gesichter der Klimakrise

Dafür gibt es nun aber keine Anhaltspunkte. Die Bewegung organisiert sich klug, sie wächst, sie schafft es in die Medien und in große politische Arenen. Dass sich die Schüler ihrer Schulpflicht widersetzen, ist ein bewusster symbolischer Regelbruch, ein Akt zivilen Ungehorsams. Kollektive Leistungsverweigerung in der Schule gegen kollektive Leistungsverweigerung in der Klimapolitik.

Nach Beispielen für letztere muss man in Deutschland nicht lange suchen. Stichwort Kohlekompromiss. Dieser ist der Inbegriff dessen, was die Schüler kritisieren: der Versuch eines Interessenausgleichs zwischen der Industrie, den Gewerkschaften – also Gruppen, die tatsächlich Interessen vertreten – und, nun ja, dem Weltklima. Das musste zu einem klimapolitisch miserablen Ergebnis führen – und hat, wie sich nun zeigt, nicht einmal den gewünschten breiten Konsens aller Beteiligten hervorgebracht. Bei dem Streit der großen Koalition um das Klimaschutzgesetz geht es im Kern um dasselbe.

Wir haben hier ein Paradebeispiel für eine Situation, in der ziviler Ungehorsam legitim erscheint: Die üblichen Formen der demokratischen Teilhabe – wählen und brav demonstrieren zum Beispiel – führen offenbar nicht dazu, dass politisch umgesetzt wird, was ethisch geboten, energiewirtschaftlich machbar und sogar mehrheitlich gewollt ist. Das ist der Punkt, an dem der Schulstreik ansetzt.

In Deutschland genießen die Schüler und Studierenden immerhin schon die Unterstützung einer knappen Mehrheit der Bevölkerung, wie das Umfrageinstitut Civey für den Spiegel herausgefunden hat. Das ist jetzt schon ein großes Verdienst von Fridays for Future: Die Bewegung rüttelt wach. Durch die starke Betroffenheit und die Entschlossenheit ihrer Mitglieder gibt sie der Klimakrise zehntausende Gesichter.

Lesen Sie dazu auch den Gastbeitrag von Kathrin Henneberger: Toxische Männer

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