
Klimareporter°: Herr Bandt, Ihr Umweltverband wird in diesem Jahr ein halbes Jahrhundert alt, und wir stehen nun vor einer Bundestagswahl in schwierigen Zeiten. Gibt es da etwas zu feiern?
Olaf Bandt: Ja, absolut. Es gibt Gründe zu feiern, auch in schwierigen Zeiten. Und ich würde sagen: gerade in schwierigen Zeiten. Der BUND blickt auf 50 Jahre voller Errungenschaften zurück – vom Einsatz für den Schutz vor gefährlichen Chemikalien bis hin zur Stärkung des gesellschaftlichen Bewusstseins für die Klimakrise.
Meilensteine wie das Verbot der FCKW-Ozonkiller, der Atomausstieg oder der bevorstehende Kohleausstieg zeigen, dass sich beharrliches Engagement auszahlt. Natürlich sind die Herausforderungen groß, aber gerade deshalb ist es wichtig, immer wieder innezuhalten und die Erfolge zu würdigen. Die motivieren uns, weiterzumachen.
Ihre Erfolge in Ehren, derzeit spielen Ihre Themen – Umwelt, Klima, Energiewende, Naturschutz – in der öffentlichen Debatte fast keine Rolle. Heute will ein Fünftel der Menschen mit der AfD eine Partei wählen, die sagt: Es gibt gar keinen Klimawandel. Was ist da passiert?
Die aktuelle Situation ist mehr als besorgniserregend: Die AfD leugnet den Klimawandel und will rund 30.000 Windräder in Deutschland abreißen. Damit würde sie die Energieversorgung in Deutschland gefährden und milliardenschwere Investitionen von Unternehmen und Bürgergenossenschaften vernichten.
Im EU-Parlament hat die Partei fast durchgehend gegen alle Umwelt- und Naturschutzanliegen gestimmt. Mit dieser Positionierung macht sie sich zum Büttel der weltweiten Öl- und Gasindustrie. Die Behauptung, es gäbe keinen Klimawandel, entlastet offenbar viele Menschen vom Handlungsdruck.
Zusätzlich verbreitet die AfD ein zutiefst menschenverachtendes und rassistisches Weltbild und stellt die Grundpfeiler unseres menschlichen Miteinanders infrage. Und leider beschränkt sich der Rechtsruck nicht auf diese Partei.
Welche Ursachen hat das?
Es sind gleich mehrere Faktoren: Die sozial-ökologische Transformation ist eine große Herausforderung für jeden Einzelnen, und die Menschen sind damit zu oft allein gelassen worden.
Hinzu kamen externe Krisen wie Corona, Kriege und Preisschocks, die viele Menschen ärmer und unsicher gemacht haben. Dadurch wurde die Gesellschaft anfälliger für rechten Populismus und einfache Antworten. Mit milliardenschweren Kampagnen wurde unser Land sozusagen kaputt gepostet, obwohl es eines der wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt ist. Davon hat die AfD erheblich profitiert.
Erwarten Sie, dass das Pendel wieder zurückschlägt? Kann der Umweltschutz erneut Mainstream werden?

Olaf Bandt
ist seit 2019 Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der gelernte Kfz-Mechaniker und studierte Umweltingenieur ist seit 1992 beim BUND tätig, zunächst als Abfallvermeidungsexperte, ab 2008 als Bundesgeschäftsführer. Daneben engagierte er sich in der Friedensbewegung und der Anti-AKW-Bewegung.
Ich bin überzeugt, die Rettung unseres Planeten ist bereits im Bewusstsein der Menschen als Mainstream verankert. Allerdings wird das bei vielen von Alltagsnöten überlagert, die angegangen werden müssen. Denn bei den jetzt anstehenden Veränderungen, ob Ernährung, Heizungsumbau oder Mobilität – immer braucht es persönliche Entscheidungen, die mit Zumutungen und Unsicherheiten verbunden sind.
Das dürfen wir nicht kleinreden.
Für uns ist klar: Wir wollen alle Menschen mitnehmen. Dafür hat unser Verband, der breit in der Fläche verankert ist, besondere Potenziale und Verantwortung.
