Reisende in der Abfertigungshalle eines Flughafens, durch das große Fenster ist zu sehen, wie die tief stehende Sonne auf das Rollfeld scheint.
Der neue IPCC-Bericht sieht Mensch, Klima und Natur in engerem Zusammenhang. (Foto: Rudy und Peter Skitterians/​Pixabay)

Seit einer Woche sitzen sie virtuell zusammen, wägen Satz für Satz ab und haben noch eine ganze Woche mit Debatten vor sich – hunderte Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe zwei des Weltklimarates, des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).

Etwa alle sechs Jahre legt der Weltklimarat einen umfangreichen Bericht vor, der den weltweiten Stand der Forschung zusammenfasst – zum Klimawandel, seinen Folgen und den Möglichkeiten, den Planeten zu schützen.

Am 28. Februar soll vom sechsten IPCC-Sachstandsbericht der zweite Teil erscheinen. Über den beugen sich gerade die Fachleute der Arbeitsgruppe zwei, vor allem über den wichtigsten Teil: die Zusammenfassung für Politiker (summary for policy makers).

Der neue IPCC-Teilbericht beschäftigt sich vor allem mit den Folgen des Klimawandels und den Möglichkeiten, sich daran anzupassen. Er werde wie kein anderer zuvor zeigen, "wie sehr sich die Welt aufgrund des Klimawandels schon verändert hat und mit welchen katastrophalen Klimarisiken wir in Zukunft rechnen müssen – je nachdem, wie schnell und wie weit wir den Ausstoß der Treibhausgase senken", stimmt Hans-Otto Pörtner, einer der beiden Co-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe zwei, bei einem kürzlichen Pressegespräch des Forschungsverbunds Deutsches Klima-Konsortium die Öffentlichkeit auf das zu Erwartende ein.

Nicht allein, weil er Klimafolgen wie Hitze, Dürre, Niederschlagsextreme oder neue Krankheitserreger behandelt, wird der neue Bericht für Furore sorgen. Diesmal würden die Wissenschaftler die Zusammenhänge zwischen Mensch, Klima und Natur "in sehr viel engerer und deutlicherer Weise" als früher darstellen, charakterisiert Pörtner die neue Qualität.

"Silodenken" im Klimaschutz

In der Klimadebatte dominiert für den Meeresbiologen noch das "Silodenken". Was er meint, lässt sich anhand der Ansprüche illustrieren, die derzeit zum Beispiel an die Landnutzung gestellt werden.

Windkraftbetreiber wollen berechtigterweise mehr Fläche, aber auch Naturschützer, um die Artenvielfalt zu retten, oder die Bundesregierung, die jedes Jahr 400.000 Wohnungen neu bauen will.

Für Pörtner ist es aber auch eine Art "Silodenken", wenn heute beispielsweise 70 Prozent der globalen Ackerfläche für die Produktion von Tierfutter genutzt werden. "Wir brauchen etwa zehn Kilo Pflanzenmasse, um ein Kilo Tierfleisch zu erzeugen", rechnet er vor.

Mit einer konsequenten Umstellung der Ernährungsweise täte die Menschheit nicht nur direkt etwas für den Klimaschutz, weil Emissionen von Methan und Lachgas aus der Tierhaltung zurückgingen – zugleich würde viel Landfläche für Biodiversität, Arten- und Flächenschutz gewonnen und natürlich auch zur Produktion solcher Lebensmittel, die nicht den Umweg übers Tier nehmen müssen.

Für Pörtner wird auch die Speicherung von Kohlendioxid noch viel zu sehr aus dem "Silo" Technologie betrachtet. Im Klimaziel der EU – Klimaneutralität bis 2050 – sei bereits ein Prozentanteil an CO2 eingerechnet, der in natürliche Ökosysteme "verpackt" werden soll.

So ein Vorgehen setze ja voraus, so Pörtner, dass die Ökosysteme das Speichern auch hinbekämen. "Wir haben aber jetzt schon eine Dämpfung wichtiger CO2-Speichersysteme wie des Regenwaldes und borealer Wälder", warnt der Biologe. Das seien Warnzeichen. "Es gibt nicht mehr die Schublade, wo man CO2 hineintun kann, sondern man muss diese Schublade hegen und pflegen", erklärt er.

Kleine Klimaänderungen mit großer Wirkung

Vom einem Hegen und Pflegen kann derzeit nicht die Rede sein, beklagt Josef Settele, Leiter der Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Der menschengemachte Klimawandel bedrohe zunehmend die heutige Natur, warnt er.

Settele hat dabei nicht allein die großen, sichtbaren Zerstörungen durch Dürren, Hitzewellen oder Waldbrände im Blick. Schon kleinere, durch veränderte Temperaturabläufe zeitlich verschobene Aktivitäten reichten aus, um die Natur aus ihrem Gleichgewicht zu bringen.

Als Beispiel nennt er die Flugzeiten von bestäubenden Insekten, die häufig nicht mehr mit den klimabedingt verschobenen Blühzeiten der Pflanzen übereinstimmen. Dann fliegen die Bestäuber zu früh oder zu spät aus.

