Zwei Windräder stehen in einem Mischwald, davor ein Weizenfeld.
Windkraft im Wald soll möglich sein, Windkraft im FFH-Schutzgebiet nicht. (Foto: Andreas Deutsch/​Pixabay)

"Klimaschutz braucht Rückenwind" betitelt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) seine mehr als 100-seitige Stellungnahme zum Ausbau der Windenergie, die Klimareporter° vorliegt.

Mit dem Rückenwind wird es allerdings nichts, wenn es mit der Windkraft politisch und rechtlich so weitergeht wie bisher. Das macht das SRU-Papier klar. Nach mehr als 20 Jahren Windkraftausbau wird Bund und Ländern ein planerisches Chaos attestiert – auch wenn es die Regierungsberater so explizit nicht aufschreiben.

Wortreich beklagen sie aber, dass die derzeitige räumliche Verteilung der Windkraft "keine transparente Gesamtabwägung auf Bundesebene" zur Grundlage habe, sondern in erster Linie individuellen Standortentscheidungen bei teils mangelhafter Regulierung folge. Für die Bürger seien die Entscheidungen für Anlagenstandorte "nur begrenzt nachvollziehbar" und sie hätten auch kaum Einflussmöglichkeiten.

Bis heute sei rechtlich nicht einmal geklärt, ob die Rotoren der Windanlagen die Grenzen der ausgewiesenen Flächen nun überragen dürfen oder nicht, stellt der SRU fest. Bei Genehmigungen nach Bebauungs- und Flächennutzungsplänen dürften sie es nicht, bei Regionalplänen aber sei die Frage offen.

Der rechtliche Unterschied ist tatsächlich kein geringer. Deutschlandweit könnten etwa 20 Prozent mehr Windanlagen errichtet werden, wenn der Mast bis an die Grenze der ausgewiesenen Fläche heranrücken dürfte, zitiert die Stellungnahme einschlägige Berechnungen.

Bislang gibt es auch keine allgemeingültigen rechtsverbindlichen Standards für die artenschutzrechtlichen Prüfungen, listet der Umweltrat weiter auf. Stattdessen existiert eine Vielzahl von Leitfäden, Methodenvorschlägen, Untersuchungsergebnissen, Bewertungs-­ und Handlungsempfehlungen, zu denen noch Windenergieerlasse und Leitfäden der Länder kommen.

Kommunen sollen Flächen nicht mehr pauschal sperren können

"Um die Ausbauziele verträglich für Mensch und Natur, aber auch zügig zu erreichen und zugleich die Akzeptanz zu wahren, muss der Rechtsrahmen verändert werden", schlussfolgert denn auch SRU-Mitglied Wolfgang Köck. Der Jurist betreute die Stellungnahme federführend und leitet im Hauptberuf die Abteilung Umwelt- und Planungsrecht beim Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).

Wie das im Koalitionsvertrag vereinbarte Zwei-Prozent-Flächenziel für die Windkraft zu erreichen ist, solle "idealerweise" in Bund-Länder-Gesprächen ausgehandelt werden, sagt Köck. Das Gesprächsformat allein genüge aber nicht.

Der Umweltrat will die zwei Prozent am Ende in einem Bundesgesetz verankert sehen, konkret in einem Windenergie-an-Land-Gesetz. "Das gibt den Ländern vor, entsprechende Windnutzungsräume bereitzustellen. Diese können dafür ihre Instrumente der Landesplanung und Regionalplanung nutzen", erläutert Köck gegenüber Klimareporter°.

Auch müsse die Praxis beendet werden, dass regionale und kommunale Planungsträger einen Teil ihrer Gebiete derzeit pauschal für Windenergie sperren können. "Davon wird bislang ausgiebig Gebrauch gemacht", kritisiert Köck.

Gebiete planerisch zu sperren, solle künftig nur noch dann zulässig sein, wenn der Planungsträger insgesamt genügend Flächen ausgewiesen hat, um das Windkraftnutzungsziel erreichen zu können.

Einen ähnlichen Vorschlag hatte die Stiftung Klimaneutralität unterbreitet: Sofern Gemeinden oder kommunale Gemeinschaften genügend Windflächen ausweisen, damit am Ende landes- und bundesweit das Zwei-Prozent-Ziel erreicht wird, behalten sie die Planungshoheit – tun sie das nicht, geht die Planungshoheit auf andere über.

