Gülle wird von einem Tankfahrzeug auf dem Acker verteilt.
Industrielle Tierhaltung lässt sich nicht klimafreundlich umgestalten, meinen unsere Gastautor:innen. (Foto: Myriam Zilles/​Pixabay)

Die Nutztierhaltung steht in Deutschland seit Jahren in der öffentlichen Kritik. Nicht zuletzt, weil die Erzeugung von Fleisch, Milch und Eiern maßgeblich zur menschengemachten Klimakrise beiträgt.

Tierprodukte verursachen deutlich mehr Treibhausgasemissionen als pflanzliche Produkte – nicht nur, weil in Rindermägen und Güllebecken Methan entsteht, sondern vor allem, weil die Tierhaltung viel mehr Fläche und Ressourcen beansprucht als die Erzeugung pflanzlicher Lebensmittel.

Die Potenziale für den Klimaschutz, die sich aus einer Umstellung von Landwirtschaft und Ernährung ergeben, sind riesig. Würden alle Menschen in Deutschland komplett auf Tierprodukte verzichten, würden die Emissionen aus der Ernährung um 38 Prozent sinken, schätzt der wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

Zusätzlich zu diesem Einsparpotenzial ergibt sich ein Einlagerungspotenzial, das der Beirat nicht berücksichtigt hat: Durch den Abbau der Tierbestände würden immense Acker- und Grünlandflächen frei, auf denen bislang Futterpflanzen wachsen und die stattdessen durch Wiedervernässung von Mooren, Aufforstung und Renaturierung große Mengen Treibhausgase binden könnten.

Aus wissenschaftlicher Sicht besteht daher Einigkeit, dass die Emissionen aus der Landwirtschaft und dem Ernährungssystem nur dann stark gesenkt werden können, wenn die Tierbestände und der Tierproduktkonsum mindestens stark reduziert werden.

Umgekehrt zeigt eine Studie, was passiert, wenn sich das globale Ernährungssystem so weiterentwickelt wie bisher: Dann wird dieses allein dafür sorgen, dass die Erde um mehr als 1,5 Grad und wahrscheinlich über zwei Grad erwärmt wird – selbst wenn alle anderen Emissionen sofort gestoppt würden, wonach es offensichtlich nicht aussieht.

Die EAT-Lancet-Kommission hat untersucht, welche Ernährungsweise mit den planetaren Grenzen vereinbar ist. Das Ergebnis: Der Konsum von rotem Fleisch müsste hierzulande um 90 Prozent zurückgehen, der Konsum von Tierprodukten insgesamt um 75 Prozent.

Hinzu kommt: Die Tiere leiden massiv in den üblichen Haltungsanlagen. Zahlreiche Gesundheitsrisiken sind mit der Tierindustrie und dem hohen Tierkonsum verbunden.

Die Branche steht nicht zuletzt für extreme Ausbeutung von Beschäftigten, wie zuletzt in der Coronakrise deutlich wurde. Und im globalen Süden beraubt die Tierindustrie die lokale indigene und kleinbäuerliche Bevölkerung ihrer Lebensgrundlage durch die aggressive Erschließung von neuen Weideflächen und Land zur Futtermittelproduktion.

13 Milliarden pro Jahr für die Tierwirtschaft

Es ist aus all diesen Gründen klar, dass es so nicht weitergehen darf. Aber die Lösungen, die derzeit diskutiert werden, gehen an der Herausforderung vorbei. Oft wird gesagt, dass der Schlüssel für eine Veränderung des Landwirtschafts- und Ernährungssystems bei den Konsument:innen liege.

Die Verantwortung der Unternehmen der Tierindustrie, die entscheidend vom bestehenden System profitieren, werden dabei genauso übersehen wie das Ausmaß, in dem der Status quo ein Ergebnis staatlicher Politik ist.

Eine aktuelle Studie, die vom überregionalen Bündnis "Gemeinsam gegen die Tierindustrie" am gestrigen Donnerstag veröffentlicht wurde, fasst erstmals eine Vielzahl von staatlichen Fördermaßnahmen zusammen und zeigt: Mehr als 13 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern fließen jedes Jahr auf direktem oder indirektem Weg in die Tierwirtschaft.

Porträtaufnahme von Friederike Schmitz.
Foto: privat

Friederike Schmitz

ist Autorin und Referentin zu Tierethik und Klima­gerechtigkeit. Zuletzt erschien ihr Buch "Tiere essen – dürfen wir das?". Sie engagiert sich auch im Bündnis "Gemeinsam gegen die Tierindustrie" und hat die besprochene Studie mitverfasst.

