Die Sonne strahlt vom blauen Himmel auf einen im Vordergrund stehenden Grashalm.
Extreme Hitzeereignisse werden häufiger und intensiver. (Foto: Yves Bernardi/​Pixabay)

Klimareporter°: Frau Otto, am Montag erscheint der zweite Teilbericht des sechsten IPCC-Sachstandsberichts. Worum geht es darin?

Friederike Otto: Der erste Teil des neuen IPCC-Berichts hat gezeigt, wie sich durch den Einfluss des Menschen das Klima und damit auch Extremereignisse verändert haben. Der zweite Teil ist jetzt im Prinzip die Antwort auf die Frage "So what?": Warum ist der Klimawandel relevant, wie wirkt er sich aus und was bedeutet das für unsere globale Gesellschaft?

Warum ist dieser zweite Teilbericht so wichtig?

Ob und wann die Änderungen in Wetter und Klima zur Katastrophe werden, hängt vor allem von unserer vulnerability, also der Verwundbarkeit, ab sowie von der exposure, der Gefährdung. Diese Faktoren bestimmen, was uns der Klimawandel kostet und wie wir uns anpassen können. 

Wäre der Klimawandel ein rein physikalisches Phänomen oder die Welt ausschließlich von reichen, weißen Männern bewohnt, bräuchten wir uns um ihn keine Sorgen zu machen. Aber so ist es nicht. Wir als Gesellschaft sind verwundbar. Deswegen müssen wir uns überhaupt um den Klimawandel kümmern. Wie dieser sich als gesellschaftliches Problem manifestiert – genau darum geht es im zweiten Teil des Berichts.

Und wie zeigt sich der Klimawandel? Wie verletzlich und gefährdet sind wir?

Der Bericht wird deutlich machen, dass der Klimawandel nichts ist, was irgendwo anders oder irgendwann in der Zukunft stattfindet. Er ist längst gewissermaßen unter uns und führte schon in den letzten Jahrzehnten zu extrem hohen Kosten. Diese werden vor allem von den Menschen am unteren Ende der Gesellschaften getragen. Der Klimawandel ist ein Gerechtigkeitsproblem. Das ist keine theoretische Erkenntnis mehr.

Welche Rolle spielt dabei Ihr Forschungsbereich, die Attributions- oder Zuordnungsforschung?

Die Attribution ist in diesem Bericht extrem wichtig. Im Wesentlichen bringt sie das zusammen, was wir an Daten über den Klimawandel zur Verfügung haben, und das, was wir erleben, zum Beispiel bei Extremwetter. Damit können wir kausale Zusammenhänge zwischen dem menschengemachten Klimawandel und konkreten Wetterereignissen und Schäden nachweisen – oder eben auch zeigen, dass diese nicht existieren.

In den bisherigen Sachstandsberichten wurden die Vorgänge – mit Ausnahme der globalen Mitteltemperatur – jeweils getrennt betrachtet. Beobachtungsdaten, Projektionen und Verwundbarkeit hatten jeweils eigene Kapitel.

Das hat sich im jetzigen Bericht geändert?

Die Attribution zieht sich durch den gesamten Bericht. In jedem Kapitel findet sich mindestens ein Abschnitt dazu, oft sind es mehrere. Damit erklären wir, was wir über die Hintergründe der zuvor beschriebenen Beobachtungen wissen. Viele Aussagen werden dadurch deutlich stärker. Wir verstehen besser, warum Dinge passieren und welche Ereignisse durch den Klimawandel zunehmen werden – oder eben auch nicht. Attribution bringt alles zusammen.

In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich vor allem mit Extremwetterereignissen. Welchen Einfluss hat der Klimawandel hier?

Ganz wichtig ist: Der Klimawandel macht nicht jedes Extremereignis schlimmer. Und auch dann, wenn der Klimawandel eine Rolle spielt, muss das nicht zwingend eine große Rolle sein. Aber als Gesellschaft haben wir uns in hunderten von Jahren an ein sehr stabiles Klima angepasst. Dadurch können schon kleine Änderungen zu großen Schäden führen.

Friederike Otto

ist Klima­forscherin am Grantham Institute des Imperial College London und Mitglied im Heraus­geber­rat von Klima­reporter°. Die Physikerin und Philosophin ist Mit­begründerin der Zuordnungs­forschung (attribution science), die den Anteil des Klima­wandels an Extrem­wetter­ereignissen berechnet. Otto wurde 1982 in Kiel geboren, sie hat an der Freien Universität Berlin promoviert. Sie ist als Autorin am Sechsten Sach­stands­bericht des IPCC beteiligt.

Zum Beispiel Extremniederschläge: In großen Teilen der Welt werden sie durch den Klimawandel wahrscheinlicher. Auch ihre Intensität nahm bislang um rund 15 Prozent zu. Das ist zwar eine relativ geringe Änderung, kann aber den Unterschied machen, ob zum Beispiel eine bestimmte Straße bei einer Flut überschwemmt wird oder nicht.

Für fast alle Extremereignisse bedeutet der Klimawandel vor allem more of the same – eine Steigerung von dem, was wir schon haben. Das ist wichtig, weil unsere Anpassungsstrategien, mit denen wir zu resilienteren, widerstandsfähigeren Gesellschaften werden können, dann weiterhin funktionieren.

Eine Ausnahme sind Hitzewellen. Dort ist der Klimawandel ein absoluter Gamechanger. Er macht diese Ereignisse deutlich heißer und wahrscheinlicher – nicht zwei- bis dreimal wahrscheinlicher wie bei Extremniederschlägen, sondern hundert- oder gar tausendmal. Deswegen brauchen wir eine komplett andere Strategie, wie wir mit Hitze umgehen.

Sie haben an dem Bericht der Arbeitsgruppe zwei als contributing author mitgewirkt und sind Autorin für den Synthesebericht, der im September erscheinen soll. Haben Sie angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise den Eindruck, dass sich die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft verändert hat?

Es gibt deutlich weniger Wissenschaftler, die der Idee nachhängen, die Wissenschaft sei neutral oder frei von Politik. Es ist vielmehr unsere Aufgabe, nicht nur Zahlen in die Welt zu schmeißen, sondern sie auch zu interpretieren. Unser Selbstverständnis hat sich deutlich geändert – weil die physikalischen Tatsachen immer drängender werden, aber auch durch das, was sich in der Politik entwickelt hat.

Wissenschaftler bringen sich aktiver in den öffentlichen Diskurs ein und legen einen klaren Schwerpunkt auf Kommunikation. Es ist eben nicht nur wichtig, dass man wissenschaftliche Nachweise hat, sondern auch, dass man sie zur richtigen Zeit und am richtigen Ort verständlich einbringt. Das ist ein wesentlicher Teil dessen, was wir als Autoren des IPCC-Berichts erreichen wollen.

Was kann dieser zweite Teilbericht bewirken?

Ich hoffe, er trägt dazu bei, dass wir die Kosten des Klimawandels nicht mehr so wahnsinnig unterschätzen. Bislang werden in der politischen Debatte viele progressive Maßnahmen, die den Klimawandel begrenzen oder zur Anpassung beitragen sollen, mit dem Kosten-Argument abgewürgt. Dabei ist es eigentlich umgekehrt: Mit sinnvollem Klimaschutz würden wir unglaublich viel Geld sparen.

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