Für den Umweltrat soll die konkrete Ausweisung von Windnutzungsflächen zunächst "originäre" Aufgabe der Regionalplanung bleiben, betont Köck. Sollte diese aber die Frist zur Flächenbereitstellung nicht einhalten, empfiehlt der Umweltrat, das Recht so zu ändern, dass von planerischer auf projektbezogene Steuerung umgestellt wird.

Finanzielle Beteiligung statt Abbau von Klagerechten

"Konkret bedeutet das, dass dann über die Privilegierungsregelung für die Windenergie in Paragraf 35 des Baugesetzbuchs unmittelbar Baurecht geschaffen wird", erklärt Köck. "Dann dürfen Windenergieanlagen nicht nur auf ausgewiesenen Flächen, sondern im gesamten Außenbereich errichtet werden – wenn nicht andere Gründe wie Arten- oder Immissionsschutz dagegensprechen."

Unerlässlich sei dabei, so Köck, die bestehende Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch aufzuheben und insbesondere die 10-H-Regelung und die 1.000-Meter-Abstandsregel abzuschaffen. So könne schnell und ohne Planungsaufwand sehr viel Fläche mobilisiert werden. "Der Bund kann das auch eigenständig über seine Kompetenzen im Bodenrecht regeln."

Um das Wohnumfeld effektiv zu schützen, reichen nach Ansicht des Umweltrates die geltenden Regelungen im Immissionsschutz- und Baurecht aus. Hier sehe der Umweltrat keinen Änderungsbedarf, sagt Köck. Den gebe es auch nicht bei den Rechten der vor Ort Betroffenen.

"Um die Planungen zu beschleunigen, halten wir bisherige Rezepte wie den Abbau von Beteiligungs- und Klagerechten der Bürgerinnen und Bürger nicht für zielführend", stellt Köck klar. Um die Akzeptanz zu verbessern, sollten vielmehr die Regionen, die für Windkraft genutzt werden, besser an der Wertschöpfung beteiligt werden, fordert der SRU-Experte. "Das ist ein Defizit im gegenwärtigen System."

Dem Umweltrat schweben da verschiedene Möglichkeiten vor: finanzielle Beteiligung der Gemeinden, Förderung lokaler Energiegemeinschaften oder Vorteile für Stromkunden. "Wenn die durch die Windkraft betroffenen Räume besser von der Windnutzung profitieren, werden sie die Vorteile auch erkennen", ist sich der SRU-Experte sicher.

Nur strenge Schutzgebiete sollen ausgeschlossen bleiben

Beim Natur- und Artenschutz zeigt sich der Umweltrat überraschend kompromissbereit. "Wir denken, dass nicht alle in Deutschland ausgewiesenen Schutzgebiete einen strengen Schutz vor der Windenergie erfordern", sagt Köck. Bei schwächeren Schutzkategorien wie Landschaftsschutzgebieten sei der Umweltrat durchaus offen, zu schauen, ob Windkraftanlagen realisiert werden können.

Diese Empfehlung habe sich der SRU nicht leicht gemacht, betont Köck. Aber in einigen Regionen nähmen Landschaftsschutzgebiete bis zu 40 Prozent der gesamten Fläche ein. "Würde man diese Gebiete komplett ausnehmen, würde es schwierig sein – auch mit Blick auf alle anderen Landnutzungen – auf ausreichend Windflächen zu kommen", gibt er zu bedenken.

So ganz wohl ist den Umweltberatern dabei aber offenbar nicht. Die Politik sei geneigt, die Windkraft von den Städten fernzuhalten und lieber weit in Gebiete zu gehen, wo der Artenschutz stärker unter Druck gerät, räumt Köck ein. Windkraft sollte nach Ansicht des SRU deswegen in strengen Schutzgebieten wie dem Natura-2000-Netzwerk ausgeschlossen bleiben. "Der Schutz der strengen Schutzgebiete ist uns sehr wichtig", sagt Köck.

Ähnlich abwägend beurteilt der Umweltrat auch den Ausbau der Windkraft in Wäldern. Auch diese sollten nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, so Köck. Es komme aber darauf an, wie schutzwürdig das einzelne Waldgebiet ist. Natura-2000-Waldgebiete würden dabei strenger bewertet, sagt Köck. Alte, artenreiche Laub- und Mischwälder sollten gänzlich von Windenergie freigehalten werden.

"Klimaschutz braucht Rückenwind" hatte der Sachverständigenrat übrigens schon ein Impulspapier überschrieben, das er letztes Jahr Anfang Oktober als Vorarbeit vorgelegt hatte. Inzwischen hat das Land eine neue Regierung – die Probleme aber sind die alten.

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