Dazu gehören zum Beispiel die EU-Direktzahlungen, die pro Fläche ausgezahlt werden. Weil mehr als 60 Prozent der Agrarfläche in Deutschland dem Anbau von Futtermitteln dient, fördert dieser Anteil des Geldes – 2,85 Milliarden Euro pro Jahr – im Endeffekt die Tierwirtschaft.

Ein weiterer großer Posten ist die Agrarsozialpolitik, mit der das Agrarministerium die Einkommen der Landwirt:innen aufbessert. Fast zwei Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe sind auf Tierhaltung oder Futtermittelanbau spezialisiert – so unterstützt der Staat die Erzeugung von Tierprodukten mit mehr als 2,7 Milliarden Euro pro Jahr.

Außerdem gehen dem Staat mehr als fünf Milliarden Euro an Steuereinnahmen allein dadurch verloren, dass für viele Tierprodukte noch immer nur der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt. Auf diese Weise wird also der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern subventioniert.

Zusammen mit weiteren Posten wie Zuschüssen für Stallbauten und Gülletechnik ergibt sich die Summe von 13,2 Milliarden Euro, die der Tierwirtschaft insgesamt zugutekommen. Viele weitere Förderungen ließen sich anhand der vorhandenen oder verfügbaren Daten nicht quantifizieren, es ist also davon auszugehen, dass die wirkliche Summe noch deutlich höher liegt.

Die Studie macht deutlich, dass der verbreitete Fokus auf den individuellen Fleischkonsum das Problem verkürzt: Die staatliche Förderpolitik ist für die negativen Folgen des Ernährungssystems mitverantwortlich und hat das gegenwärtige Ausmaß der Tierindustrie erst ermöglicht. Es braucht deshalb dringend politische Lösungen – um die Treibhausgase zu senken, Tierleid und Ausbeutung zu verringern und schließlich zu beenden.

"Tierwohl"-Pläne gehen nach hinten los

Die Bundesregierung schien zwischenzeitlich bereit, politische Schritte einzuleiten: Die von Agrarministerin Julia Klöckner einberufene Borchert-Kommission, offiziell "Kompetenznetzwerk für Nutztierhaltung" genannt, sollte einen Lösungsvorschlag für die Krise der Tierhaltung ausarbeiten. Die Klimawirkungen der Branche wurden dabei allerdings nicht als Problem angesprochen – das maßgebliche Ziel war es, die Bedingungen für die Tiere zu verbessern.

Schon vor einem Jahr veröffentlichte die Kommission ihre Empfehlungen, der Bundestag stimmte später der Umsetzung grundsätzlich zu: Mehr "Tierwohl" sollte durch staatlich geförderte Stallumbauten und bezuschusste Haltungsverbesserungen erreicht werden. Kosten: 1,2 bis 3,6 Milliarden Euro jährlich bis ins Jahr 2040.

Woher soll dieses Geld kommen? Zur Beantwortung dieser Frage wurden am Dienstag die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie im Bundeslandwirtschaftsministerium vorgestellt.

Danach könnten die Maßnahmen zum Beispiel durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Tierprodukte finanziert werden – oder zwecks Rechtssicherheit womöglich durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für sämtliche derzeit dem ermäßigten Satz unterliegende Lebensmittel, also auch pflanzliche Produkte.

Porträtaufnahme von Friedrich Kirsch.
Foto: privat

Friedrich Kirsch

ist Klima­gerechtigkeits-Aktivist und engagiert sich im Bündnis "Gemeinsam gegen die Tierindustrie". Er hat die Studie "Milliarden für die Tierindustrie" mitverfasst und schreibt außerdem regelmäßig Beiträge für den Watchblog des Bündnisses.

Generell wird in dieser Diskussion um den Umbau der Tierhaltung oft ausgeblendet, wie viele Subventionen die Tierindustrie heute bereits erhält. Das Problem an den Borchert-Empfehlungen ist aber in Wahrheit gar nicht die Finanzierung, sondern die Zielsetzung: Die Kommission, die mehrheitlich aus Branchen-Vertreter:innen bestand, wollte von Anfang an primär die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Tierhaltung sichern.

Die Verbesserungen, die für Tiere erreicht werden sollen, sind minimal – Hühner, Rinder und Schweine würden weiter leiden. Auch die anderen fatalen Auswirkungen der Tierindustrie, allen voran die Klimafolgen, würde eine Umsetzung der Empfehlungen nicht beheben.