Ich habe aber auch Erwartungen an andere politische Akteure: Es ist zentrale Aufgabe aller demokratischen Parteien, für die sozial-ökologischen Krisen gemeinsame Lösungen zu finden und daraus nicht neue Kulturkämpfe, wie bei der notwendigen Dekarbonisierung der Heizungen oder beim Ende der Verbrenner-Autos zu entfachen. Das könnten unsere Demokratie, unsere Umwelt und unser Industriestandort nicht verkraften.
Zurück zum BUND und seiner Geschichte. Was wäre anders, wenn es ihn nicht geben würde?
Ich nenne ein paar Highlights. Mit dem "Grünen Band" an der ehemaligen innerdeutschen Grenze haben wir das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt nach dem Fall der Mauer auf den Weg gebracht. Dieser Biotopverbund, der sich über 1.400 Kilometer erstreckt, ist ein wichtiges Rückzugsgebiet für bedrohte Tiere und Pflanzen. Wir sind damit 2024 sogar für das Unesco-Weltkulturerbe nominiert worden, für uns ein Riesenerfolg.
Erfolgreich war auch der Widerstand gegen die Atomkraft, unter anderem in Gorleben und bei den Castor-Transporten. Das war 1975 ein zentraler Grund dafür, den BUND zu gründen. Es hat sich gelohnt: Gemeinsam mit der Anti-AKW-Bewegung haben wir letztlich den Atomausstieg 2011 errungen, der im April 2023 abgeschlossen wurde.
Und dann haben wir 2021 mit unserer Klimaverfassungsbeschwerde gemeinsam mit anderen Umwelt- und Klimaverbänden Geschichte geschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hat wesentliche Teile des damaligen Klimaschutzgesetzes für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Die Klimaziele wurden daraufhin angehoben und konkretisiert, wenn auch noch nicht genug.
Übrigens versuchen wir gerade mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde, die wir im September 2024 eingelegt haben, an unseren Erfolg von 2021 anzuknüpfen.
Okay, aber Sie haben es nicht geschafft, den Umweltschutz auch praktisch zum Mainstream zu machen.
Es ist leider noch nicht gelungen, die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation konsequent als Chance zu vermitteln – und aufzuzeigen, dass bei aller Notwendigkeit, Wirtschaft und Gesellschaft innerhalb der planetaren Grenzen zu organisieren, auch etwas zu gewinnen ist: ein gesichertes Leben für alle.
Die Zeit läuft uns davon. Vor zehn bis 15 Jahren hätte es da noch ganz andere Gestaltungsspielräume gegeben.
Was war der Fehler?
Ich sage selbstkritisch: Wir haben unter anderem die Gewerkschaften zu spät als Verbündete in diesem Wandel verstanden. Viele in der Umweltbewegung haben soziale Gerechtigkeit, Jobsicherheit und Mitbestimmung nicht immer konsequent mitgedacht und darüber Menschen verloren.
Immerhin haben wir hier in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Der BUND arbeitet heute mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Wirtschaftsverbänden zusammen, zum Beispiel im "Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende" oder in der "Gebäude-Allianz".
Viele Mitglieder Ihres Verbandes haben inzwischen graue Haare. Man könnte böse sagen: Der BUND ist überaltert ...
Menschen ab 60 haben oft die Zeit, sich gesellschaftlich zu engagieren. Das ist gut so, auch der BUND wird damit stärker. Gleichzeitig wollen wir jüngeren Menschen mehr und besser passende Angebote machen, sich zu engagieren.

Die Einrichtung des Grünen Bandes war wirklich ein Highlight, für den Naturschutz müsste aber viel mehr geschehen. Was wären hier die richtigen Hebel?
Die treibende Kraft hinter dem Artensterben ist der Verlust und die Entwertung von natürlichen Lebensräumen. Wir müssen also den Flächenverbrauch stoppen, degradierte Ökosysteme wiederherstellen, Lebensräume miteinander vernetzen.
Auf Wald-, Acker- oder Moorflächen braucht es naturverträgliche Bewirtschaftungsmethoden, die sich auch für Bäuerinnen und Bauern respektive Waldbesitzende lohnen. Der hohe Einsatz von Pestiziden muss dabei so weit wie möglich reduziert werden.