Settele fordert, 30 bis 50 Prozent der kontinentalen Lebensräume sowie der Weltmeere unter Schutz zu stellen, um den Rückgang der Artenvielfalt aufzuhalten. Dies sei "keine utopische Zahl", wenn man unterschiedliche Schutzkategorien einbeziehe. Es gehe nicht nur um Totalreservate, sondern auch um geschützte Kulturlandschaften.

Dass diese Forderung für viele Wirtschaftstreibende ein Affront ist, ist dem Wissenschaftler sicher klar – nur gibt es, wie Settele durchblicken lässt, wohl keine Alternative. "Wer die Zusammenhänge von Klima, Natur und den Lebensgrundlagen des Menschen ignoriert, wird keine Erfolge beim Klimaschutz feiern", betont der Ökologe.

Integrierte Ansätze gefragt

Auch in städtischen Regionen werden Klimaschutz und Klimaanpassung noch weitgehend getrennt betrachtet, bekräftigt Daniela Jacob, Direktorin des Climate Service Center Germany, das im Auftrag der Bundesregierung die Ergebnisse der Klimaforschung für Deutschland sammelt und aufbereitet. Beim Klimaschutz gehe es meist um die Stadt der kurzen Wege, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder energieeffiziente Gebäude – und beim Thema Anpassung eben um Hitzeperioden oder den Umgang mit Starkregen.

Jacob plädiert dafür, beides zusammenzudenken, beispielsweise die "blaue", auf den Wasserhaushalt ausgerichtete Infrastruktur der Städte mit der "grünen", auf Bäume und Grünflächen ausgerichteten.

Es gehe ihr um ein intelligentes, grünes Bauen, sagt sie. In Städten sei ein Verbundnetz von Grünflächen und Gründächern denkbar. Natürliche Verschattungen könnten die Sonnenwirkung abschwächen und zugleich den häuslichen Kühlbedarf und die dafür benötigte Energiemenge senken.

Tatsächlich wären schon heute klimapolitische Doppel- und Mehrfacheffekte in der Kombination von Natur und Technik möglich. Fassaden, die vor Hitze schützen, könnten zugleich mittels Fassaden-Photovoltaik Strom erzeugen. Unter Photovoltaik-Dachanlagen könnte es grün sprießen.

Dasselbe gilt für Landschaften. Nicht nur Windkraft, auch Photovoltaik könnte weiterhin genutzte Agrarflächen überspannen oder auch – die neueste Idee – renaturierte Moorflächen.

Ein faszinierendes Konzept: Der größte Teil einstiger Moore in Deutschland wird heute als Grünland genutzt – als Weide oder zur Futtergewinnung für Rinder. Eine Umstellung der Ernährung auf weniger Fleisch und Kuhmilch, wie sie Hans-Otto Pörtner vorschwebt, würde es erleichtern, einen Großteil der Moore aus der Nutzung zu nehmen, sie wiederzuvernässen und als natürlichen CO2-Speicher zurückzugewinnen.

Käme dann noch Photovoltaik obendrauf, ohne den Moorschutz zu beeinträchtigen, ergäbe das eine bisher nicht gekannte natürlich-technische CO2-Senke.

Nicht ohne Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas

Bei allen Bemühungen um Natur und Biodiversität muss – da lassen auch die Klimaexperten keinen Zweifel – der klassische Klimaschutz weiter die erste Rolle spielen. Josef Settele: "Erfolge werden sich erst einstellen, wenn wir den Einsatz fossiler Brennstoffe massiv reduzieren. Daran führt kein Weg vorbei. Die Emissionen komplett zu kompensieren, ist nicht zu schaffen."

Auch für Pörtner ist die CO2-Reduktion die entscheidende Voraussetzung, damit es überhaupt eine Zukunft gibt.

Aus dem Zusammenspiel veränderter Temperaturen und dem noch verfügbaren globalen CO2-Budget ergibt sich für den IPCC-Experten eine knapp bemessene Frist, in dem sich noch eine vernünftige Klimapolitik betreiben lässt und die Gesellschaften resilient, widerstandsfähig gegenüber dem Klimawandel, werden können.

Und für ihn ist die Botschaft des kommenden neuen Kapitels des Weltklimaberichts ziemlich eindeutig: "Das Zeitfenster für eine klimaresiliente Welt schließt sich."

Auch Daniela Jacob warnt. "Wir können uns nicht an alles anpassen, insbesondere, wenn wir über drei Grad globalen Temperaturanstieg hinauskommen. Dann haben wir regional bis zu sechs Grad Plus – und dann ist Schluss."

Dann geht es nicht mehr um Klimaschutz und -anpassung, sondern ums blanke Überleben der Zivilisation.

Interview mit IPCC-Mitautorin Friederike Otto: "Der Klimawandel ist ein Gerechtigkeitsproblem"

Ergänzung am 28. Februar:

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