Würde die Mehrwertsteuer auf Tierprodukte tatsächlich erhöht, könnte dadurch zwar der Konsum abnehmen. Laut Machbarkeitsstudie wäre der Rückgang aber gering, bei Fleischprodukten zum Beispiel nur vier bis elf Prozent.

Nicht nur das, aus Sicht des Bündnisses würden die Stallumbauten und "Tierwohl"-Maßnahmen mit mehreren Milliarden Euro im Jahr sogar kontraproduktiv wirken. Sie würden die hohen Tierbestände nämlich auf viele Jahre festschreiben. Solche halbherzigen Reformvorschläge dienen letztlich der Tierindustrie, anstatt ihren dringend benötigten Abbau einzuleiten.

Derzeit sieht es nicht mehr so aus, als ob die Regierung den Borchert-Empfehlungen tatsächlich folgt. Ministerin Klöckner antwortete in der Pressekonferenz bei Fragen nach dem Zeitplan ausweichend, und im Herbst ist schon Bundestagswahl. Das Thema scheint wieder einmal verschleppt zu werden.

Tierfabriken schließen statt verbessern

Jetzt kommt es darauf an, die Zeit zu nutzen, um eine andere Debatte anzustoßen. Statt über den Umbau der Tierindustrie müssen wir über den Ausstieg sprechen. Das ist genau die Debatte, die Ministerin Klöckner immer verhindern wollte.

Etwas bessere Haltungsbedingungen sind schon im Hinblick auf das Tierleid keine Lösung. Klimagerechtigkeit erfordert die drastische Reduktion der Tierzahlen. Wir müssen Tierfabriken und Schlachthöfe schließen.

Das Bündnis "Gemeinsam gegen die Tierindustrie" fordert, bis 2030 mindestens 80 Prozent der Tierbestände abzubauen. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die unbedingt sozial gerecht bewältigt werden muss. Für die Beschäftigten in der Tierhaltung und den Schlachthöfen müssen gute Alternativen geschaffen werden.

Die Niederlande machen gerade in kleinem Umfang vor, wie Ausstiegsprogramme für Tierhalter:innen aussehen können. Auch hierzulande gibt es bei Schweinehalter:innen großes Interesse an solchen Programmen.

Die öffentlichen Gelder, die derzeit der Tierwirtschaft zugutekommen, müssen darüber hinaus gezielt eingesetzt werden, um ökologischen Pflanzenbau sowie Klima- und Umweltschutzmaßnahmen zu fördern. Auch braucht es tragfähige Konzepte für Regionen, die bislang stark von der Tierindustrie abhängig sind.

Der Ausstieg aus der Tierindustrie kann nur effektiv sein, wenn sich zugleich die Konsummuster drastisch verändern. Bis 2030 muss der Verzehr von Fleisch, Milch und Eiern rapide sinken.

Um dieses Ziel und gleichzeitig mehr soziale Gerechtigkeit zu erreichen, braucht es gesellschaftliche Entscheidungsräume jenseits der individuellen Geldbeutel. Gute Nahrungsmittel sind ein Grundbedürfnis und sollten von demokratisch kontrollierten Betrieben anstelle von profitorientierten Konzernen produziert werden.

Es braucht einen Ausbau öffentlicher Kantinen, die ihr Angebot partizipativ, das heißt unter Einbeziehung der Nutzer:innen, umgestalten.

Darüber hinaus fordert das Bündnis umfassende Bildungskampagnen besonders über die Folgen der Tierindustrie und die Alternativen. Maßnahmen, die der Agrar- und Ernährungswende entgegenlaufen, wie Werbekampagnen für Tierprodukte, müssen eingestellt werden.

Massenaktion zivilen Ungehorsams

Ernüchternd ist die Feststellung, dass wir von den hier vorgeschlagenen Maßnahmen noch weit entfernt sind. Umso wichtiger ist es, dass die Klimabewegung den Druck für eine Agrar- und Ernährungswende weiter erhöht.

Für Juli ruft das Bündnis "Gemeinsam gegen die Tierindustrie" zu einer offen angekündigten Massenaktion zivilen Ungehorsams gegen den Fleischkonzern PHW/​Wiesenhof auf.

Das ist eine wichtige Gelegenheit, in die gesellschaftliche Diskussion hineinzuwirken und auch bewegungsübergreifend neue Allianzen aufzubauen.

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