Kurz gesagt: Wir müssen Wege suchen, wie Ernährungssicherheit und Schutz der Insekten, des Bodens und unserer Wasserressourcen zusammen erreicht und finanziert werden können.
Hört sich gut an, ist aber schwer umzusetzen. Sie sagen: Die Landwirtschaft muss sich ändern. Doch das erzeugt große Konflikte, wie man bei den Protesten Anfang letzten Jahres gesehen hat. Gibt es da eine Lösung? Oder bleiben BUND und Bauernverband auf Dauer spinnefeind?
Wir sind nicht spinnefeind, sondern versuchen, Lösungen zwischen unterschiedlichen Interessen zu finden. Die Proteste im letzten Jahr waren ja vor allem gespeist aus Existenzsorgen in der Landwirtschaft und der Unzufriedenheit über fehlende Antworten, wie es weitergehen soll.
Agrarbetriebe verdienen in der Breite zu wenig mit ihren Produkten. Und wer sich schon auf den Weg gemacht hat und mehr Tierwohl im Stall, weniger Pestizide auf dem Acker und mehr Biodiversität im eigenen Betrieb ermöglichen will, wird dabei zu wenig unterstützt und mit bürokratischen Fallstricken bestraft. In der Forderung, dass sich daran etwas ändern muss, stimmen wir als BUND mit dem Bauernverband und anderen Agrarverbänden weitgehend überein.
Und warum ändert sich dann so wenig?
Da ist die Politik in den Bundesländern, in Berlin und Brüssel gefordert. Der Konsens, den gesellschaftliche Kommissionen, Bürgerräte und andere Gremien ja bereits erzielt haben, wie etwa zu mehr Tierwohl, muss auch außerhalb von Sonntagsreden ernst genommen werden. Gleichzeitig wird der BUND mit seinen Kampagnen für weniger Pestizide weitermachen.
Zu Ihrem anderen Erfolgsthema Atomausstieg: Diese Energieform schien mit dem parteiübergreifenden Ausstiegsbeschluss von 2011 nach Fukushima abgehakt. Jetzt aber wollen Union, FDP und AfD die zuletzt abgeschalteten Reaktoren am liebsten wieder ans Netz nehmen und sogar neue bauen lassen. Wie bewerten Sie das?
Diese Atomdebatte ist gefährlich. Nicht, weil ich befürchte, dass abgeschaltete Atomkraftwerke wieder ans Netz genommen werden könnten. Das ist ausgeschlossen. Der finanzielle und zeitliche Aufwand wäre viel zu groß, um die überalterten AKW in einen genehmigungsfähigen Zustand zu versetzen. Auch die Betreiber haben kein Interesse an einem Weiterbetrieb. Das Gleiche gilt für den Bau neuer Atomkraftwerke.
Wir erleben aber eine Verzögerungstaktik zu Lasten des Klimas und der Menschen. Das ist gefährlich, weil es von den eigentlichen Aufgaben ablenkt – und auch von den Chancen die beim Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien entstehen. Stattdessen verunsichert die Atomdebatte die Energiewende-Branchen und suggeriert der Bevölkerung, mit Atomstrom könne alles so weiterlaufen wie bisher.
Das ist Unsinn. Der Atomausstieg hat unser Land nicht nur sicherer gemacht, sondern auch die Weichen für ein ökologisch und ökonomisch zukunftsfähiges Energiesystem gestellt.
Gesetzt, wir erleben eine eskalierende Klimakrise. Ist es dann nicht denkbar, dass auch Sie persönlich dann sagen: Lasst uns lieber Atomkraftwerke nutzen, statt auch noch einen Kubikmeter Erdgas zu verfeuern?
Nein, Atomenergie hilft uns nicht in der Klimakrise. Es ist völlig absurd, dass wir immer noch über Technologien und Brennstoffe diskutieren, die weder nachhaltig noch zukunftsfähig sind, obwohl wir doch längst wissen, was zu tun ist. Der Weg nach vorn sind die erneuerbaren Energien. Was fehlt, ist der starke politische Wille, diesen Umbau auch konsequent voranzubringen.
Wir verhalten uns als Gesellschaft wie Süchtige, die glauben, ohne Droge nicht leben zu können. Doch je schneller wir den Ausstieg aus dem fossil-atomaren System schaffen, desto besser ist es für uns heute und für die nächsten Generationen. Deutschland hat die Chance, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen, und die ist auch für unsere wirtschaftliche Zukunft wichtig.
Hand aufs Herz, glauben Sie, dass die globale Umweltkrise insgesamt noch beherrschbar ist?
Davon bin ich fest überzeugt. Sonst könnte ich meinen Job nicht machen. Nach nun 50 Jahren Engagement in der Umweltbewegung bin ich immer wieder fasziniert, welche Kraft und Stärke ein Verband wie unserer zusammen mit einer vielfältigen Zivilgesellschaft entwickeln kann.
Ich will aber nicht leugnen: Die drohenden Dominoeffekte der Krisen bereiten mir große Sorgen. Da geht es um die Kippelemente im Erdsystem, etwa beim großflächigen Absterben von Korallenriffen oder beim möglichen Versiegen des Golfstroms. Das Problem ist, dass wir hier schlichtweg nicht wissen können, ab welchem Grad der Schädigung des Klimas oder der Umwelt sie erreicht sein werden. Die Folgen des Überschreitens dieser Kipppunkte wären katastrophal.
Ich warne aber auch vor Fatalismus. Denn die Lösungen sind ja bekannt. Wir müssen sie nun auch in die Tat umsetzen.
Herr Bandt, welche Koalition wünschen Sie sich nach der Bundestagswahl? Es kommt nach den Umfragen ja nur eine neue Groko oder Schwarz-Grün infrage.
In unseren Analysen der Wahlprogramme erkennen wir leider, dass die Union einen Kulturkampf gegen zentrale Maßnahmen des Klimaschutzes führt. Wir können zum Beispiel keine Verzögerung beim Hochlauf der E‑Mobilität verkraften. Weder für den Klimaschutz noch für den Industriestandort Deutschland. Bei der SPD sehen wir viele richtige Punkte für den Klimaschutz im Wahlprogramm, aber leider kein öffentliches Engagement der Spitzenleute für diese Themen. Im grünen Wahlprogramm finden wir wichtige Themen des Naturschutzes und des Klimaschutzes.
Ich wünsche mir eine Koalition, die Lösungen für den Klimaschutz und die Wiederherstellung der Natur gemeinsam umsetzt. Denn auch die Union könnte Klima- und Naturschutz oder den Erhalt unserer Schöpfung, wenn sie nur wollte.
Eine persönliche Frage, Herr Bandt: Warum sind Sie eigentlich selbst einmal in den BUND eingetreten? Und nicht zu Greenpeace oder zum WWF gegangen?
Für mich war entscheidend: Der BUND ist ein demokratisch organisierter Mitgliederverband mit starker lokaler Basis. Wir haben heute fast 700.000 Mitglieder, und mit den Landesverbänden, Ortsgruppen und der eigenständigen BUND-Jugend gibt es gute Möglichkeiten, sich demokratisch einzubringen und mitzugestalten. Das unterscheidet uns von Organisationen wie Greenpeace oder Stiftungen.
Zudem legen wir großen Wert auf Unabhängigkeit. Wir verzichten bewusst auf Image- oder Logo-Kooperationen mit Unternehmen, um Geld einzunehmen. So bewahren wir unsere Unabhängigkeit. Wir sehen uns als glasklare Lobby des Planeten.
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
Der BUND ist der größte Mitgliederverband für Umweltpolitik und Naturschutz in Deutschland. Er wurde 1975 von 21 bekannten Umweltschützern gegründet, darunter Horst Stern, Hubert Weiger und Hubert Weinzierl. Ein zentraler Gründungsimpuls war der Widerstand gegen den damals geplanten Ausbau der Atomkraft.
Der Verband hat nach eigenen Angaben rund 674.000 aktive Mitglieder und Fördermitglieder. Er ist Teil des internationalen Naturschutz-Netzwerks Friends of the Earth. Neben dem BUND-Bundesverband gibt es 16 Landesverbände und etwa 2.000 regionale Kreis- und Ortsgruppen, die sich mit lokalen ökologischen Problemen beschäftigen. Ehrenamtliche Facharbeitskreise befassen sich etwa mit umweltfreundlichen Energien, Bodenschutz, Bio- und Gentechnologie sowie gesundheitlichen und rechtlichen Fragen.